Die digitale Spur als roter Faden
Julian Palacz arbeitet an der Schnittstelle von Konzept- und Medienkunst und verfolgt in seinen Arbeiten die Fährten, die das Leben im digitalen Raum legt.
Das Muster der Handy-Entsperrung als Stahl gewordene Manifestation im Raum, die unsichtbaren Verbindungen von WLAN-Signalen als in Isoliermaterial gebrannte Gemälde oder das über ein Jahr gesammelte Tippen auf seiner Computertastatur als gedrucktes Buch: Julian Palacz hat sich dem künstlerischen Sichtbarmachen von Spuren im Alltag verschrieben. Dabei steht nicht selten er selbst im Zentrum seiner Arbeiten, indem er sich auf die Fährte seiner digitalen Bewegungen begibt.
Bei Julian Palacz, geboren 1983 in Leoben und aufgewachsen in Mürzzuschlag, wo er auch seine frühe Kindheit verbrachte, bevor er mit seiner Familie nach Wien zog, treten Konzeptkunst, Kritik an der allgegenwärtigen Überwachung und Medienkunst in einen fruchtbaren Dialog. Bereits in der Oberstufe sei ihm klar geworden, dass er beruflich "etwas Kreatives mit Computern" machen will. Dabei spielt die Zeit, in die sein Studium der Digitalen Kunst an der Angewandten fiel, eine zentrale Rolle, studierte er doch von 2003 bis 2010 bei Peter Weibel, Tom Fürstner und Virgil Widrich.
"Damals gab es noch keine Smartphones, keine Wearables oder VR-Brillen, wie wir sie heute kennen", erinnert sich Palacz, der im Rahmen des Kunstraum Steiermark-Stipendiums nun auch wieder vermehrt in seinem Heimatbundesland arbeitet. "Als der Professor sagte, wir müssen einen 3D-Drucker kaufen, um damit künstlerisch zu arbeiten, war das kaum vorstellbar." So habe man in den Nullerjahren an der Angewandten "viele technologische Experimente gemacht, die am Puls der Zeit waren: Wir haben die Grenzen der Technik ausgelotet, damals hat die Kunst sogar oft ein bisschen die Nase vorn gehabt im Vergleich zur Technologie", lacht der 40-Jährige. "Wir konnten als Künstler aus dem Vollen schöpfen. Das Hacking stand damals sehr im Vordergrund."
Schließlich habe man in der Klasse "Digitale Kunst" eine fundierte Ausbildung bekommen, was Elektronik oder alte analoge Speichermedien anbelangt. Da wundert es nicht, dass gar nicht alle Absolventinnen und Absolventen den künstlerischen Lebensweg eingeschlagen haben, sondern auch in den Journalismus oder die Medientechnik gegangen sind. Für Palacz war es durch den Erfolg seiner Diplomarbeit klar, dass er es als Künstler versuchen will.
Seine interaktive Medienarbeit "Algorithmic Search for Love" ermöglichte es, die Dialoge von über 2000 Filmen nach bestimmten Begriffen zu durchsuchen, wonach das von ihm geschriebene Programm alle Szenen mit dem gesuchten Begriff zu einem neuen Werk zusammengeschnitten hat. "Das war ein Found-Footage-Filmgenerator, der live funktioniert hat." Mit seiner Diplomarbeit wurde er auf über zehn Festivals eingeladen. "Das war ein guter Start in die Künstlerkarriere", lacht Palacz. Auch, wenn die Arbeit rückblickend ein "Ausreißer" war, da er sich sonst stets mit dem Thema der Spuren beschäftigt.
"So wie andere Selbstporträts machen, beobachte ich mich selbst, und mit den gesammelten Daten entstehen Kunstwerke". Dabei ist es ihm aber wichtig, nie mit erhobenem Zeigefinger daherzukommen. "Da ich oft mit meinen eigenen Daten arbeite, kann ich sagen: Schaut, ich mache es ja auch, ich hinterlasse meine digitalen Spuren genauso! Das will ich sichtbar machen und ins Bewusstsein rufen." Hinter vielen seiner Arbeiten stecken Überlegungen zu den Themen Privatsphäre, Datenschutz, Massenüberwachung und Datenanalyse. So hat er in den vergangenen drei Jahren etwa eine neue Serie realisiert, in der er den Postweg von Waren verfolgt.
"Dass man im Internet auf einen Knopf drückt und irgendwann kommt jemand und übergibt dir ein Paket - das hat mich interessiert. Wie manifestiert sich der Klick, welche Routen nimmt das Paket?" Gesagt, getan: Palacz präparierte Pakete mit einer Kamera, einem Richtmikrofon, Bewegungsmeldern und einem GPS und schickte sie an die Orte seiner Ausstellungen. Zusätzlich zu den Videos, in denen man verfolgt, wie das Paket über Fließbänder rast, in Autos geladen und wieder in die Hand genommen wird, verarbeitete Palacz auch die Daten über die Erschütterung, die er wie Seismografen auf Papierbahnen gebannt hat, oder hat die Drehungen des Pakets kinetisch umgesetzt und sie wieder in einen Motor eingespeist. "Durch einen profanen Weg entstehen so viele Daten. Für mich ist es wie das Öffnen einer Spieluhr", so Palacz, der das "Handle with Care"-Projekt etwa im Forum Stadtpark in Graz umgesetzt hat. "Das war eine gute Abwechslung, weil ich davor viele Selbstporträts gemacht habe."
Auch mit der Blockchain-Technologie und Kryptokunst hat sich Palacz eingehend beschäftigt. Er gibt sein Wissen auch bei Workshops an Schulen weiter, etwa an der HAK Mürzzuschlag. "Mich interessiert, welche Kunstwerke man mithilfe dieser Technologie machen kann, die man sonst nicht hätte realisieren können." Allerdings sei dieser Markt "sehr spekulativ, eine Mischung aus Hackern und Börsenspekulanten", räumt Palacz ein. Rein im Digitalen sehe er seine Arbeiten aber selten.
Für sein "Kunstraum Steiermark"-Stipendium wendet er sich jetzt der Natur zu und widmet sich dem Thema Wasser. Im Zentrum stehen wird dabei die Mürz und - wie sollte es anders sein - Daten, die sein eigener Körper generiert ...
Zur Webseite von Julian Palacz
Sonja Harter
September 2023