Chronistin urbaner Transformationen
In ihren Arbeiten hinterfragt Andrea Ressi etablierte Zeichensysteme und re-codiert sie. Im Rahmen ihres Atelier-Auslandsstipendiums in Triest im Frühjahr 2024 hat sie sich mit der Formierung der Welt vom Wasser aus beschäftigt.
„Am Anfang steht immer das Interesse für einen speziellen Ort, der Transformationen unterworfen ist, die für mich beispielhaft für bestimmte Aspekte der Globalisierung stehen", beschreibt die Künstlerin Andrea Ressi ihren Herangehensprozess an neue Projekte. Das Interesse für städtische Räume und deren Wandlung bestimmt ihr umfangreiches Werk, das mehrere Zyklen - etwa ihre "Urban Landscape Infographics" oder das "Urban Alphabet" - umfasst. Dabei bewegt sich die 54-jährige Grazerin, die seit vielen Jahren in Wien lebt und arbeitet, stets im Zwischenbereich von Architektur und bildender Kunst. Ein Weg, den sie schon während ihrer Ausbildung eingeschlagen hat, als zum Architekturstudium an der TU Graz auch Kunststudien in Antwerpen, London und Wien hinzukamen, wo sie an der Angewandten Malerei studiert hat.
Als Studentin in Graz fand Andrea Ressi sowohl durch den Steirischen Herbst als auch die lebendige Architekturszene den Boden vor, auf dem ihre künstlerische Arbeit gedeihen konnte, die sich nunmehr jedoch vor allem von Recherchen an anderen Orten - von Triest bis Usbekistan, von Tschechien bis Indien - speist. Stets im Fokus: die Bildsprache des öffentlichen Raums, in dem sie Zeichen, Symbole und Strukturen erkundet und diese malerisch und zeichnerisch neu deutet.
So hat sie sich etwa mit postsozialistischen Stadtlandschaften beschäftigt und die "konfliktuösen Beziehungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart" thematisiert, wie Walter Seidl in einem Text zu "Postsocialist Landscape" schreibt. "Mit dem Einsatz von verknappten Sprachmodulen definiert die Künstlerin die Bestimmungen einstiger utopischer Stadtformationen und -einrichtungen, die zunehmend einen dystopischen Charakter einnehmen", so Seidl. Dieser Zugang findet sich auch in ihrem "Urban Alphabet" wieder: In der 2018 entstandenen Serie "Postsocialist City" tragen die streng formalisierten Tusche-Zeichnungen Titel wie "Out of Center Office Cluster", "Prestige Demonstration" oder "Socialist Legacy".
Die bei den Rechercheaufenthalten gesammelten Eindrücke setzt Ressi dann in ihrem Wiener Atelier in ihre ganz besondere Formensprache um. "Ich habe schon sehr früh begonnen, mich mit Zeichen, Logos, Piktogrammen und Pattern auseinanderzusetzen", so die Künstlerin, die etwa in Infografiken eine Sprache sieht, durch die wir die Welt zunehmend wahrnehmen. "In meinen Arbeiten hinterfrage ich etablierte Zeichensysteme bzw. re-codiere sie mit neuen Inhalten."
So hat Andrea Ressi unterschiedliche Serien von Zeichensystemen entwickelt - allen gemein ist die starke geometrische Komponente, die sich sowohl in Malereien als auch in Tuschezeichnungen auf Transparentpapier manifestiert. Kürzlich war sie im Rahmen des "Artist in Residence"-Programms des Landes Steiermark zwei Monate lang in Triest unterwegs, um anhand der wechselvollen Geschichte Triests zur Idee der Formierung der Welt vom Wasser aus zu recherchieren. "Mich hat vor allem interessiert, wie man die Globalisierung vom Meer aus sehen kann. Bei der Kartierung der Welt hat das Meer eine untergeordnete Rolle gespielt. Aber dass sich ein großer Teil der Weltwirtschaft auf den Meeren abspielt, davon bekommt man nur etwas mit, wenn die Handelswege - wie etwa in der Pandemie oder durch andere Katastrophen - unterbrochen sind."
Auch zu Themen wie Kolonisationsgeschichte aus der Perspektive von Meeres- und Hafenstädten hat sie in bei Besuchen von lokalen Museen und field trips recherchiert. Von ihrem Recherche-Aufenthalt ist sie kürzlich zurückgekehrt, nun geht es an die Arbeit ...
Website: http://www.andrearessi.com
Sonja Harter
Juli 2024