Das Bild hat gesprochen, nicht das Motiv
Der Maler Lalo Srkalovic ist nicht nur mit einem fundierten und hintergründigen Wissen zur bildenden Kunst ausgestattet, sondern gibt dieses Wissen auch offenherzig weiter.
„Ich war schon als Kind anders, ein bisschen ein Träumer", erinnert sich Lalo Srkalovic, während er genüsslich an seiner Zigarette zieht. Extrem ruhig und besonnen erzählt er aus seinem vielschichtigen Leben, ein Leben voller Turbulenzen mit einer steten vertraulichen Konstante: die Kunst und die Liebe und Leidenschaft zu ihr. Geboren in Tesanj in Bosnien-Herzegowina, in einer Zeit, als Europa in West und Ost geteilt war. Dazwischen lag das von Tito autoritär geführte vielvölkische Jugoslawien, das sich weder noch zugehörig fühlen wollte. Gelebt hat Srkalovic in Gorazde. Für ihn war es die Zeit des künstlerischen Erwachens: Sein Vater - ein europäisch orientierter Mann - war Zugbrückenbauer und ein guter Zeichner, ebenso seine Mutter. Nach dem Tod des Vaters hat Srkalovics Mutter ein Zimmer an einen Architekten vermietet, der Srkalovic in seiner Zeichenkunst förderte: „Er kaufte mir das Material und brachte mir bei, wie ich schauen soll, weil ein Künstler schaut anders".
Mit 14 Jahren konnte er seine expressionistischen Ölbilder erstmals in einer Ausstellung, die sein Zeichenprofessor organisiert hat, präsentieren. Es waren Stadtbilder: „Da hat das Bild gesprochen und nicht das Motiv." Studiert hat er dann in Sarajevo an der Akademie der bildenden Künste: „Das war gut, das war so richtig die alte Schule." - Viel theoretischer Unterricht und jeden Tag stundenlanges Aktzeichnen mit Modellen: „Wenn du das kannst, dann kannst du alles", meint Srkalovic im Rückblick. Er hat damals nicht nur alles Wissen über die Malerei gesammelt, sondern auch ein Heft über Maltechniken angelegt. Deshalb klingt auch sein Zugang zur Malerei tiefgründig: Die Theorie der Komposition ist die Grundlage für die abstrakte Kunst. Abstrakte Kunst gelingt nur dann, wenn man die klassische Malerei versteht.
„Zuerst muss in meinem Kopf klar sein, was ich malen will. Zuerst ist immer die Idee der globalen Wirkung des Bildes in Zusammenhang mit den Elementen: Dunkel und Hell, Atmosphäre, Leichtigkeit und Zartheit". Der Frage „Was fehlt in dem Bild?", die sich Hobbymaler immer wieder stellen, hält Srkalovic entgegen: „Was ist zu viel in dem Bild?" - Denn Abstrahieren heißt Weglassen. Was als wesentlich übrig bleibt, wird auf seine kompositorische Wirkung hin abgeklopft: Das Horizontale stabilisiert die Komposition, und man spürt in einem Bild Ruhe, Dynamik, Bewegung und Wirkungen. Durch Bewegung kommt Kraft ins Bild. Das Element einer Teilung in Vorder- und Hintergrund, wie es in Leonardo da Vincis „Abendmahl" zu sehen ist, spielt auch in der abstrakten Malerei eine große Rolle: „Meine Vorstellung von einem abstrakten Bild besteht darin, dass ich es als ein reales Ding betrachte. Ich würde es nicht als abstraktes, sondern als konkretes Bild bezeichnen. Das Wesen eines solchen Bildes entstammt dem schaffenden Akt des Bewusstseins eines Künstlers". Dem entsprechen auch seine Bilder: Kompositionen, in denen Ruhe, Energie und Dynamik gleichermaßen zum Ausdruck kommen.
Srkalovic lässt in seiner Malerei viel und unterschiedliches Wissen einfließen. Ob abstrakt oder konkret, ob Öl, Acryl oder Aquarell - jedes Bild steht für sich. Und wird dennoch von märchenhaften Texten begleitet, die Srkalovics künstlerische Vorstellungen unterstreichen. Sein umfangreiches Wissen behält Srkalovic nicht für sich - in zahlreichen Kursen bringt er interessierten Menschen die Malerei näher. Schon in Bosnien hat er elf Jahre lang unterrichtet - jetzt findet er alte Freunde wieder über Facebook. Der traumatische Einschnitt und auch damit der Grund, warum er 1992 in Graz gelandet ist, war der Krieg in Bosnien und im ehemaligen Jugoslawien. Man spürt, dass die Erinnerung daran noch immer schmerzhaft ist und dass es viele Jahre gedauert hat, bis der Maler mit Kopf und Herz in der Steiermark und in Graz angekommen ist: „Ich habe geistig in Bosnien gelebt und körperlich in Österreich." Für ihn war der Gedanke sehr schwer, ein Flüchtling zu sein. Seit 2001 ist Srkalovic österreichischer Staatsbürger. Auch als Maler, der in seiner Heimat anerkannt und bekannt war, hatte er es schwer: „Die ersten zwei Jahre hab ich nur auf der Straße gemalt." - Er wollte Porträts malen, das habe aber nicht funktioniert, weil Graz in dem Sinn keine Touristenstadt sei. Er hat dann auf Stadtmotive umgesattelt und dann kam sein erster Auftrag: Das Bemalen einer Hausmauer - die er mit Walen und Mädchen gestaltete. Redet Srkalovic über seine Arbeit, wirkt er nachdenklich, überlegt und versonnen: „Ich bin nicht streng, sondern mit Ernst bei der Arbeit." Nach 20 Jahren klingt es so, als wäre sein Leben in Graz angekommen: zahlreiche Ausstellungen, Lehraufträge, Workshops und viele Freunde und Bekannte, ein künstlerisches Netzwerk, das ihn und seine ebenfalls malende Frau hier begleiten.
Eine kleine Geschichte
von Lalo Srkalovic
Einst gab es einen Maler namens Artis, auf dem Schlosshofe des Königs Arturius, im Dienste seiner Majestät stehend. König Arturius wusste oft an den Bildern des geschickten Artis Begeisterung zu finden.
Eines Tages brachte Artis eine neue Leinwand vor seinem König zur Schau.
Ein wunderschönes Segelschiff bahnte sich den Weg durch die mächtigen Wellen der hohen See.
König Arturius gefiel das Gemälde. Im Wunsch, die Freude mit seinen Gefolgsleuten zu teilen, ließ er sie kommen, damit sie sich gleichfalls das Bild ansehen: „Sehet das neue Werk meines Malers Artis, so Eure Meinung ich nun hören möchte!"
Die Aufmerksamkeit der Berater und Bediensteten war lange auf das Gemälde gerichtet, abschätzend und mit prüfenden Blicken. So sprach schließlich einer offen:
„Eure Hoheit, das Bild ist schön, nur das Schiff ist zu klein für solch ein enormes Segel."
„Mit Verlaub Eure Majestät, das Segel ist nicht zu groß, sondern die Wellen zu stark", sagte ein anderer.
„Ach nein ... keinesfalls, dies hat schon seine Ordnung, aber das Bild offenbart uns keine genaue Trennung zwischen dem Meer und dem Himmel", warf ein anderer ein.
Und nachdem mehr und mehr Einwände und Beschwerden auf des Bildes Rechnung fielen, löste der König den Knoten der Spannung auf: „Lassen wir doch den Maler selbst etwas über das Gemälde berichten."
Der Maler sagte nichts. Schweigend, als er langsam dem Bild näher kam, trat er mit einem Bein über das Geländer auf das Schiffsbord, und die Gefolgsleute des Königs starrten verwirrt und lange stumm auf das am Horizont langsam verschwindende Segelschiff.
Ich versuche nur mein eigenes Schiff zu erbauen.
Galerie ARTIS - Jakoministraße 15, 8010 Graz
Petra Sieder-Grabner
Stand: Dezember 2012