Literarische Heldinnen auf großer Fahrt
Die Aventüren der Birgit Pölzl
Um die Erfassung und Analyse der Wahrnehmung - ganz ohne die Vermessenheit eines Vollständigkeitsanspruchs, dem das Besitzergreifen immanent wäre - geht es auch in ihren Texten. Sie sagt nicht: Ich beschreibe die Welt, darum existiert sie. Birgit Pölzl sagt: vorausgesetzt, die Welt um uns existiert, hat das, was wir von ihr wahrnehmen, mehr mit uns zu tun als mit ihr. Dass wir die Dinge um uns so wahrnehmen, wie wir sie wahrnehmen, hat allerdings mit unserer gesamten Entwicklung, Sozialisation und Lebenssituation zu tun, und das führt selbstverständlich wieder auf die Welt zurück, wie wir sie wahrnehmen.
Warum ist das so? Was nehmen wir also wahr und warum? Ich denke, dass diese Frage im Zentrum von Birgit Pölzls Interesse steht. Und in der Folge die Frage, was aus diesem Wahrnehmungsbild folgt, welche Konsequenzen sich daraus ergeben für individuelle und kollektive Lebensentwürfe, für das, was man als Gesellschaften bezeichnen kann, und für deren Paradigmen.
So experimentieren ihre Texte gerne mit unterschiedlichen Lebensmodellen, Birgit Pölzl schickt ihre Figuren - wie sie mir in einem Mail geschrieben hat - auf Aventüre, und was, wenn nicht die Aventüre, wäre der Inhalt menschlichen Erzählens von Anfang an? (Wenn ich hier einmal die Frage nach dem Wesen des Erzählens außen vor lassen kann.) In den meisten dieser Geschichten allerdings sind diejenigen, die die Aventüren bestehen müssen, männlich, und das wiederum ist etwas, was Birgit Pölzl konterkariert: ihre Helden auf großer Fahrt sind Heldinnen. Sie sind experimentierfreudig und mutig, auch wenn ihr Marktwert gerade einmal „ins Bodenlose" fällt, sie beobachten und sehen sich selbst dabei zu, erfahren Nähe und Verluste, Leidenschaft, Einsamkeit und vorsichtiges Herantasten an Freundschaft, und vor allem sind sie politisch: „Gier ist nicht Glück. Auch nicht die Befriedigung der Gier. Der Neoliberalismus hausiert mit dieser Lüge", zu diesem Schluss kommt eine von Birgit Pölzls Abenteurerinnen. Birgit Pölzl lässt jedoch auch keinen Ausweg im Eskapismus westlicher Prägung zu, in so einem „Kurs für Energiearbeit oder Kinäsiologie oder Bachblüten oder Reiki" oder gar im eklektischen Aufsuchen östlicher Sehnsuchtsorte inmitten einer unappetitlichen und schreiend ungerechten Slumrealität, die konsequent ausgeblendet werden muss. Wobei ohnehin gemutmaßt wird, „dass Gerechtigkeit das Ding nicht ist".
Ein Ausweg, so könnte man folgern, kann nur im eigenen Leben gefunden werden. Und damit ist der Raum für weitere Aventüren weit offen.
Olga Flor
Stand: April 2012
Bibliografie Birgit Pölzl
Birgit Pölzl: Seidenschrei. Roman. Leykam 2007
Birgit Pölzl: Zugleich. Roman. Leykam 2003
Birgit Pölzl: Die Leichtigkeit in den Nischen. Styria 1998
Beiträge in Anthologien
Subversionen. In: Schreibweisen. Poetologien 2. Zeitgenössische österreichische Literatur von Frauen. Milena Verlag 2010
Meditationen. In: 4Handschreiben. Poetische Interaktionen. Bibliothek der Provinz 2005
Und Anna. In: Sex. Volume II. Edition Kürbis 2005
Fiktiv, Marie! Biographischer Versuch zu Marieluise Fleißer. In: Kafka in Graz. Steirische Verlagsgesellschaft 2003
Beiträge in Literaturzeitschriften:
Die, die ich liebe. In: Kolik 41/2008
Möglichkeit. In: Kolik 38/2007
Nachbar. In: manuskripte 194/2011
Try to Get Liberated. In: manuskripte 189/190/2010
Das Weite suchen II. In: manuskripte 178/2007
Das Weite suchen I. In: manuskripte 172/2006
Schizophren. In: manuskripte 162/2003
Nachbarn. In: Lichtungen 129/1012
Paradies. Splitter. In: Lichtungen 109/2007
Gesichte. In: Lichtungen 106/2006
Bild mit Mutter. In: Ostragehege 49/2008
Graz im Gegenlicht. In: schreibkraft 07
Kohl und Geschwindigkeit. In: schreibkraft 05
Mildlicht und Ekstase. Die Presse. Spectrum, 22. 10. 2005
Ob Wonne so aussieht? Die Presse. Spectrum 5. 6. 2010
Herausgeberschaften
Harnoncourt, Pölzl, Rauchenberger (Hg.): 1+1+1=1 Trinität. Edition Korrespondenzen 2011
J. Rauchenberger, B. Pölzl (Hg.): Mein Bild - Meine Religion. Wilhelm Fink Verlag 2007
Dragana Tomasevic, Birgit Pölzl, Robert Reithofer (Hg.): Frauen schreiben. Positionen aus Südosteuropa. Leykam 2006
Birgit Pölzl (Hg.): Himmel. Edition Korrespondenzen 2003