Das Wesen zeigen
Eine Begegnung mit der Künstlerin Marion Rauter-Wieser in ihrem Atelier.
Audrey Hepburn, Tina Turner, Romy Schneider. Man kennt diese Frauen in großen Posen. Auf den Leinwänden im Atelier von Marion Rauter-Wieser wirken die Porträtierten sehr bei sich und aufmerksam. Das Bild Tina Turners schaut auf den ersten Blick aus, als würde es die Sängerin in sehr jungen Jahren zeigen. Doch die Fotoinspiration dazu stammt aus dem Jahr 2011, Turner war damals 72. „Normalerweise kennt man sie mit einem strahlenden Lächeln. Diese Seite kennt man weniger von ihr. Für mich ist sie eine Heldin, weil sie es über den Buddhismus geschafft hat, sich aus einer schwierigen Ehe zu lösen und sie sich stark für Kinder in Not einsetzt. Für das Album ‚Beyond' hat sie Mantren aufgenommen", sagt Marion Rauter-Wieser. Lichtdurchflutet ist der Atelierraum in ihrem Haus, die großen Fenster rahmen das Panorama der Stadt Graz in der Ferne. Aktuell arbeitet die Künstlerin an ihren „Heldinnen". „Ich denke, dass in jeder von uns eine Heldin schlummert. Natürlich gibt es auch viele kraftvolle, starke Männer. Aber ich beschäftige mich momentan mit kraftvollen, starken Frauenpersönlichkeiten." Ihre Werke fügt sie zu Serien.
Aus eigenem, doppelten Schaffen
„Die Malerei war immer eine Möglichkeit, mit Themen in meinem Leben umzugehen. Beim letzten Zyklus an Bildern habe ich auch Texte geschrieben", sagt Marion Rauter-Wieser, die 1970 geboren wurde. Auf einem älteren Selbstporträt stemmt sie sich gegen eine Mauer. Sie habe sich damals gegen das Leben gestemmt, sagt sie heute. Sie habe emotional vieles zurückgelassen. Jetzt entstehen neue Bilder. Nach dem plötzlichen Tod ihres ältesten Sohnes vor eineinhalb Jahren hat sie sich in ihr Atelier zurückgezogen. Sie hat sich ihrer Kunst und wenigen, wichtigen Menschen gewidmet. „Es war eine sehr intensive Zeit, mit ganz viel Zurücklassen, Anschauen und Hinschauen". Unser aller Leben ist endlich, doch in unserer hochindustrialisierten Gesellschaft wird der Tod weggeschoben. Man beschäftige sich lieber mit Oberflächlichkeiten und damit, jung zu sein.
Mit dem Kult um das eigene Körperbild und der permanenten Optimierung des Selbst setzte sich die Künstlerin im Zyklus „Muskelspiele" 2006 auseinander. Durch und durch trainierte, dünne Körper mit angespannten Bauchmuskeln sind auf diesen Bildern; der Bildausschnitt ist so gefasst, dass die Köpfe und damit die Gesichter nicht mehr Platz finden. Dem „Lifestyle" widmete sie eine frühere Serie. Ob man materielle Güter angehäuft, jedes Wochenende gearbeitet habe und besonders erfolgreich war oder jeden Tag joggen war - am Ende bleiben ganz andere Dinge. Wenn man sich dessen bewusst werde, habe man die Möglichkeit, zu leben und seinem inneren Ruf zu folgen, sagt Marion Rauter-Wieser. „Das ist es, was am Ende einen Wert hat und man vielleicht erfüllt und mit Dankbarkeit aus diesem Leben gehen wird können."
Direkt und persönlich
„Dead or alive" hießen zwei Ausstellungen 2015. Wie viele Menschen zwar hier, in ihren Körpern sind, doch mehr tot als lebendig wären, war das Thema. Sie könne sich in den Bildern erkennen, sagt Rauter-Wieser, sie sei da durchgegangen. Jetzt ist das Thema abgeschlossen. Ihr offener, geradliniger und direkter Umgang mit höchst Persönlichem ist nichts Neues. Der US-amerikanische Kunstkritiker und -historiker John T. Spike bestärkte Rauter-Wieser in ihrem Zugang zu Kunst und zur Welt: Wichtig wäre, ehrlich zu sein und authentisch. Bei der Biennale in Florenz war Spike von Rauters Details sehr bewegt: „Very beautiful these eyes, they glance, and the thrill of the lips. You are excellent for the lips, it is unusual, I cannot think of the last time I saw an artist put the primary expression in the mouth. And if you think about it, since the mouth is so important, it is strange that it is so rare. I know more than 3000 living artists, and for most of them who are figurative artists, they are embarrassed by the mouth. It is so powerful in our culture, it's like kryptonite ... you are afraid to go there."
Tatsächlich sind es die ausdrucksstarken Augen und die Mundpartien, an denen man beim Betrachten der Gemälde hängen bleibt. Das Wesen der Porträtierten will Marion Rauter-Wieser im Arbeitsprozess erfassen. Male sie Kinder, ergebe sich das ganz schnell. Kinder haben noch keine Masken. Umso schmerzhafter kann diese Blöße auf die Menschen wirken: Das Porträt eines Kleinkindes, ausgestellt in der Grazer Heilandskirche, trieb einer Besucherin Tränen in die Augen. Die Expression des Kindes symbolisiere ihr inneres Kind, erklärte die Dame der anwesenden Künstlerin.
Marion Rauter-Wiesers Gemälde sind vielfach großformatig und den größten Teil ihrer Arbeiten nehmen fotorealistische Porträts ein. Sie malt seit ihrer frühen Kindheit. Seit 1991 gibt es kontinuierlich Ausstellungen. Marion Rauter-Wieser ist Autodidaktin und es kommt nicht selten vor, dass sie um die Anfertigung eines Porträts gebeten wird. Die Künstlerin führt dann ein Gespräch mit dem Menschen. Einen Fragekatalog habe sie dafür nicht. Sie lässt sich Zeit und auf die Person ein.
http://marion-rauter.at/
Maria Motter
Stand: Dezember 2015