Wasser, dem man seine Tiefe nicht ansieht
Manfred Rumpl vollzog in seinen Romanen die Wende vom autobiographischen Schreiben zu den Schluchten der Zeitgeschichte.
Manfred Rumpl ist schwer zu übersehen, nicht nur wegen seiner Größe, sondern auch und vor allem wegen seiner Veröffentlichungen. Zehn Romane und einen Erzählband hat er seit 1993 publiziert, zunächst in deutschen, dann in österreichischen Verlagen.
Die Hauptfiguren seiner Bücher sind Außenseiter: Möchtegern-Schriftsteller, Fettsüchtige, verkrachte Philosophen. Der Außenseiter, den man am besten kennt, ist man selber. Und es überrascht nicht, dass Rumpl bei seinen ersten Romanen deutlich Maß an seiner eigenen Biographie nahm. Erfahrung sei der Schlüsselbegriff zu seiner Arbeit, hat er in einem Interview angemerkt. Erfahrung als „Grundlage der gestalterischen Phantasie". Erfahrung wolle er „in Form verwandeln". Der Autor stammt wie seine Figur Anatol Hofer aus der steirischen Provinz, es zieht ihn in die Stadt, in der Hoffnung, dort sein Glück zu machen. Dies erweist sich gelinde gesagt als schwierig. Im Schlüsselroman „Murphys Gesetz" (2003), der in Graz spielt, wird das schon im Titel deutlich.
Hofer hat ein Manuskript in seinem Gepäck, er möchte es möglichst bald gedruckt sehen und sucht in einschlägigen Lokalen Anschluss an die lokale Kulturszene, deren Akteure meist so ähnliche Namen tragen wie ihre realen Vorbilder. Brauer ist ein Dramatiker wie Wolfgang Bauer, Kren ein Aktionist wie Othmar Krenn, Kreuzbruch erinnert an den Lyriker Herwig von Kreutzbruck. Hofer setzt seine Hoffnungen auf den Herausgeber der Literaturzeitschrift „Blätter", doch der kann sich nur zu absurden Ratschlägen aufraffen, etwa einer konsequenten Kleinschreibung. Was hier als Literaturbetriebssatire geplant war, überzeugt nicht immer, zu unkonturiert geraten die mehr oder minder prominenten Protagonisten, die wohl Karikaturen ihrer selbst sein sollen. Hofer findet eher Kontakt zu den Randfiguren der Szene, und so gelingen einfühlsame Porträts des Malers Marin Petko und des Autors Peter Tertinegg - um gleich die Klarnamen zu nennen. Auch dem tragikomischen Anachronisten Kreutzbruck nähert sich der Erzähler mit einer gewissen Sympathie. Tragen Hofers literarische Bemühungen in diesem verdorbenen Umfeld keine Früchte, so steht auch sein Liebesleben in gnadenloser Parallelführung unter der Fuchtel von Murphys kläglichem Gesetz des Scheiterns. Da hilft nur die Flucht.
Manfred Rumpl übersiedelte nach Wien, seine Geschichten von den großen Niederlagen bescherten ihm erste Erfolge. Für sein Debüt „Koordinaten der Liebe" (1993) erhielt er den „aspekte"-Literaturpreis.
In Wien spielt der Roman „Zirkusgasse", dessen Held Franz Maria Graf sich einen Fettpanzer gegen die Zumutungen seiner Umwelt zugelegt hat. 170 Kilo wiegt er und ist im Doppelsinn beinahe unbeweglich. Da befreit ihn ein tödlicher Autounfall von seinen ihn erdrückenden Erziehungsberechtigten. Er zieht in das angenehm fremde, ihn nachhaltig verändernde Milieu der Zirkusgasse. (Eine Gasse dieses Namens gibt es in der Nähe des Pratersterns tatsächlich.) Dort macht er die Bekanntschaft eines Transvestiten, dessen Zuneigung ihn aus seiner Erstarrung löst. Zusammen mit den anderen Mietern setzt er sich mutig gegen einen Immobilienspekulanten zur Wehr, der das bunte Volk aus seinem Nest vertreiben möchte. So wird hier ganz gegen alle Erwartungen eine Befreiungsgeschichte erzählt, ein Wunder beinahe, aber ein durchaus glaubwürdiges.
In seinem jüngsten Roman „Ein Echo jener Zeit" (2012) wendet sich Rumpl den Schatten einer Vergangenheit zu, die nicht und nicht vergehen will. 60 Prozent unserer Landsleute wünschen sich laut einer aktuellen Umfrage einen „starken Mann". Und Politiker, die sich bedenkenlos aus dem Sprachschatz der Nationalsozialisten bedienen, haben hierorts ihre Abwahl nicht zu befürchten. Eine „geistige Erbkrankheit" nennt Rumpl diesen fatalen Hang zum Rechtsradikalismus.
Im Roman recherchiert eine junge Journalistin über den Nazi-Schergen Alois Brunner, der sein Exil unbehelligt in Syrien verbringt. Ihre Großmutter war seinerzeit mit dem Schlächter liiert, der für die Deportation von 100.000 Juden verantwortlich war. Die Journalistin wiederum verliebt sich in den Enkel eines seiner Opfer. Daraus ergibt sich eine spannende Konstellation, die nach Ansicht mancher Kritiker nach einer Verfilmung verlangt. (Was im Fall eines Romans ein zweischneidiges Kompliment ist.) Rumpls Absicht, „das Vorgestellte von einer übergeordneten Moral zu befreien, um es aus sich heraus sprechen zu lassen", kommt in der Verunsicherung der weiblichen Hauptfigur zum Ausdruck.
Einen weiten Weg auf steinigem Terrain ist Manfred Rumpl gegangen. Von den Einöden autobiographischen Schreibens in die Schluchten der Zeitgeschichte. „Als literarischen/stilistischen Faden kann man sicher meine Entwicklung hin zu einem Mehr an Klarheit sehen, d. h. meine Bemühung um Verständlichkeit, ohne dabei zu verflachen; wie ein klares Wasser (ein unterirdischer See), dem man seine Tiefe nicht ansieht."
Günter Eichberger
Stand: Mai 2013