Zur Sonne, zur Freiheit
Wie sich Like a Rolling Stone in Werner Schimpls Lichtkunst widerspiegelt.
Am 31. August 1969 betrat Bob Dylan nach dreijähriger Pause wieder eine Bühne. Es war das Ereignis des Isle of Wight-Festivals. Im Publikum befand sich damals auch der junge Werner Schimpl. 40 Jahre später hat Schimpl in seiner multimedialen Ausstellung „Like a Rolling Stone" im Joanneum den utopischen Freiheitsanspruch der 68er-Bewegung mit den durch immer perfektere Kontrollsysteme realen Freiheitsverlusten unserer visionsarmen Gegenwart in künstlerische Beziehung gesetzt.
Die Freiheit wird in Dylans berühmtem Song nicht absolut gesetzt, es ist eine Art Vogelfreiheit, mit der Aussicht auf den drohenden Untergang. „Du bist jetzt unsichtbar", heißt es gegen Ende, „du hast keine Geheimnisse mehr zu verbergen".
Als Leitmotiv von Werner Schimpls Arbeiten gilt nach Erwin Fiala eine „Sichtbarmachung des Verborgenen, den Sinnen Entzogenen, nicht Wahrnehmbaren". Licht in etwas bringen, eine Innenwelt nach außen projizieren, vielleicht das Innen und Außen im Lichtobjekt aufheben.
Zwei schwergewichtige Buchstaben (n und o) stehen direkt auf leuchtenden Glühbirnen, die zerbrechen könnten, aber erstaunlich stabil sind. „message 09" präsentiert eine zwiespältige Botschaft, denn aus „on" wird auf der Rückseite „no". Das Anagramm verweist darauf, dass Freiheit leicht in Unfreiheit umschlagen kann, dass aus Revolutionen totalitäre Regime entstehen können.
„How does it feel", fragt der Refrain von „Like a Rolling Stone" immer wieder, und wie es sich anfühlt, zeigt möglicherweise die gleichnamige Lichtinstallation. Eine lebensgroße männliche Gipsfigur, ein Abguss vom Körper des Künstlers, und ein weiblicher Torso werden durch Projektionen miteinander verbunden, wodurch der Eindruck der Bewegung, des Schwebens entsteht. Zu einer wirklichen Vereinigung kommt es nicht. Die Verbindung ist nur eine scheinbare, ein Lichtspiel, eine Sinnestäuschung; die Geschlechter bleiben für sich.
Voraussetzung jeder Befreiung sei eine freie Sexualität, war eine der Losungen von 1968. Dreißig Jahre später resümierte Klaus Theweleit: „Mit freier Sexualität befreit man gar nichts, nicht mal sich selber." Kultur beruht auf Triebunterdrückung, Kunst kann die Triebstruktur wieder aufdecken. Aus dem offenen Gitarrenkasten wachsen drei erigierte Phalli heraus. „Zyrhosa" nennt sich die Skulptur, weil der Sand, aus dem die Geschlechtsteile gefertigt wurden, aus Zypern, Rhodos und der Sahara stammt. Nicht ohne Ironie klingt auch Zirrhose an, die Organverhärtung, die als Zersetzung endet. „Zyrhosa" lässt sich durchaus als Parodie auf die Kraftmeierei, die Potenz aus dem Stromkabel, die Klischees und Posen der Rockmusik sehen. Die Gitarre als verlängerter Penis.
Die Originalfotos vom Insel-Festival zeigen überraschend eine andere Seite. Ein Lichtstrahl trifft den Spazierstock eines Besuchers, so dass dieser für einen Moment wie ein leuchtender Hirtenstab aussieht. Das Konzert als spirituelles Gemeinschaftserlebnis? Dylans Auftritt im weißen Anzug wurde von manchen mit Jesus verglichen, andere erkannten im geschäftstüchtigen Musiker, der für sein knapp einstündiges Konzert eine astronomische Gage erhielt, den „Weißen Hai".
Das „Tischchendeckdich" aus dem Grimm-Märchen bietet auf Befehl Speis und Trank bis in alle Ewigkeit, Schimpls Wunderlade enthält die Rolling Stones bei ihrem Hyde Park-Konzert von 1969, sie bleiben aber stumm, es erklingt Dylan, privat und illegal mitgeschnitten auf der Isle of Wight. Eine Verfremdung, die unsere Ohren nicht trauen lässt, was die Augen ihnen vermitteln.
Werner Schimpl hat eine Reihe von spektakulären Großprojekten realisiert („U-Boot", 2005, ein Lichtkunsttunnel mit Taschenlampen unter dem Andreas-Hofer-Platz; „Black Box", 2006, eine gesamte Schlafzimmereinrichtung bewegt sich unentwegt von der Decke bis zum Boden). Am eindrucksvollsten ist die Kreisverkehrs-Intervention „Sonnenauge" (2011) in Hollenegg. „Das menschliche Auge, unser Lichtorgan, möchte ich in diesem Projekt als Schnittstelle zwischen der Außen- und der Innenwelt besonders hervorheben. Es steht auch symbolisch für erneuerbare Energie", erklärte Schimpl bei der Eröffnung. Über die „Iris des Auges", eine Solarzellen-Scheibe, wird mittels Fotovoltaik Energie aufgenommen. Die speist eine andere Scheibe als Lichtquelle in zwölf Meter Höhe. Im Idealfall soll an diesem Ort 24 Stunden lang die Sonne scheinen.
„Freisein heißt, mit den Regeln in Konflikt zu kommen", sagt Werner Schimpl und seine Arbeiten führen diese Diskrepanz vor Augen. Ein Instrument mit Maulkorb, zum Friedenszeichen geformt. Die Zunahme der Kontrollmechanismen - der große digitale Bruder, symbolisiert durch Lochkarten - gefährdet den Freiheitsanspruch, wie naiv und überzogen er auch immer gewesen sein mag. Und aus dem Frieden wird Friedhofsruhe. Die große Freiheitsschau endete mit diesem finsteren Bild.
Günter Eichberger
Stand: Jänner 2013