Mit freiem Herzen zum Tango (*)
Katja Krusche war bereits als bildende Künstlerin und Vokalimprovisateurin erfolgreich, bevor sie als Katja Cruz begann, Texte für eigene Tangos zu schreiben
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„Lieder zu schreiben, ist überraschend passiert", sagt die Sängerin Katja Cruz, die im November 2010 mit dem Album „Mi corazón" ihre bereits zweite CD mit Tangos vorlegte. Eines Abends, als sie in einer Bar auf einen Freund wartete, kam ein Text auf Spanisch wie von selbst und wurde umgehend zu Papier gebracht, noch am selben Abend fand sich am Klavier das melodische Grundgerüst des Stückes „Cuando vienes" („Wann kommst du?"). Es ist eines von acht eigenen Liedern auf Katja Cruzes neuer CD, die sie im September 2010 mit Marco Antônio da Costa (Gitarre), Heidi Savic (Akkordeon) Patrick Dunst (Klarinette) und Daniel Lima (Percussion) in Graz einspielte. Da Costa und Dunst haben auch maßgeblich zu den Kompositionen und Arrangements von „Mi corazón" beigetragen, auf deren insgesamt zehn Tracks sich die kühle Hingabe des argentinischen Tangos mit der Herzenswärme brasilianischer Lebensfreude verknüpft. Wenn man die CD hört, merkt man: Südamerika ist das Sehnsuchtsland der Katja Krusche, die sich seit Sommer 2010 Katja Cruz nennt.
Die Hinwendung zu eigenen Tangos ist nicht die erste überraschende Wendung in der künstlerischen Laufbahn der in Bad Gleichenberg aufgewachsenen und in Graz lebenden Sängerin, die über den Umweg der Bildenden Kunst zur Musik kam. Bereits in den 1990er-Jahren machte Katja Krusche mit expressiv-lebendigen Gemälden auf sich aufmerksam. Es folgten Arbeiten, mit denen die Malerin die Tür zur Musik aufstieß: Für die Grazer Kunstuniversität schuf Krusche in den späten 1990er-Jahren Hommagen an Arnold Schönberg, Alban Berg und Anton Webern. In diesen Großskulpturen, die nach wie vor am Gelände der KUG zu bewundern sind, übertrug Krusche wesentliche Merkmale der kompositorischen Prinzipien der Väter der Neuen Musik in die Strukturen der Plastiken, die von den Materialien Glas und Edelstahl dominiert werden. 2001 gestaltete Krusche schließlich im Auftrag des steirischen herbstes und von Wien Modern für die „Lichtstimme" in Georg Friedrich Haas‘ Orchesterwerk „In Vain" eine Lichtkomposition. Über ihre intensive Beschäftigung mit den eher strengen Strukturen und oftmals sperrigen Ansätzen der Neuen Musik, die ihre bildnerische Arbeit befruchtete, gelangte Katja Krusche in die offenen Gefilde der Improvisationsmusik.
„Mein Schlüsselerlebnis hatte ich bei einem Konzert des Schweizer Saxofonisten Urs Leimgruber mit dem Pianisten Jacques Demierre. Ich war so fasziniert, in die Klangwelt dieser Improvisationen zu tauchen, denen sich die Musiker mit Ernsthaftigkeit, Spaß und Expressivität hingegeben haben, dass ich dachte: Moment, es geht auch anders!" - In der Folge widmete sich Katja Krusche der Vokalimprovisation, und sie begab sich, inspiriert von großen weiblichen Avantgardestimmen des Jazz, auf die „Suche nach der Ursprünglichkeit und Natürlichkeit in meiner Stimme". Zahlreiche Konzerte und mehrere international rezipierte CDs kann Katja Krusche als Impro-Sängerin auf der Habenseite verbuchen: „I am One" (2008/09) mit ihrem langjährigen Partner, dem Akkordeonisten Martin V. Krusche, und - bereits als Katja Cruz - „Primeval Sounds of the World" (Frühjahr 2010) mit dem Saxofonisten Thomas Rottleuthner. Beide sind beim Londoner Label „Leo Records" erschienen.
Nicht nur ihr auf Improvisationsmusik spezialisiertes Label, auch Katja Krusche/Cruz selbst hatte anfangs Bedenken, sich nach den völlig freien Stücken ihrer Impro-CDs wieder den relativ festen Schemen des Tangos zuzuwenden. „Früher war ich strenger zu mir, und ich bildete mir ein, ich müsste auf einer Linie bleiben", sagt Katja Cruz. „Jetzt sehe ich: Es gibt einfach so viele Seiten, die alle gelebt sein wollen." Womit wir wieder beim Titelthema von Katja Cruzes „Mi corazón" wären: Dem Wunsch nach einem Herzen, „das groß und frei sein darf." Wie das klingt, davon kann man sich nicht nur auf CD, sondern immer wieder auch live ein Bild machen, wenn Katja Cruz mit Heidi Savic am Akkordeon ihre Tangos singt bzw. mit Marco Antônio da Costa an der Gitarre auch einen Tanzschritt in Richtung Bossa Nova wagt.
CDs von Katja Cruz/Katja Krusche:
• Katja Cruz: "Mi corazón", Leo Records 2010
• Katja Cruz: „Primeval Sounds of the World", Leo Records 2010
• Katja Krusche/Martin V. Krusche: "I Am One", Leo Records 2009
• Katja Krusche/Martin V. Krusche: "Cantango", CD Baby 2008
Werner Schandor
Dezember 2010
*Update 2023: Die Phönix-Frau
Katja Cruz hat sich in den letzten Jahren nicht nur namentlich als Liberty C. neu erfunden. Auch musikalisch bedient sich die Grazer Sängerin und Songwriterin, die man bislang im experimentellen Jazzumfeld verortete, neuer Klänge aus dem tonalen Vokabular des Pop und R&B. Allein im Winter 2022/23 hat sie unter diesem Namen vier neue Tracks veröffentlicht. „Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass Songs einfach aus mir herauszusprudeln beginnen. Und das war für mich eine sehr spezielle Erfahrung, zu merken, dass es in einem selbst einen Fluss gibt, den man nicht stoppen kann, obwohl man vorher die Entscheidung getroffen hat, eigentlich keine Musik mehr machen zu wollen", gibt sie dem Magazin Mica Music Austria (2021) zu Protokoll.
2021 war das Jahr ihrer Neu-Erfindung, in dem sie das Album „Free to Be Me" vorlegte. „Ich hatte gerade meine letzte experimentelle CD herausgebracht und das Gefühl, dass ich irgendwie an einem Ende angekommen bin und es einfach nicht mehr in diese Richtung weitergehen kann", sagt Liberty alias Katja. Auf die Frage, warum sie gerade das Pseudonym Liberty C. für sich gewählt hat, antwortet sie: „Zu meinem Künstlernamen hat mich die Freiheitsstatue inspiriert, die ja Lady Liberty heißt, das ist ein schönes und starkes weibliches Symbol, das für persönliche Freiheit und Selbstbestimmtheit steht."
Die Sängerin gibt ihr umfassendes Know-how auch als Gesangslehrerin weiter.
Alben
- 2021: Liberty_C., Free to Be Me, with Boris Schnelzer, Nicolo Loro Ravenni, Out of Red Records
- 2019: Cool Pop!, with Ernesto Grieshofer
- 2018: You Make Me Feel Good, with Armin Pokorn, Thorsten Zimmermann, Roli Wesp, Ernesto Grieshofer
- 2017: Purity, with Roli Wesp, Klemens Pliem
- 2016: I Am The Wind, live at Porgy & Bess, with Darius Jones, Howard Curtis
- 2014: Hexaphone feat. Oliver Lake, with A. Massaria, P. Dunst, P. Lechner, H. Curtis, Rudi Records, Rom
- 2012: Lightning And Thunder, with Howard Curtis
Auszeichnungen
- Best Vocal Release 2014 - The New York City Jazz Record, for Hexaphone feat. Oliver Lake
- Best Vocal Release 2012 - The New York City Jazz Record, for Lightning & Thunder
ARTfaces-Redaktion
Dezember 2023