Familie ist Alltag, Fotografie auch (*)
Christine Winklers Bilder haben starke erzählerische Kraft
Direkt zum *Update 2023
Christine Winkler besuchte die Ortweinschule und lernte dort unter Wolfram Orthacker die Fotografie kennen. Gleich mit ihrer ersten größeren Idee schaffte sie 2003 den Sprung in das Foto-Kunstmagazin „Camera Austria". „Milch und Honig oder: Dass ich eins und doppelt bin" heißt die Porträtserie, in der sie Mütter und Töchter gemeinsam auf ein Bild bringt. Die Serie wird auch heute noch fortgesetzt.
So einfach Winklers Vorgaben für die Mutter-Tochter-Serie klingen, so subtil sind sie. „Die Porträts sollen bei den Menschen zu Hause gemacht werden. Es gibt eigentlich nur die Vorgabe, dass sich Mutter und Tochter mit ihren Wangen berühren." Also, Wange an Wange, Haut an Haut, wenn man so will. Funktioniert oft, und es kommen wirklich interessante und wunderbare Porträts heraus, die viel von Bindungen und Schwingungen erzählen. „Aber manchmal schaffen es Mutter und Tochter nicht sich zu berühren, weil hier Grenzen überschritten werden." Und schon denkt man nach, weil Fotografieren hat ja viel mit Nachdenken zu tun, mehr als man glaubt.
Überhaupt ist das soziale Umfeld als Familie ein wesentlicher Bestandteil ihrer Kreativität. Neben abstrakten Arbeiten, beispielsweise Streifenbilder oder leere Räume, die stark mit der Suche nach Ruhe und Ausgeglichenheit einhergehen, macht die Fotografin ihren Alltag zum Feld ihrer Fotografie. Für die Zeitschrift Lichtungen suchte sie mit Werner Fenz Fotos zur Serie „Natura Vivente" aus, die sie in ihrem Haus am Kugelberg in Judendorf-Straßengel festhielten. „Da hat es jeden Tag einen Puppengeburtstag gegeben, oder zum Beispiel haben die Kinder ein Vogelnest nachgebaut und ich habe mich wahnsinnig gefreut, diese Welten zu fotografieren."
Die Fotografin legt Wert auf die Feststellung, dass ihre Bilderwelten nicht inszeniert sind. „Wenn ich meine Kinder beim Spielen fotografiere, vergessen sie, dass ich sie fotografiere." Stifte im Kinderbett, eine liegengelassene Gartenschaufel beim Blumenbeet oder eine leicht verloren wirkende Kinderkochschürze sind Fotos ihrer Serie „1000 Dinge an einem Tag", in der sie Momentaufnahmen zu einem fotografischen Tagebuch verarbeitete. Parallel dazu hat sie die Abläufe auch aufgeschrieben: „Rollos aufgemacht, Flaschi für Fiona gekocht, Saft aus dem Keller geholt, gemütliches Lager gerichtet." Ausgestellt waren die Fotos im Künstlerhaus bei „photo_ graz 08". Denkt die Fotografin daran zurück, muss sie lachen. „Da hat eine Besucherin tatsächlich gesagt: Oh Gott, wie furchtbar es bei Ihnen aussieht!" Frei nach dem Motto: andere räumen die Wohnung auf, Winkler fotografiert die Spuren, die die Kinder hinterlassen. Demgegenüber muss man sagen, dass die Bilder eine sehr starke erzählerische Kraft haben, von großer Natürlichkeit leben und den Einblick in eine Art gelebtes Familienparadies geben. Und das ist in der Praxis gar nicht so einfach zu organisieren, denn Winkler ist alleinerziehende Mutter. Eine der Tagebucheintragungen ging übrigens mit „acht Seiten gelesen, gelüftet, Licht ausgemacht" zu Ende. Klingt nach Erschöpfung, aber auch nach einem erfüllten Tag.
Winkler selbst sieht sich als sozialkritische Fotografin, die eben sehr stark ihr privates Umfeld in die Kunst einbringt. „Meine Kinder sind ein gewichtiger Teil meines Tages, dadurch sind sie auch Teil meiner Fotografie." Fiona, Emily und Belinda heißen ihre Kinder, sind sieben, fünfzehn und siebzehn Jahre alt. Und die sind auch Teil ihres nächsten Projekts: „Meine Kinder, wenn sie schlafen, kurz bevor sie erwachen bevor ich sie aufwecken muss", so Winkler.
Kurzbiografie
1972 geboren in Hart bei Graz, 1987-1992 HTBLA für Bildnerische Gestaltung in Graz, 1999-2001 Meisterklasse für Kunst und Gestaltung (Malerei) in Graz, 2002 Förderungspreis der Stadt Graz für Fotografie, 2011 Staatstipendium für künstlerische Fotografie.
Seit 2001 zahlreiche Ausstellungen, u. a. Forum Stadtpark, Graz; Siemens_artLab Wien; Minoritengalerien, Graz; Neue Galerie, Graz; House of Arts, Pecs; Galerija Photon, Ljubljana etc.
Publikationen: Camera Austria 81/2003; Lichtungen 94/2003; the smallest gallery-portfolio#1; kontra.punkte. Die Grazer Fotoszene im Rück/Blick; etc.
Homepage: www.christinewinkler.net
Martin G. Wanko
Oktober 2011
*Update 2023: Fortgesetzter Blick auf soziale Wirklichkeiten
Im Projekt „Spur - Von Mauern über Glück bis zu den Sternen" (2020/21) hat Christine Winkler hat ihr Selbstverständnis als sozialkritische Fotografin, die zudem bevorzugt ihr Umfeld abbildet, ausgelebt. Die Künstlerin war ab dem Spätsommer 2020 durch den Grazer Südosten gezogen und hatte in den Bezirken Jakomini, St. Peter und Liebenau Orte besucht, an denen das Amt für Jugend und Familie und seine Partnereinrichtungen aktiv sind. Mit ihrer Kamera begleitete sie Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen bei ihren Tätigkeiten und fotografierte Kinder und Jugendliche, die Angebote der Einrichtungen nutzten. Darüber hinaus hielt sie Markierungen und Spuren von jungen Menschen im öffentlichen Raum fest. Seit April 2021 sind rund 180 Fotos, die im Rahmen dieser Spurensuche entstanden sind, im Stiegenhaus des Grazer Amts für Jugend und Familie, Kaiserfeldgasse 25, ausgestellt.
Ausstellungen / Projekte / Publikationen ab 2011
2012: VERSO, Akademie Graz
„Christine Winklers Fotos erzählen von ihrem weitgehend unbeobachteten Alltag als Mutter von drei Töchtern, der uns zugleich fremd und vertraut ist."
2012: Zeit und Energie, K3, Pischelsdorf.
Christine Winklers nach „TEN DAYS - artists in residence": „Fern vom Alltag habe ich zehn Tage lang in Wort und Bild den Versuch von Antworten auf die gestellten Fragen dokumentiert."
2016: Fotografie, Werkstadt Graz/Galerie Grazy, Graz.
Ausstellungsteilnahme mit einer Serie von neun Farbfotografien (Natura Vivente II, 2016).
2016: Talks & Walks, kunstraum KULM, Pischelsdorf.
„Elemente & ..." Spaziergang mit Christine Winkler und „Automart" auf und rund um den Kulm.
2018: für Irmgard, Lichtungen 154/2018.
Präsentation der „Lichtungen", Ausgabe 154 im Literaturhaus Graz. Kunstteil: Christine Winkler: Kleine Dinge / Für Irmgard Schaumberger 1960-2018.
2018: Tandem, Museum für Geschichte, Graz.
Fotoausstellung im Rahmen des inklusiven Tanz-, Kultur- und Theaterfestivals.
2019: Real Magic, Forum Stadtpark, Graz.
Fotoausstellung.
2021: Spur - Von Mauern über Glück bis zu den Sternen
Amt für Jugend und Familie, Stadt Graz
2022: Steirische Fotobiennale „photo graz 022", Altes Kino Leibnitz
Arbeiten von 150 Fotokünstler:innen aus und in der Steiermark.
ARTfaces-Redaktion
Dezember 2023