Aufbruch ins Unerschlossene
Der aus Kärnten stammende Maler Johanes Zechner ist seit fünf Jahrzehnten ein Solitär in der österreichischen Kunstszene. 2011 hat er sich nach Jahren in Wien, London, Prag, Berlin und Hamburg in Graz niedergelassen. In seinen neuen Bildern lotet er die Möglichkeiten der abstrakten Malerei aus.
„Jo-hanes!", habe ihn die Mutter in ihrem weichen Kärntner Idiom immer gerufen, wenn er mit den Nachbarskindern am Stadtrand von Klagenfurt Nachmittage lang die Auen der Glanfurt durchstreifte. Daher hat er seinen Vornamen immer nur mit einem n geschrieben. Und jetzt, 2023, firmiert Zechner erstmals überhaupt als „Jo Hanes" - für sein Projekt „Das linkshändige U". Dabei handelt es sich um eine Werkschau über 50 Jahre Malerei in Form eines Katalogs, den Zechner Ende März 2023 in der Wiener Secession präsentierte.
Der Band versammelt Abbildungen seiner jüngsten Werkzyklen „Emblems from the Bible" (ab 2017) und „Questland" (ab 2020). Zechners neue Bilder sind freie, entgrenzte Gemälde, die mehrere Jahrzehnte künstlerische Auseinandersetzung mit Bildern und Texten, mit persönlichen und gesellschaftliche Themen, mit dem Eigenen und dem Fremden vereinen. „In keiner Werkphase zuvor versuchte Johanes Zechner näher an die Thematik der eigenen Konfliktsituation zwischen Malerei und Literatur heranzukommen", schreibt Günther Holler-Schuster, Kurator an der Neuen Galerie Graz, im Essay zum „Linkshändigen U". Und er resümiert: „In der Kraft der konkurrierenden Systeme [Malerei und Literatur] liegt die Kraft dieser Kunst."
Hohe Affinität zu Sprache und Literatur
Die Beschäftigung mit Literatur zieht sich bei Zechner von Beginn an durch die künstlerische Arbeit, genauer gesagt seit den „ABC-Bildern" von 1982. In diesem Zyklus eignete sich Zechner, inspiriert von schulischen Schönschreibübungen, die Buchstaben des Alphabets künstlerisch wieder an - und arbeitete dadurch einen kindlichen Konflikt auf. Der 1953 Geborene war nämlich einer der wenigen Linkshänder in seiner Generation, die sich partout nicht auf die „gute Hand" umschulen lassen wollten.
Auch zahlreiche spätere Serien des Malers, der seit jeher in thematischen Zyklen arbeitet, zeugen von seiner Affinität zu Sprache und Literatur: 1993/94 zitierte er Sätze des befreundeten Dichters Peter Waterhouse in seinen Bildern. 1998 stellte Zechner im damaligen Kulturhaus Graz (in dem heute das Literaturhaus angesiedelt ist) Bilder zu Gedichten des legendären Poeten Reinhard Priessnitz aus, den Zechner in den 1970ern in Wien kennengelernt hatte. 2008 zeigte Zechner in Graz und Wien unter dem Titel „Diese weiße Ekstase" 99 Arbeiten zu Gedichten der großartigen dänischen Lyrikerin Inger Christensen. 2014 folgte die Ausstellung „Mayröcker-Übersetzung" im Kulturzentrum bei den Minoriten, und 2021 wurden in der Literaturzeitschrift „Lichtungen" Zechners grafischen Arbeiten zu Textpassagen der deutschen Autorin Marion Poschmann abgedruckt.
Motive in der Kindheit
Mit Ende 60 unterstreicht Zechner im Gespräch, dass die Ursprünge seiner Motive vielfach in seiner Kindheit liegen. So verknüpft er die „Not-wendigkeit", sich mit Sprache zu befassen, unter anderem mit der unterdrückten Zweisprachigkeit seiner Mutter, die als Kärntner Slowenin in Klagenfurt ihre Muttersprache nur in Liedern benutzt hat. Auch die Reisen, die der Maler zeitlebens bildnerischen Projekten gewidmet hat, sieht er bereits in den Fluchtbewegungen seiner Kindheit angelegt: „Ich war als Kind schon immer auf der Flucht", erzählt er. „Am südlichen Stadtrand von Klagenfurt gab es früher riesige Barackensiedlungen noch aus dem Krieg. Mit den Kindern aus der Barackensiedlung - wir haben sie ‚die Russen‘ genannt - bin ich in die Schule gegangen. Am Nachmittag sind wir immer bloßfüßig zum Fluss gerannt, immer weg von zu Haus, von der Enge, von dieser Reihenhausiedlung. Dann sind wir am Abend mit nassen Handtüchern, hungrig und vor Kälte bibbernd wieder nach Hause gekommen." Nachsatz: „Die ersten Jahre sind sehr prägend. Daraus zehrt man ein Leben lang."
Nach dem Studium an der Angewandten in Wien und ersten Erfolgen als Maler arbeitet Zechner in den 1980ern nebenbei als Assistent an der Akademie der Bildenden Künste. Ende der 1980er erhält er vom British Council ein Stipendium für London, wo er fünf Jahre bleibt. Damals bemalt er Kastentüren und Einzelteile von Särgen. Er nennt die Arbeiten „Rustica & Skulpturenzeichnungen". So unterschiedlich Zechners Werke seit seinem künstlerischen Durchbruch in den frühen 1980ern sind, eine formale Gemeinsamkeit haben sie, nämlich das Zyklische. In London entstehen seine ersten „Koffer-Arbeiten": Zyklen, die sich mit seinen Eindrücken vor Ort befassen, und die in Koffern oder sonstigen Reisebehältnissen Platz finden. Zum London-Koffer gesellen sich später Koffer-Arbeiten unter anderem aus Irland, Israel, Ghana, Texas und Berlin, die sich jeweils mit einem bestimmten Thema befassen, wie z. B. Migration, Religion, Hermaphroditismus, Vergangenheitsbewältigung ... „Zechners Kofferarbeiten sind kein öffentlicher Verhandlungsort und doch entstehen sie im Schnittpunkt mit der Zeitgeschichte", merkt dazu die deutsche Kunsthistorikern Astrit Schmidt-Burkhardt in einem Katalog an.
Weiße Flecken auf der Weltkarte
Rund um die Jahrtausendwende kommt es zu einer privaten Zäsur: Zechner verlässt sein bisheriges Leben in Wien und zieht nach Prag, wo seine jetzige Frau, die in Graz geborene Pia Grumeth-Zechner, als Designerin arbeitet. Gemeinsam gehen sie von Prag nach Berlin, von Berlin nach Hamburg. 2011 lässt sich die Familie schließlich in Graz nieder. In dieser Zeit der Umzüge, die durchaus auch krisenbehaftet war, bricht Zechner gänzlich ins Offene der abstrakten Malerei auf. Beherrschend sind dabei die Rhythmik und Dynamik der Farben und des Pinselstriches, aber weiterhin auch Textelemente und grafische Elemente. Und zunehmend wichtiger werden jene Stellen im Bild, die sich der Malerei entziehen.
„In der Prager Zeit habe ich etwas in meiner Malerei gelernt, was ich nach wie vor ganz wichtig finde", meint Zechner, „nämlich, dass man Vakuumstellen - ich nenne es ‚Weiße Löcher‘ - belassen muss. Weiße Löcher sind metaphysisch, sie dienen der Offenheit und Leichtigkeit. Metaphorisch gesehen ähneln sie den weißen Flecken auf der Weltkarte - die ja eigentlich nicht mehr existent sind. Vielleicht entspringen die Weißen Löcher in meinen Bildern einer Sehnsucht, weil unsere ganze Welt, auch die Geisteswelt, so völlig erschlossen wirkt. Aber dadurch, dass man Territorien im eigenen Geist als Weiße Löcher anerkennt, akzeptiert man auch, dass es etwas Unbekanntes gibt, etwas nicht Erschlossenes."
Website des Künstlers: http://www.johanes-zechner.at
Werner Schandor
Stand: März 2023