Die kollaborative Filmkünstlerin
Ihre Arbeiten zeigen Nathalie Koger als vielseitige Künstlerin und Filmemacherin, die großen Wert auf Zusammenarbeit und Austausch legt. Die offene Dramaturgie zieht sich als roter Faden durch die Werke der Atelier-Auslandsstipendiatin 2024.
Nathalie Koger kreiert Filme und Installationen, die verschiedene Perspektiven einbeziehen und das Filmemachen als soziale Praxis betrachten - was sich nicht nur in der Arbeitsweise, sondern auch in den raumzeitlichen Konzepten widerspiegelt. Kogers Methode der offenen Dramaturgie und ihr prozessorientierter Ansatz kommen nicht zuletzt in ihrem filmischen Werken deutlich zum Ausdruck. Alternative Erzählweisen, die episodisch und thematisch fokussiert sind, ziehen sich als roter Faden durch die Arbeiten. Im Mittelpunkt stehen Referenzsysteme, die Gegenentwürfe zu einer geschlossenen Erzählstruktur bieten und so neue Gedankenzusammenhänge nahelegen und Bedeutungsnetze eröffnen.
Diese Arbeitsweise zeigt sich schon bei ihrem Kurzfilm, „Was ausgestellt wird“ (2010-2012): Er entführt die Betrachter in das Gustinus-Ambrosi-Museum in Wien. Koger fügt der Museumsgeschichte eine neue Dimension hinzu, die sich mit den Ausstellungsbedingungen, wechselnden Blickwinkeln und subtilen, widersprüchlichen Gesten befasst. In einer von ihr entworfenen Choreografie eignet eine Hula-Hoop-Tänzern sich den Museumsraum an und nähert sich auch der umstrittene Vergangenheit des Bildhauers, denn Ambrosi hatte eine Nähe sowohl zum Austrofaschismus als auch zum Nationalsozialismus. Der Kontrast zwischen den heroisch-traditionellen Skulpturen Ambrosis und der Dynamik der Tänzerin verleihen dem Film eine analytisch abstrakte Dimension.
Facettenreiches Multitalent
Kogers künstlerische Installationen, Bricolagen und Rauminterventionen waren unter anderem in Wien, Salzburg, Graz, Köln, Stuttgart, Seoul und Los Angeles sowie im Iran zu sehen, außerdem kuratiert sie Programme für internationale Festivals, hält Seminare und absolvierte Art-Residencies in Budapest, Rom und Stuttgart. Im Frühjahr 2024 hielt sie sich im Rahmen des Atelier-Auslandsstipendiums des Landes Steiermark bei der Foundation17 in Pristina, Kosovo, auf. Filme der Künstlerin waren bisher u. a. auf der Diagonale und der Viennale in Österreich sowie beim Novi Sad-Film Festival in Serbien zu sehen.
Die Hälfte des Himmels
„Half of the Sky“ (2020) ist ein Kurzfilm, der eine eindrucksvolle Toncollage aus dialogischen Gedanken zu feministischen Künstlerinnen, Aktivistinnen und Denkerinnen präsentiert. Die kollaborative Arbeit mit der Golden Pixel Cooperative ist eine Hommage an die zu wenig beachteten Künstlerinnen des Weimarer Bauhauses. Die Verknüpfung von Bild und Voice-Over bewirkt eine Überschneidung von Geschichte und politischer Bedeutung des Films. Im Bild treffen Stimmen auf ein „Drachenfest“ nach historischem Bauhaus-Vorbild: Für diese feierlichen Umzüge wurden Drachen als Kunst- und Flugobjekte gestaltet. Im Film ermöglicht die dynamische Darstellung von Bewegung die Weitergabe und Sichtbarmachung von Stimmen. So verbindet sich die Geschichte des queer-feministischen Denkens mit einer zeitgenössischen Aufführung, die als kraftvolle Fortsetzung politischer Handlungen durch die Kunst fungiert. Dabei wird das Im-Fluss-Bleiben und das Weitertragen von Ideen und Botschaften deutlich hervorgehoben. Auf der Tonebene wird klar: Das Weiterschreiben, das Weitermachen und das Weiterfilmen hat den Protagonistinnen deren Leben gerettet, was die Bedeutung und Dringlichkeit des „Schaffens“ an sich unterstreicht.
Im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Golden Pixel Cooperative ist Koger Mit-Herausgeberin des Buches „You'll Never Work Alone: Collective Infrastructures in Moving Images“ (2022). Im kommenden Jahr, 2025, erscheint „You'll Never Watch Alone: The Screen as a Place of Work“, ebenfalls bei Schlebrügge.Editor in Wien.
Die Videokonferenz der Tiere
Das prozesshafte und kollaborative Element nimmt auch in Kogers jüngstem Film, „Die Videokonferenz der Tiere“ (30 Min., 2024), eine wichtige Rolle ein. Der semi-dokumentarische Streifen wurde in Kooperation mit der Bayerischen Staatssammlung für Zoologie während der Corona-Pandemie umgesetzt - trotz zahlreicher Herausforderungen, die durch verschiedene Lockdowns entstanden. Basis für den Film ist eine Neuinterpretation von Erich Kästners "Die Konferenz der Tiere", wobei die Geschichte in die heutige Ära des Anthropozäns eingebettet wird. In einer offenen dramaturgischen Herangehensweise hat Koger spielerische Elemente in die Choreografie eingebunden. Die Filmproduktion selbst wurde nicht nur als rein technische Angelegenheit betrachtet, sondern als eine soziale Praxis, die die prozessorientierten Aspekte des Filmemachens miteinbezieht. Koger schuf damit ein visuelles Erlebnis, das nicht nur die Fantasie, sondern auch zum Nachdenken über unsere Beziehung zur Natur und zur Welt um uns herum anregt. "Die Videokonferenz der Tiere" ist eine inspirierende Reflexion über unsere Verantwortung gegenüber der Natur und den Lebewesen, die sie bevölkern. Eine Erinnerung daran, dass wir alle Teil eines größeren ökologischen Gefüges sind und dass es an uns liegt, dieses zu schützen.
Aneinandergereihte Einzelbilder aus dem Film waren bereits 2022 unter dem Titel „Indizien“ in den Stiegenaufgängen des Kunsthauses Graz zu sehen. Im Kunsthaus finden im Rahmen der KinderKunstHochschule Steiermark übrigens auch von Nathalie Koger geleitete Kunstworkshops für Kinder statt.
Zahlreiche Auszeichnungen
Für ihre künstlerischen Leistungen erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Birgit-Jürgenssen-Preis und den Innovative Cinema Award mit der Golden Pixel Cooperative bei der Diagonale 2021 für "Half of the Sky". Zu ihren jüngsten Ehrungen gehört das österreichische Staatsstipendium für Medienkunst im Jahr 2024. Und eben auch das Atelier-Auslandsstipendium des Landes Steiermark, das sie im Frühjahr 2024 nach Pristina führte.
Eine fiktive Stadt
In Pristina setzte Koger unter anderem zwei filmkünstlerische Workshops mit Kindern von 7 bis 10 Jahren um. Der Film "Qyteti më i ri në botë" (Die neueste Stadt der Welt, 1974) der albanischen Filmkünstlerin Xhanfise Keko (1928-2007) diente ihr als Ausgangspunkt, um über zwei Monate hinweg mit mehreren Kindern zu arbeiten. „Die Beziehung zwischen Bewegung, Blick und Bildproduktion wurde gemeinsam erkundet, indem alltägliche Situationen im Park und auf Freizeitflächen filmisch umgesetzt wurden“, berichtet Koger. „In Vorbereitung auf eine Rauminstallation in Pristina habe ich die Kinder danach gefragt, ob sie eine fiktive Stadt mit mir bauen möchten und wie sie diese gestalten würden. Aus den kindlichen Reaktionen und Antworten sind kleine poetische und reflexive Videoclips entstanden."
Naima Noelle Schmidt
Stand: Mai 2024