Die Frau, ihre Reize und Tabus
Fotograf Heinz Reicher hat ein sehr reizvolles Betätigungsfeld für sich entdeckt: die konzeptionelle bzw. aktionistische Erotikfotografie
Künstler die sich über ihre Ziele im Klaren sind, haben den Vorteil, dass sie ihre Vorhaben punktgenau ins Visier nehmen können, um dann auf sie hinzuarbeiten. So gesehen beim Eckhaus-Gastronom und Fotografen Heinz Reicher, der ein sehr reizvolles Betätigungsfeld für sich entdeckt hat: die konzeptionelle bzw. aktionistische Erotikfotografie.
Es war vor 15 Jahren, da wurde es ihm zu viel: Gegenständliche Fotografie, so schön sie auch sein mag, der Baum wird immer der Baum bleiben. „Ich habe damals alles, was einen Schatten wirft, fotografiert, aber ich brauchte eine neue Herausforderung. Es war der Mensch, insbesondere die Frau. Und beim Thema Frau hat mich am meisten die erotische Fotografie interessiert."
Warum auch nicht, denkt man sich, aber trotzdem fragt man nochmals nach: Hey, warum eigentlich? „Ob dick oder dünn, ich fotografiere sie sehr gerne, aber keine Pin-ups oder so, nichts Billiges. Ich fotografiere sehr gerne Serien und Themen, die auch provozieren. Verbunden mit einem nackten Frauenkörper polarisieren sie dann noch stärker." So sind einige Serien durchaus gesellschaftskritisch gemeint. Bei stigmata oder good_friday_karfreitag hinterfragt der Fotograf zum Beispiel die Kirche und die damit verbundenen Zwänge.
Für seine Fotoserien inszeniert Heinz Reicher eine eigene aufwändige Welt. „Für meine Serie Klang.Farbe zum Beispiel bin ich auf einem Gabelstapler gelegen und habe vier Meter herab auf zwei Frauenkörper fotografiert, die mit Körperfarbe bemalen sich auf einem Klavier bewegt haben." Seine Art zu fotografieren hat einen speziellen Namen: „Tableaux vivants", Bilder, die eine Geschichte erzählen. Dafür hat er sich den Dachboden des Familienhauses zu seinem Fotostudio umgebaut.
Seine Bilder scheinen in einer hermetisch abgeriegelten, aber sehr ideenreichen Welt zu spielen, in der ein ganz eigener Sound entsteht. Die Modelle wirken selten glücklich, manchmal besessen, manchmal leicht verrückt, mitunter auch sinnlich. Meistens ist die Frau jedoch ein starkes Wesen, ein bestimmendes Wesen, auch ihren Schmerz trägt sie mit Stolz. Dazu schminkt Reicher seine Modelle selber und trägt Gegenstände ins Bild, die nötig sind, um dem späteren Betrachter eine Botschaft zu vermitteln. In einer Serie über die Stolpersteine in einer barrierefreien Welt zauberte er zum Beispiel einen Rollstuhl, einen Globus und sehr spacige Anzüge, die seine Modelle tragen, ins Bild. Oder die Thematik Gewalt in der Kindheit, in der Serie „death tolls", verlangte nach einer blutenden Puppe, dessen Schmerz sich mit dem erwachsenen Menschen verbindet.
Das Konzept ist für den Fotografen und das Modell im Vorfeld wichtig. „Wir besprechen persönlich, was wir tun wollen, so kann sich jeder darauf einstellen. Aber trotzdem bin ich in der Session immer offen für spontane Einfälle. Wenn sie gut sind, bauen wir sie dann in die Geschichte ein."
Bleibt abschließend noch die Frage, wie man denn zu den Models kommt? „Vorab muss ich sagen, dass ich noch nie etwas für eine Session bezahlt habe. Meine Akteurinnen erhalten eine Auswahl der Bilder als ‚Modelhonorar‘. Begonnen hat alles mit einem Inserat von zwei Mädchen, die Fotos von sich wollten. Auf das habe ich mich gemeldet. Heutzutage läuft es dann über Empfehlungen oder über meine Fotos, die die Menschen neugierig werden lassen. Ideen hätte ich genug, aber mehr als zwanzig Sessions im Jahr sind zurzeit nicht drinnen, weil im Lokal habe ich ja auch noch was zu tun!", meint der sympathische Gastronom vom „Eckhaus" gegenüber der Technischen Universität Graz. Ein Besuch im Eckhaus zahlt sich übrigen aus: Die Pizzen halten die halbe Universität am Leben, und bei einem Espresso oder einem Cocktail kann man die ausgestellten Bilder von Heinz Reicher betrachten.
Heinz Reicher, Jahrgang 1959, Autodidakt, eigene Dunkelkammer, bis 2006 ausschließlich analoge Techniken, seit Mitte 2006 digitale Fotografie. Mitbegründer von „verhackArt" (ein Projekt von künstlerischen Fotografen und bildenden Künstlern). Konzeptionelle und aktionistische Fotografie, Inszenierungen und Szenarien zu kontroversiellen Themen mit meist erotischem Hintergrund. Diverse Einzel- und Gemeinschaftsausstellungen.
Martin G. Wanko
September 2011