Anschleichen ans Zentrum
Die Fotografin Silvia Hödl durchstreifte Split und fing in ihren Bildern, über die Architektur der jugoslawischen Moderne reflektierend, die besondere Atmosphäre der zentraldalmatischen Hauptstadt ein.
„Vuk" (Wolf) lautet der Arbeitstitel für die Fotoserie, die Silvia Hödl während ihrer Auslands-Residency in Split angefertigt hat: Der Name „Vuko" stand auf dem Türschild einer ihrer Unterkünfte in Split, wo die steirische Fotografin scheinbar Nebensächliches ins frühsommerliche Licht der Küste Dalmatiens rückte. Zwei Monate - von Ende April bis Ende Juni 2023 - verbrachte Hödl im Rahmen des Atelier-Auslandsstipendiums in Split, zwei Wohnungen in unterschiedlichen Stadtteilen konnte sie während dieser Zeit nutzen und dadurch zwei unterschiedliche Umgebungen erkunden. „Jeden Tag erforschte ich neue Gegenden in meinem Umfeld, stets auf der Suche nach neuen Motiven und Ideen für meine fotografische Arbeit", berichtet die Künstlerin.
Jugoslawische Moderne
Gemeinsam mit Julia Gaisbacher war Silvia Hödl Gast des kroatischen „Artist in Residence"-Programms „Motel Trogir", das sich unter anderem der Erkundung und Vermessung der jugoslawischen Architektur der Moderne verschrieben hat. Benannt ist das Residency-Programm nach einer 1965 errichteten, mittlerweile verlassenen, aber architektonisch interessanten kleinen Hotelsiedlung in Trogir, unweit von Split.
Silvia Hödl, die 2022 das Grazer Forum Stadtpark und seine Umgebung in der Arbeit „Ein Kastanienbaum für Heidrun oder wer gießt die Blumen" fotografisch erkundete, rückte auch in Split die Wechselwirkung zwischen Architektur und Umfeld in den Fokus ihrer Arbeiten. „Der Stadtteil Split 3 besteht aus sehr eindrucksvollen, großteils modernistischen und massiven Bauten, an die ich mich in der ersten Hälfte meiner Residency angenähert habe", berichtet die Fotografin. „Ausgehend von diesem Stadtteil kam ich dem Zentrum von Split immer näher. Es erinnerte mich an das Anschleichen eines Tieres in eine neue Umgebung." - Die Ortwein-Absolventin (Kolleg für Fine Art Photography & Multimediaart) weiß, wovon sie spricht, denn bevor sie sich der Fotografie als Kunstform zuwandte, hatte sie bereits einen Master-Abschluss in Zoologie. Die Residency in Split, wo sie sich ganz auf ihre künstlerische Arbeit konzentrieren konnte, erlebte sie als „fantastische Möglichkeit, mein kreatives Schaffen zu erweitern und festigen."
Ein Wolf bestimmt die Atmosphäre
Im Stadtteil Lovret, wo sie den zweiten Teil ihres Aufenthalts verbrachte, bestimmte quasi erneut ein Wolf die Atmosphäre, nämlich der Architekt Vuko Bombardelli, der in den 1950er-Jahren mit dem „Pomgrad"-Turm, dem ersten Hochhaus der Stadt, maßgeblich das Erscheinungsbild des sozialistischen Split mitgeprägt hat. „Es war der erste Wohnkomplex, dessen zentrale Funktion sich auf das moderne Wohnen konzentrierte", sagt Hödl. „Das wesentliche Thema war die Funktionalität der Wohneinheit, angepasst an die Bedürfnisse der Menschen. Ausgehend von der Architektur und ihrer sozialen Komponente, baute ich meine fotografische Arbeit auf."
In ihren Fotografien nimmt Hödl die Atmosphäre von Orten auf und nähert sich von Details bzw. oft auch von Lichtstimmungen und Reflexionen her ihren Motiven an. So sind auf einem Bild Spiegelungen des Sonnenlichts zu sehen, die von Fenstern reflektiert werden und auf die Betonwände eines Plattenbaus fallen. Ein anderes zeigt den klar strukturierten, mit Graffiti-Tags besprühten Eingangsbereich eines Hochhauses mit Fliesenboden und einer Automatiktür, die als Windschutz fungiert. Dahinter ein Gang, in dem das Licht zart schimmert, ein Treppengeländer führt abwärts. Es bleibt offen und ungesagt, was sich in diesem Haus ereignet. Die Geschichten ergeben sich rein aus dem Kontext der Bildserien und im Kopf des Betrachters.
Architektur strukturiert unsere Wahrnehmung
In manchen Bildern kommt zum Ausdruck, wie sehr die Architektur selbst unsere Wahrnehmung strukturiert. Etwa beim Foto, das eine Küstenlandschaft mit Bäumen zeigt, gesehen durch das Raster einer in Quadrate unterteilten Fensterfront, die ihrerseits wieder in Rechtecke geteilt sind. Es handelt sich um den Blick aus einem in den 1960ern errichteten jugoslawischen Kindersanatoriums in Krvavica südlich von Split, das wegen seiner ringförmigen Gestalt den Spitznamen UFO erhielt. Es ist einer jener fantastischen „lost places", die entlang der Adriaküste immer wieder vom verlorenen architektonischen Glanz und der zerbröselten Zukunftshoffnung des sozialistischen Jugoslawien erzählen.
Hödl selbst wird in ihren Arbeiten weniger von untergegangenen politischen Utopien als vielmehr von fotografischer Ästhetik und ästhetischer Reflexion geleitet. Im Facebook-Kanal von „Motel Trogir" findet sich ein Statement der Fotografin, das ihre Selbstwahrnehmung als Künstlerin zum Ausdruck bringt: "While I explore the surroundings of my temporary home, the scent of jasmine accompanies me and the glances of the street cats follow me. From the observer I become the observed."
Website: https://silviahoedl.com/
Werner Schandor
November 2023