Anleitungen zum Unglücklichsein
Über die zwingend grotesken Bühnenversuchsanordnungen des Grazer Suhrkamp-Autors Robert Wolf und seinen Weg hin zu Kinderstücken.
Unser Unglück rührt daher, dass wir Dinge wollen, die wir nicht bekommen, und im Gegenzug das, was wir nicht wollen, ablehnen, statt es gleichmütig anzunehmen. So könnte man in einfachen Worten eine Einsicht ins menschliche Wesen formulieren, die so oder so ähnlich im Buddhismus gelehrt wird. Mit Buddhismus hat der steirische Dramatiker Robert Wolf zwar nichts am Hut, aber seine Theaterstücke wirken wie Lehrstücke zum menschlichen Unglück - ob sie nun „Zyankali 2000", „Kopfäktschn", „Der Rußland-Salon" oder „Die Unterschrift" heißen: Der dramatische Konflikt in Robert Wolfs Stück entzündet sich meistens daran, dass eine Figur etwas haben möchte, was die anderen zu verhindern trachten wollen: die letzten Zyankali-Präparate für den Massenselbstmord; eine Unterschrift von einem Baby oder das Testament des Russland-Experten Professor Vogel.
Robert Wolf wurde 1965 in Graz geboren. Seine Kindheit und wilde Jugend verbrachte er in Graz, in der Oststeiermark und in der Obersteiermark. Nach der Ausbildung zum Elektriker absolvierte er den zweiten Bildungsweg: Abendgymnasium, Matura und schließlich das Studium der Physik an der Karl-Franzens-Universität Graz. Da war er bereits mit dem Theatervirus infiziert, ausgelöst durch seine intensive Beschäftigung mit Gerhart Hauptmanns „Rose Bernd" im Rahmen des Deutschunterrichts am Abendgymnasium. „Einige Jahre später ist mir bei einem Spaziergang an der Mur das Stück ‚Zyankali 2000‘ eingefallen", erinnert sich Wolf. Das Stück, in dem sich die einzigen Überlebenden der Apokalypse darum streiten, ob man sich ebenfalls umbringen oder lieber ein „neues Volk" gründen soll, war ein Volltreffer: Der Suhrkamp-Verlag druckte es in seiner Theater-Anthologie „spectaculum 69" ab - gemeinsam mit Texten von Einar Schleef, Botho Strauß und Rainald Götz - und nahm den Grazer Autor unter Vertrag.
„Zyankali 2000" wurde 1998 im Grazer Next Liberty uraufgeführt und hatte 2000 seine Premiere in Bulgarien und Deutschland. Es folgten in kurzer Zeit die Stücke „Die Unterschrift" (UA steirischer herbst 1999), „Kopfäktschn" (UA Volkstheater Wien 2000), „Im Club der einsamen Herzen" (UA forum stadtpark theater Graz 2001), „Frankfurt - New York" (Szenische Lesung in Frankfurt 2001), „Der Russland-Salon" (UA 2001 steirischer herbst/Rabenhof-Theater). Weitere Stücke und Texte erblickten teils in Literaturzeitschriften, teils als Hörspielproduktionen im ORF Radio das Licht der Öffentlichkeit.
„Beim Schreiben muss ich zuerst ein Bild bzw. die Bühne im Kopf haben, damit es losgehen kann. Nur von einer Idee kann ich nicht ausgehen; aber wenn die Bühne ‚steht‘, ist auch das Stück bald da", erzählt der Dramatiker. Die meisten von Wolfs Stücken öffnen Spannungsfelder, wo die Auswirkungen von Gier, Irrwitz und Unausweichlichkeit auf die conditio humana untersucht werden, wobei das Groteske nicht zu kurz kommt. Bestes Beispiel: Das Stück „Kopfäktschn", in dem der Wissenschaftler Carlsson zur Rettung der Menschen vor dem Verlust der Sprache einen Kopf vom Rest des Körpers getrennt hat und nun versucht, ihn zu „psychosozialisieren". Der Kopf rotiert im Kreis und wehrt sich mit philosophischen Volten gegen die Versuche des Wissenschaftlers.
„Robert Wolfs Arbeiten zeichnen sich durch einen aberwitzigen Ansatz aus, den es in der dramatischen Literatur nicht allzu oft gibt", meint der Regisseur Michael Schilhan, der die Uraufführungen von „Zyankali 2000" und „Kopfäktschn" inszenierte. Und weiter: „Wolf schafft es, physikalische Gesetzmäßigkeiten, das Ringen um Sprache und literarisches Suchen zu kombinieren und damit eine nicht gerade ermutigende gesellschaftspolitische Analyse zu erzwingen; er steckt die Figuren in Versuchsanordnungen, scheinbar irreversible Situationen und ‚Miteinanderlebensexperimente‘, aus denen es kaum ein Entkommen gibt und in denen jeder Fluchtversuch in eine banale Realität mit ‚absoluter Strenge‘ (‚Zyankali 2000‘) bestraft wird."
Nach dem Zwei-Personen-Stück „Magenta" (UA 2002 am Landestheater Salzburg) - geschrieben für den gleichnamigen Publikumsliebling des österreichischen „Big Brother"-Verschnitts „Taxi Orange" - und dem Hörspiel „Der Vergelter" (2003) wurde es ruhiger um Robert Wolf. Nach der Geburt von Zwillingen und dem Umzug in die Oststeiermark konzentrierte er sich auf seinen Brotjob als technischer Redakteur in einem Grazer Unternehmen. 2007 wurde sein vorerst letztes Stück „Wach auf, mein Engel" im Grazer „Nice Little Theater" von Lechthaler-Belic uraufgeführt.
Doch nun meldet sich der Dramatiker nach mehrjähriger Absenz wieder zurück: mit dem Kinderstück „Kommissar Angelotti und die Buchstaben", dessen Rechte sich wieder der Suhrkamp-Verlag gesichert hat. „Für Kinder schreiben ist sehr spannend, weil sie in ihren Reaktionen absolut ehrlich sind", sagt Wolf. „Außerdem wirken die Vorgänge im Theater auf sie viel unmittelbarer als auf Erwachsene, das muss man beim Schreiben berücksichtigen."
Zurzeit schreibt Robert Wolf an einem weiteren Kinderstück, das 2014/15 in Graz zur Uraufführung gelangen soll. Dabei wird er wieder von Regisseur Michael Schilhan begleitet. „Robert Wolf arbeitet vorbildlos, er scheint sich dem Theaterbetrieb vollkommen zu entziehen und macht keinen Unterschied, ob er für Erwachsene oder für Kinder schreibt", sagt Schilhan. „Die Umsetzung seiner Stücke ist aber in jedem Fall eine große Herausforderung für alle Beteiligten und fordert gutes darstellerisches Personal. Das ist gut so."
Werner Schandor
Stand: Jänner 2014