Ausfransen in den Raum
Die Metamorphose von Sounds bzw. Materialien und die Suche nach alternativen Anatomien bestimmen die Arbeiten von Juliana Lindenhofer als DJane und Bildhauerin. Im Wiener Belvedere 21 sind bis Jänner 2024 Arbeiten von ihr zu sehen, die während ihrer vom Land Steiermark unterstützten „Artist in Europe“-Residency im Brüsseler Kunstlabor WIELS entstanden sind.
„Ich bin seit Juli in Brüssel und sehr viel im Atelier. Dass es von Seiten WIELS keinen Produktionsdruck gibt, ermöglicht umso mehr, dass man experimentieren kann", berichtet die aus Graz stammende Künstlerin. „Ich habe die letzten Monate sehr viel gezeichnet und mit Materialien skizziert. Daraus sind mehrere neue Skulpturen entstanden." - Vier davon sind in der Ausstellung „Über das Neue. Wiener Szenen und darüber hinaus, Teil 3" im Belvedere 21 zu sehen, die noch bis 14. Jänner 2024 neue Positionen in der zeitgenössischen österreichischen Kunst präsentiert.
Bewusst gewählte Materialien
Zeichnungen stehen meist am Beginn des Arbeitsprozesses bei Juliana Lindenhofer. „Die Zeichnungen werden von mir in Skulpturen übersetzt, wobei ich noch einen Spielraum lasse, damit sich die Materialien verändern können", erklärt sie in einem Video anlässlich des Preises der Kunsthalle Wien 2022. Damals gestaltete sie Skulpturen, deren geometrisch-amorphe Gestalt manchmal an organische Formen erinnern. „Die Materialien wähle ich sehr präzise aus", sagt Lindenhofer im Interview. In der Kunsthalle waren es Kunststoffe und Wachse, die in der Industrie, Kosmetik und Medizin Verwendung finden. In ihren Brüsseler Arbeiten, die im Belvedere zu sehen sind, kommen Aluminium, Polystyrol, Paraffinwachs und Silikon gemeinsam mit Acrylfarbe, Tusche und Leim zum Einsatz.
„Im Belvedere 21 zeige ich zum ersten Mal positive und negative Formen zusammen, als eine (Material)-Familie", erklärt Lindenhofer. „Man sieht also, wo die Cut-Outs herkommen, man sieht, wie ich die Formen suche mittels Skizzen mit Pastellkreiden und Acrylfarbe direkt am Material (Hartschaumplatten, Aluminium). Ein Fokus auf Nuancen und Feinheiten ist mir wichtig, ein Ausfransen in den Raum ohne machtvolle Gesten." - So etwa ist eine doppelte Masche aus Aluminium in einer Blickachse gehängt mit der Skulptur „Die Doppelgängerin" von Valie Export im Belvedere-Garten.
Amalgam & Ästhetik
Manche von Lindenhofers Arbeiten haben durch das Amalgam an Materialien, das sich zu einem ästhetischen Körper verbindet, etwas Schmuckartiges an sich. „Die Methode des Gestaltens und Hinzufügens, des Schichtens und Versteckens bezeichnet die Künstlerin als Self-fashioning", heißt es dazu im Pressetext des Belvedere. Mode bezeichnet Lindenhofer als wichtigen Einflussfaktor für ihre Arbeiten - sowohl als Künstlerin als auch an den Turntables, denn Lindenhofer kreiert seit Jahren auch musikalische Mixes als DJane. „Ich würde meinen Arbeitsprozess als Self-fashioning bezeichnen, im Sinne einer Verschmelzung von Welten, Genres und Materialien, die sich sonst vielleicht nicht begegnen würden", sagt sie. Dabei interessiere sie nicht, von einem Punkt A nach B zu gelangen, sondern der offene Weg, das offene Ende.
Diese Offenheit spiegelt sich auch in den Titeln wider, die Lindenhofer ihren Arbeiten gibt, und die an Cut-up-Gedichte erinnern, etwa: „Drei Farben die sich niemals begegnen sollten - Vater, Mutter, HTML" für ihren in der Kunsthalle Wien gezeigten Text am LED-Fassadendisplay; und: „Es ist immer romantischer wenn ein Underdog sich hocharbeitet/War das Ende der Freundschaft" für die Skulpturen in der Kunsthalle 2022. Die Werktitel der Arbeiten im Belvedere wurden erstmals nicht von Lindenhofer selbst, sondern von der Autorin Jackie Grassmann geschrieben: „Ich wollte so sehr jemand werden, dass ich niemand wurde, I-III". Diesem Titel ist jeweils ein Untertitel zugeordnet. Bei III lautet dieser: „Denn es könnte auch nicht passieren. Wie davor, und davor und davor und davor. Vier ist keine schöne Zahl nicht gelandet zu sein."
Erfahrungen vertiefen in Residencys
Lindenhofer sucht aktiv den Austausch in internationalen Residencys, um Erfahrungen zu vertiefen und Kontakte zu knüpfen. In diese Reihe passen u. a. der Besuch der Bauhaus Sommerakademie in Berlin 2016, ein Studienaufenthalt an der HFBK Hamburg 2020/21 und das Atelierstipendium im belgischen Kunstlabor WIELS 2023 von Juli bis Dezember 2023. „Für mich ist es wichtig, mich mit Kolleg*innen auszutauschen. Wenn man in einer neuen Stadt landet, wird man anfangs ganz leer, ein bisschen wackelig und auf sich selbst zurückgeworfen. Daraus kann man skizzieren und neue Routinen ausprobieren", meint die Künstlerin. Brüssel erlebt sie dabei als „chaotisch und laut, und ich mag es sehr gerne. Ich kenne keine Stadt, in der die Architektur im Stadtkern so durchmischt ist an Stilen. Ebenso ist die Bevölkerung in Brüssel divers und kosmopolitisch, auch aufgrund Belgiens kolonialer Vergangenheit."
Juliana Lindenhofer, 1987 in Graz geboren, studierte bei Iman Issa, Monica Bonvici und Dorit Magreiter an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Sie war Finalistin beim Ö1-Talentestipendium 2020 und Preisträgerin der Kunsthalle Wien 2022. Arbeiten von ihr waren u. a. in Wien, Berlin, Hamburg, Kopenhagen und Salzburg zu sehen. Sie lebt und arbeitet als Künstlerin in Wien.
https://julianalindenhofer.com/
Werner Schandor
November 2023