Unheimliche Heimat (*)
... oder: Die Steiermark, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2014. Dies sind die Abenteuer des Regisseurs David Lapuch, der mit seiner Stock Company unterwegs ist, um neue filmische Welten zu erforschen.
Direkt zum *Update 2023
„Ehrlichkeit ist gegenüber dem Freund ein Soll. Und gegenüber sich selbst ein Muss. Zumindest hab‘ ich das irgendwo gelesen." Nun, „gelesen" hab‘ „ich" es zwar nicht, aber gehört und gesehen, wie es der Regionalist unter den heimischen Regisseuren, David Lapuch, einem seiner Protagonisten im Kurzfilm „Tage ohne Morgen" lapidar in den Mund gelegt hat. Hehre Worte. Ein wenig altmodisch vielleicht. Vielleicht auch nicht mehr so richtig zeitgemäß. Aber, und das steht völlig außer Zweifel, die wohl beste Bezeichnung für den steirischen Regisseur Lapuch selbst. Denn auf kaum einen der vielen Jung-Regisseure, die man in den letzten Jahren kennenlernen durfte - und deren kamen und gingen viele -, trifft dieses „zu sich ehrlich sein müssen" so zu wie auf ihn. Kompromisslos erkämpft sich der Autodidakt seit 2004 Stück um Stück seinen Teil an Filmgeschichte(n) in grün-weißem bzw. rot-weiß-rotem Umfeld. Mit kaum einer Förderung im Package (was einen Skandal für sich darstellt), enormem Engagement hart an der Grenze zur Selbstausbeutung und einem derartigen Übermaß an Frische in Wort wie Bild, welches man an den meisten heimischen Produktionen nicht mal mehr vermisst, ja schon gar nicht mehr merkt, wenn's doch in zwei, drei Kadern aufblitzen würde.
"Mich flashen die Making-ofs genauso wie die Hauptfilme."
Lapuch stellt definitiv einen Sonderfall in der Filmszene Österreichs dar. Seine Filme sind - obwohl regional geprägt, will heißen: Stories verortet im grünlich-süßen Setting steirischer Provinz - immer auch profunder Spiegel urbaner Gesellschaftsrealität, fern jeder Tourismusseligkeit. Die Sprache seiner Helden oder eigentlich beherzten „Anti-Helden" ist immer Alltagssprache, wobei er die sonst üblichen Peinlichkeiten der allzu charmanten Mundart, die vor allem hierorts und sonst nur vielleicht noch im bayrischen Raum so inflationär-grauslich missbraucht wird, grandios zu umschiffen weiß. Der Humor, der sich bei ihm immer beißend, scheinbar schwerelos durch die Geografie der Landschaft wie auch über die Gesichter seiner Hauptdarsteller schlängelt und durch sekundenkurze Gewalteruptionen perfekt getimet konterkariert wird, lässt alles primitiv verklärend Komische weit hinter sich und findet bestenfalls seine stilistischen Kompagnons im seltsam schrägen Witz des französischen Regie-Duos Benoît Delépine & Gustave de Kervern („Louise hires a Contract Killer" / „Mammuth") oder des aktuell britischen „Wunderkindes" Ben Wheatley („Sightseers" / „A Field in England"). Allerdings, um wirklich einen Bruder im Geiste für Lapuchs bisheriges Œuvre zu finden, muss man Europa verlassen und sich nach Japan und direkt in die bizarre Kunstwelt einer Regie-Größe wie „Beat" Takeshi Kitano begeben. Dies scheint nur natürlich, denn just Kitano war es auch, der Lapuch, unter vielen anderen Mainstream- wie Arthaus-Einflüssen, mit seinem genialen „Hana-bi" filmisch sozialisiert hat. Dieselbe wundervolle Lakonie in allgegenwärtiger Tragik Kitanos ist Lapuch so eigen wie das Sich-Ergeben in eine Landschaft, die als überdimensionierter Akteur ihre Rolle annimmt. Dieselbe schmerzhafte Verwundung der Seelen seiner Protagonisten, die ratlos um Rat bemüht der Ignoranz einer Welt gegenüberstehen, die an Grausamkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Diese erzählt von Männern, die trinken, spielen und schlagen, und von Frauen, die nicht mehr zu lieben vermögen. Wo körperliche Annäherung zwischen feuchtem Männerwitz und linkischer Belästigung ihr Dasein fristet und allein im Aufblitzen physischer wie verbaler Gewalt ihre Katharsis findet.
„Ich mag auch gerne den Fokus verlieren, vom Plot abschweifen."
In bislang sechs Kurzfilmen, einer Co-Regie und einem grandiosen ersten Langfilm, „Adam", hält uns der 1987 in Graz geborene David Lapuch ein grell-buntes Kaleidoskop vors Augenpaar, das in seinem Irrwitz aus rustikalem Charme und bitterböser Lieblichkeit seinesgleichen sucht. Querfeldein durchstreift er dabei die Genres, von der Love Story im Auslaufmodus („Tage ohne Morgen") zum psychologischen Kammerspiel - stationär Bergman-like („Leise rieselt der Schnee") oder verhalten on the Road („Hinterland") -, vom perfiden Thriller im Windschatten eines Küsschens von Roald Dahl, nach einer Erzählung des Grazer Autors Clemens J. Setz („Strange Loop"), zur zärtlichen Selbstfindungs-Parabel von Land und Leuten („Adam"). Kleine Geschichten sind es, die er da konstruiert, um uns zu bewegen, zum Lachen zu bringen, zum Weinen, oder einfach nur, um uns nachdenklich zu machen. Kleine Geschichten, umrankt von noch viel kleineren. One-minute-sculptures wie von Erwin Wurm, freilich ohne deren aufgeblasene Prätention. Wie Lapuch überhaupt zu sehr Original ist, um derartiges nötig zu haben. Zu sehr hat er sich bereits, bei aller Beherrschung des Handwerks, seinen eigenen filmischen Kosmos geschaffen - und dieser ist noch längst nicht in all seinen Dimensionen erkundet.
A. Heimo Sver
Stand: Oktober 2014
Filmographie
2004 Kurzfilm „Delirium" [Drehbuch / Schnitt]
2007 Kurzfilm „Das Leben ist ein Traum" [Drehbuch / Schnitt]
2008/10 „Bell Canto" [Co-Regie mit Stefan Rothbart]
2009 Kurzfilm „Leise rieselt der Schnee" [Drehbuch / Schnitt]
2010 Kurzfilm „Tage ohne Morgen" [Drehbuch / Schnitt]
2011 Kurzfilm „Hinterland" [Drehbuch / Schnitt]
2012 Kurzfilm „Strange Loop" [Drehbuch / Schnitt]
2013 „Adam" [Drehbuch / Schnitt]
*Update 2023: "Diagonale"-Preis für den besten Kurzspielfilm
Nach „Adam" drehte David Lapuch drei Kurzfilme, die jeweils im Programm des Filmfestivals „Diagonale" gezeigt wurden. Sein jüngster Film „Cornetto im Gras" wurde bei der Diagonale 2023 als bester Kurzfilm ausgezeichnet.
Die Begründung der Jury lautete: „Der Diagonale-Preis für den besten Kurzspielfilm geht an einen Film, der uns gleich auf mehreren Ebenen überrascht: einerseits durch seine erzählerische Eigenständigkeit, andererseits durch seine eigenbrötlerische Weirdness. Ein Film, der über Tiramisu spricht, in dem Vogelspinnen Schnaps trinken, verlorene Pferde einem in den Garten scheißen - dabei aber von großen, tragischen Themen des Lebens erzählt, und das mit einer Leichtigkeit, die fast vergessen lässt, welch dramaturgische Meisterleistung das ist. Dazu ein brillantes Ensemble, das die Burg in den Schatten stellt - und das alles an einer Würschtlbude in der Steiermark. You just make it look easy - und wir alle wissen, wie schwierig das eigentlich ist."
Ergänzte Filmografie inkl. Kurzbeschreibungen aus den „Diagonale"-Programmheften:
- 2019 Das Bild im Haus, Spielfilm kurz, AT 2019, 42 min.
"Inspiriert von der gleichnamigen Kurzgeschichte von H. P. Lovecraft erzählt Das Bild im Haus mit starker Wucht vom Menschsein unter Bestien. Ein Mann flüchtet vor einer reißerischen Meute und stolpert in ein altes Haus. Dort fasziniert ihn ein Buch, das er in einem der Zimmer findet. Mit dem Besitzer des Hauses entwickelt sich ein fataler Dialog, in dem der verliert, der noch nicht alles verloren hat." - 2022 Kurz nach Schalling unterm Berg, Spielfilm kurz, AT 2022, 42 min.
"Kurz nach Schalling unterm Berg geht die kalte Sonne aus billigen Neonröhren nie unter. In tiefster Nacht strahlt sie auf einer fast verlassenen, versifften Tankstelle. Da strandet eine Besucherin (Elena Wolff) mit ihrem Auto. Ein witziger und dabei selten zärtlicher, großer und glänzend inszenierter Film über Sinn und Sinnlichkeit, wo man sie wohl kaum vermuten würde." - 2023 Cornetto im Gras, Spielfilm kurz, AT 2023, 30 min.
"Eine beglückende Tragikomödie, die scheinbar Disparates vermischt: Banales mit Bedeutendem, Existenzialismus mit Komik - und einen nicht gerade appetitanregenden Muffin mit Bier. Richard, der ein gewöhnliches Leben im Dorf führt, kümmert sich um seinen Opa und einen Würstelstand am Sportplatz. Innerhalb eines Abends gerät seine Welt ins Wanken - und er erfährt, dass in jedem Ende auch ein Anfang steckt."
Werner Schandor
Stand: März 2023