Oberflächen mit Tiefgang
Lisa Reiters Objekte, Installationen und Bilder bestehen aus Kupferrohren, Dämmplatten, Wachs oder feinen Nylonstrumpfhosen, die durch ihre Inszenierungen mit Poesie und verletzlicher Schönheit aufgeladen werden.
Reiter verwendet Materialien, die einem aus der Alltagsszenerie bestens bekannt sind und die nun für sich selbst sprechen dürfen. Nicht immer sind es fertige Geschichten, oft sind es kleine Impulse, die wie ein gut geschriebenes Gedicht direkt unter die Haut der Betrachter*innen gehen.
Poetische Extrakte des Alltäglichen
Geboren in Oberösterreich, besuchte Lisa Reiter die HBLA für künstlerische Gestaltung in Linz, absolvierte ein Semester an der Akademie der bildenden Künste Wien und begann danach eine Lehre samt Meisterprüfung als Buchbinderin in Graz. In der Grazer Innenstadt betrieb sie ab 2017 gemeinsam mit der Wiener Künstler Peter Oswald das Atelier „Das Uhrwerk", das auch als Ausstellungsraum in einer ehemaligen Uhrmacherei fungierte. Lisa Reiter lebt aktuell in Wien und studiert an der Kunstuniversität Linz „Plastische Konzeptionen / Keramik".
Kunst auf Feinstrumpfhosen
Unzählige Stunden im Aktsaal ließen sie auf die Suche nach einem neuen Medium für Akte gehen, das sie in Feinstrumpfhosen fand. Auf dem transparenten, strapazierfähigen, aber doch extrem empfindlichen Material brachte sie ihre Körperdarstellungen in einer Mischung aus Nähen und Sticken an. Noch lebendiger sind diese Bilder, denen herabhängende Fäden eine große Portion Schwerkraft und Dynamik verleihen, wenn man sie nicht an die Wand hängt, sondern gegen das Licht hält. Der Hang zur Mehrdimensionalität zeichnet sich hier schon ab. Ihre erste Soloausstellung bestritt Reiter mit genau diesen Arbeiten im Kunstraum Gotische Halle in Graz („Nach Strich und Faden", 2016). Auf Einladung von Kevan Paydar wagte sie in der Kunstgalerie „Bordsteinschwalbe" mit der Intervention Darunter, Füll' die Lück', 2017 den Sprung von der gar nicht so flächigen Arbeit in den Raum. Für die Buchpräsentation von Volha Hapeyevas Lyrikband „Mutantengarten" ahmte sie 2021 im Afro-Asiatischen Institut Graz den klaren Rhythmus und die Struktur der Gedichte in einer Installation nach, für die sie kleine Wachswürfel mit eingegossenen Nylonresten von der Decke hängen ließ. Und irgendwie beschreiben umgekehrt auch die Worte der belarussischen Poetin, die 2019/20 Grazer Stadtschreiberin war, den Zugang und die Arbeitsweise der Künstlerin Lisa Reiter:
schwerelosigkeit
hebt dich auf - du fliegst in den raum
bis es zeit ist zu landen
innerhalb fester grenzen
in einem konkreten land
einer wohnung
einem anderen körper
Raum als eigenständiges Medium
Genauigkeit und intrinsisches Interesse für Materialien, an denen Menschen ihre Spuren hinterlassen haben, sorgen für die Spannung und Stärke, die aus Reiters Werken hervorgehen. Als Bildhauerin arbeitet sie nicht nur in den Raum hinein, er darf als selbstständiger Teil bei der Gestaltung mithelfen. Dabei lässt sie sich von den Orten inspirieren, an denen sie sich gerade aufhält, und sie weitet den Raumbegriff auch auf zwischenmenschliche Bereiche aus. „Mich interessiert, welche Spuren menschliche Interaktionen hinterlassen und wie Räume im erweiterten Sinne Realität und Utopie formen. Es begeistert mich, wie sich die Umgebung als formgebendes Element in meine Arbeiten, sei es in Skulptur oder Installation, einbringt", sagt sie.
Für die Arbeit „calendar" (2024) nahm sie die Kratzer, Löcher, Linien und Schmutzflecken auf den Fenstern einer alten Metallwerkstatt auf Papier ab und machte daraus Monatskalender. Jeder Monat weist in der limitierten Auflage ein eigenes, von den Gitterfenstern abgenommenes Muster auf. In Kombination mit den Kalendertagen, die lose über die Muster platziert sind, wirkt das Blatt wie eine geografische Karte von nicht ganz fertig erforschten Inseln. Man weiß nicht, wohin die Reise geht, hat aber etwas zum Festhalten dabei. Sie referiert an die Monatskalender in ihrer eigenen Familie und thematisiert Abschied und Neubeginn in einer Lebensphase, in der die Kinder eben von zu Hause ausziehen.
Spuren und Grenzen
Die Intervention „finding room between opposites" (2023) am Brückenkopfgebäude der Kunstuni Linz untersuchte den denkmalgeschützten Gang des Gebäudes, das zwischen 1940 und 1943 erbaut wurde, auf kleine Kratzer, Dellen und Abschürfungen an den Wänden und markierte diese mit Nylonflock. Kleine, rosafarbene Wundmale, sachte verstreut auf den weißen Flächen, erzählen davon, dass hier vor einem selbst auch jemand da gewesen ist, dass hier etwas passiert ist. Die Arbeit schließt an die Keramik-Serie „Der Schnee rund ums Haus" (2022) an, für die sie kubische Gebilde vor dem Brennen mit Spanngurten bearbeitet hat. Ein samtiger Firnis lässt die Keramiken wie nachgiebigen Schaumstoff aussehen - ein Spiel mit der Optik, das die Quetschungen und Manipulationen durch den Druck noch deutlicher hervorhebt. Ebenfalls um Grenzen und Durchlässigkeit, um die Verbindung von häuslichen und industriellen Räumen geht es in ihrer Arbeit „grids, breath and a windowsill" (2024). Während ihres vom Land Steiermark mit einem Stipendium unterstützen Atelier-Aufenthaltes in Budapest hat sie im Frühjahr 2024 Hunderte Handyfotos von Fenstern und vor allem Fenstergittern gesammelt. In einer von ihr selbst entwickelten Technik schabt sie die Strukturen und Umrisse der Motive aus eingefärbtem Kleister („So wie ein Stich, aber nur mit viel, viel weniger Gewalt") und rahmt die Bilder in Rahmen aus Pappe, überzogen mit den gleichen Papieren ein. In dieser Serie verbindet sie bewusst ihre handwerklichen Fähigkeiten mit ihren künstlerischen Intentionen, verarbeitet Leim und Papier aktiv in ihren Werken. Diese handwerklich-künstlerischen Fähigkeiten der Buchbinderei vermittelt sie seit 2020 auch Studierenden des Master-Studiums Communication Design an der FH Joanneum im Rahmen eines Lehrauftrags.
Auszeichnungen und Ausstellungen
Lisa Reiters Arbeiten waren unter anderem in Ausstellungen im Kunsthaus Graz, im Schaumbad, in der Galerie Eugen Lendl, bei der Premio Faenza in Italien, in der Galerie im Glashaus, Ottensheim, auf der Parallel Vienna und in der Neuen Galerie Graz zu sehen. 2021 erhielt sie den Morgensternpreis des Landes Steiermark und der Kleinen Zeitung sowie den Kunstförderungspreis der Stadt Graz. Ihre Arbeiten sind Teil der Sammlung der Neuen Galerie Graz und der Stadt Graz. 2023 wurde sie für den 62. Faenza Ceramics Prize nominiert.
Zur Website von Lisa Reiter: lisareiter.com
Lydia Bißmann
Mai 2024