Medienkritik de luxe
Die geborene Grazerin Gabi Trinkaus zerschnipselt Hochglanzmagazine und setzt aus den Fragmenten Gesichter, Stadtansichten und Scheinidyllen zusammen – die man erst versteht, wenn man ihnen nahe kommt.
Die Praterstraße gehört zu jenen wenigen Straßen in Wien, die man ebenso als Boulevard bezeichnen könnte. Nicht die Autos (die auf mehreren Spuren durchrauschen) spielen hier die Hauptrolle, sondern die Menschen, die hier einkaufen, im Café sitzen und in die Luft schauen, am helllichten Tag auf dem Gehsteig stehen und diskutieren. Der Balkon in Gabi Trinkaus' Atelier führt geradewegs auf die weitläufige Avenue hinaus - und obwohl man etliche Meter über dem Boden steht, fühlt man sich doch, als wäre man mitten in der Stadt.
Mit den Stadtansichten der Künstlerin, Jahrgang 1966, hat dieser überaus urbane Ort allerdings kaum etwas zu tun. Das Medium der geborenen Grazerin ist die Collage, jene Technologie, deren Bedeutung für die bildende Kunst der Moderne nach wie vor unterschätzt wird. In ihren manchmal ziemlich riesigen Tableaus montiert Trinkaus unzählige Zeitschriftenschnipsel aus Anzeigen für Luxuswaren, von Logos und Schriftzügen zu nächtlichen Luftaufnahmen fiktiver Städte. „Es sind dies einerseits Bilder unserer Realität, unseres Begehrens; andererseits ist es aber auch der Müll, den die Schnelllebigkeit der Werbung ausstößt", schrieb der Kurator Günther Holler-Schuster anlässlich ihrer Ausstellung im Studio der Neuen Galerie Graz 2005. Die ambivalenten Gefüge aus Oberflächlichkeit und Tiefe, aus Glitzer und Abfall zielen auf die kollektiven Sehnsüchte nach Glamour, nach Luxus - um sie im nächsten Moment gleich wieder zu demontieren. Für diese Arbeiten kommen häufig Zeitungsausschnitte aus der Vorweihnachtszeit zum Einsatz: „Mir ist aufgefallen, dass zu dieser Zeit besonders häufig Schwarz als Hintergrund verwendet wird, etwa beim Schmuck: Dieser wird dann in Schatullen präsentiert, die mit schwarzem Samt ausgelegt sind. Das steht offensichtlich für eine besondere Wertigkeit", erklärt Trinkaus, längst Expertin für Hochglanzzeitschriften aller Art.
Darauf kann man schon schließen, wenn man nur ihren Arbeitsraum betritt: Schließlich ist der Boden übersät mit farbigen Schnipseln - häufig helfen Freundinnen bei der Beschaffung des Materials. Das zweite wichtige Sujet in Trinkaus' medienkritischer Kunst neben den Landschaften sind Porträts - die strenggenommen nicht immer welche sind, stellen sie doch nicht immer reale Personen dar. Die Grundlage, Fragmente und Fragmentchen aus Modemagazinen, ist dieselbe. Allerdings steht sie vor anderen Herausforderungen: „Manchmal kommt es zu Schwierigkeiten bei der Farbabstimmung - wenn man ein paar Teile in einem bestimmten Hautton braucht und partout diesen nicht findet", erzählt sie. Die Porträts beziehen ihren Reiz daraus, dass sie zunächst in ihrer Gesamtheit wirken, allerdings buchstäblich in ihre Einzelteile zerfallen, je näher man ihnen kommt. Dann offenbaren sie ihre Gemachtheit, verkünden etwa in Schriftzügen wie „Ihre Zuk(unft) / Strahlend" oder „Kraft der Jug(end)" die Versprechen der Schönheitsindustrie.
Man kann viel Zeit vor Trinkaus' Bildern verbringen, oder auch: in ihnen. Vor nicht allzu langer Zeit begann sie mit einer neuen Art von Szenerien, die verschachtelter, komplexer, verdichteter sind als ihre Nachtbilder - Ansichten von Vorstadtsiedlungen, von Häusern mit Gärten und Swimmingpools und ähnlichem. Als Untergrund benutzt sie dafür häufig Toile-de-Jouille, einen traditionellen Stoffbezug französischen Ursprungs. Trinkaus: „In den vergangenen Jahren wurde dieser Stoff populär, man verwendet ihn als Vorhang oder als Tischdecke. Wichtig dabei ist, dass darauf paradiesische Szenen zu sehen sind." Diese scheinen zwischen den Schnipseln - oft auch von Fotos, die Trinkaus selbst aufgenommen hat - durch: eine etwas unklare arkadische Idylle. Standardisierte Körper, standardisierte Häuser, standardisierte Glücksvorstellungen: Nein, mit dem Individualismus unserer Tage ist es nicht recht weit her.
Nina Schedlmayer
Stand: August 2014