„Ich schaue gern ins Narrenkastl“
Die Oberösterreicherin Franziska Füchsl studierte Deutsche Philologie und Anglistik an der Universität Wien sowie Sprache und Gestalt an der Muthesius Kunsthochschule Kiel. Der Steiermark ist die freie Schriftstellerin u. a. durch Kontakte zur Literaturzeitschrift manuskripte und zu uniT verbunden.
Ihr erstes Prosabuch „Tagwan" (Ritter 2020) wurde von Paul Jandl in der Neuen Zürcher Zeitung bezeichnet als „Lichtstrahl, wo die deutschsprachige Literatur sonst gern im Dämmer blossen Erzählens liegt". Seit damals ist sie einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Katja Gasser, die künstlerische Leiterin des Österreich-Schwerpunkts bei der Leipziger Buchmesse 2023, lud Füchsl als Vertreterin der „lebendigen jungen Avantgarde-Szene" Österreichs ein, um die Pressekonferenz zur Buchmesse 2023 mit einer Performance zu eröffnen.
Im Gespräch mit manuskripte-Herausgeber Andreas Unterweger erzählt die Morgenstern-Preisträgerin 2023 von ihren Bezügen zur Steiermark, gibt Einblick in ihre eindrucksvoll eigenwillige Poetik und entlarvt nebenbei auch die Abgründe hinter so mancher Sprechmode der Kulturpolitik.
Andreas Unterweger: Liebe Franziska, du bist in Putzleinsdorf im oberösterreichischen Mühlviertel geboren und lebst heute in Wien und in Kiel. Der Morgenstern-Preis wird vom Land Steiermark in Kooperation mit der Kleinen Zeitung vergeben. Welche Verbindungen hast du zur Steiermark und zu Graz?
Franziska Füchsl: Da wäre einmal der Schaftalberg. Dort umadum, zwischen dem Griesbauer im Tal und der Basilika Maria Trost, leben meine Verwandten. Die 1er, den steilen Anstieg, Basilika, Kirchenwirt und Friedhof hinter mich gelassen, beginnt nach einer scharfen Kurve eines der für mich schönsten Wegstücke. Ich habe mich also eher vom Rand her mit der Stadt Graz angefreundet. Schließlich bin ich durch Projekte von uniT, meine Teilnahme an FORUM Text 2018-2020, die jährlichen Sommertreffen des Neuberg College am Bahnhof Neuberg an der Mürz, die manuskripte, Bibi Reinhardt, mit der ich zusammen ein Stück geschrieben habe, Fatah Farzam, dessen Gedichte ich sehr schätze, und andere enge Freunde immer wieder über den Semmering oder das Selzthal gekommen. Ich habe in Graz sogar einmal im Institut der Kinder der Toten gearbeitet, bevor es gesprengt wurde.
Unterweger: Kannst du dich noch an deinen ersten Besuch im manuskripte-Büro erinnern?
Füchsl: Ja natürlich. Spärliches Licht von der Gasse legte einen etwas außerweltlichen Schimmer in Kolleritschs schlohweißes Haar. Ich habe vorgelesen und ihr habt zugehört. Oder geschlafen? Zwanzig Minuten vielleicht ... Dann bin ich gegangen. Vielleicht war da auch ein Schnaps.
Unterweger: „Geschlafen"?! Wir waren selbstverständlich hellwach! Und das trotz des Feiertags - Fredy hatte dich am Vortag für „morgen Vormittag" aus Wien nach Graz gebeten, ohne Christi Himmelfahrt, oder was immer es war, zu bedenken. Er hätte sich den Text auch einfach mailen lassen können, aber ihm ging es immer darum, den Menschen hinter den Wörtern kennenzulernen. Und so saßen wir dann also zu dritt in der feiertäglich ausgestorbenen Sackstraße ... Fredy und ich haben damals bestimmt nicht jede Nuance deines Textes verstanden, waren uns hinterher aber einig, dass das etwas ist, was unbedingt gedruckt werden sollte. Und tatsächlich erschien „deine namen nahm der fischer zurück" etwas später in manuskripte 214 (2016). Ich weiß noch, wie beeindruckt ich war, dass du auf deinen Vorstellungen in Bezug auf Länge und Layout des Textes beharrt hast, obwohl das einiges an Hin und Her und sogar eine Verschiebung der Veröffentlichung zur Folge hatte.
Eindrucksvoll eigenwillig deine Poetik im Allgemeinen. In deinen schriftstellerischen Arbeiten erweiterst du die Grenzen der Sprache oder gehst überhaupt über sie hinaus. So bindest du zum einen dialektale oder vergessene Wörter und fremdsprachliche Passagen in deine Texte ein. Zum anderen wechselst du ab und an auch gleich das Medium: Jedes deiner Bücher weist etwa grafische Elemente auf, ob es sich nun um dezente Blindkästchen wie in "rätsel mit großer schrift" (edition mosaik 2018) handelt oder um handfeste Skulpturen wie die „Keramikdodln", die aus dem Langessay über die Einfalt „Denkt 1 Dodltopftropf" hervorgingen. Deine Lesungen haben hingegen manchmal performativen Charakter. Traust du der Sprache nicht? Traust du ihr allein nicht zu, deine Anliegen zu transportieren?
Füchsl: Wahrscheinlich kann und sollte man der Sprache genauso wenig oder zögernd oder gut ausgerüstet vertrauen wie dem Internet ... oder sich selbst. An neurolinguistisch programmierten Politikys, Hierarchien verwischenden Unternehmensstrukturen und damit einhergehend an der Emotionalisierung professioneller Bereiche lässt sich beobachten, wie Sprache verwendet wird, um nichts zu sagen und tatsächliche (Macht-)Strukturen zu verdecken. Es scheint, wir haben uns daran gewöhnt, es regt kaum mehr auf, tut kaum mehr weh, wenn man selbst beginnt, so zu sprechen. Bei einer Pressekonferenz habe ich eine hochrangige Kulturpolitikerin sagen hören, dass sie nicht mehr von Subventionen sprechen wolle, sondern von Investitionen. Subvention meint eine Art Beistand, zur Hilfe kommen und man kann es richtig schön falsch verstehen und dabei an Wind, vielleicht so etwas wie Rückenwind, denken. Mit Investitionen sind Erwartungshaltungen verbunden, und Interessen. Interessen, die nicht mein Interesse sein können. Ich schütte mich nicht aus und unter thesaurierend verstehe ich etwas ganz anderes, und sehr viel. So viel zum Vertrauen, jetzt zu dem, was ich tun kann.
Ich schaue gern ins Narrenkastl. Ein Narrenkastl ist eine Art Schwitzkammer für das Wort. Im Narrenkastl kommen Denken und Einfalt überein: Wie suspekt und lebhaft wird ein Wort wie „Maßnahme" zum Beispiel im Narrenkastl, noch dazu, wenn das Unbekannte Maß steht. Ich kenne kein Wort in- und auswendig, aber ich kann es lange anschauen und aushorchen. Mich hat es noch nie gestört, wenn ich ein Wort in einem Text nicht kenne, denn ob es mir etwas sagt oder nicht hängt davon ab, ob ich mich ihm zuwende oder nicht. Warum sollte Lesen reibungslos gehen? Im Englischen heißt es „command of language" und ich war schon einmal English Commandress C2 ... Aber was glaube ich da zu befehligen? Die Beherrschte wird im Glauben gelassen, dass sie herrscht. Das ist nichts für mich. Durch das gemeinsame Übersetzen im Verein Versatorium ist mein Englischkommando ordentlich verunsichert worden und plötzlich verstehe ich andere Sprachen, ohne Befehlsregister, ohne dass die Sprache gehorcht.
Es lässt sich nicht vermeiden, dass eine Art Expertise in der Sprache entsteht. Keramik, Kritzelei und Doodling, aber auch das Sammeln von ausgefallenem Haar, um daraus Gespinste und andere Wesen zu nesteln wie in „My Haarschwund" sind für mich Tricks der Einfalt. Denn immer ist da etwas, das sich nicht versprachlichen lassen will, immer ist da etwas, das ich bis zum Schluss nicht verstehe. So kommt es zu echten Rätseln.
Unterweger: Du sprengst ja nicht nur unseren täglichen Sprachhorizont, sondern auch das Bild, das wir von Schreibenden haben. Dem Klischee würde es entsprechen, dass eine Dichterin allein in ihrer Kammer vor sich hin schreibt, du aber scheinst die Arbeit im Kollektiv geradezu zu suchen. Ich denke da etwa an Versatorium - Verein für Gedichte und Übersetzen, an das Neuberg College - Verein für Übersetzung der Gesellschaft oder auch an die werkstatt ffxl ... Wie kommt's?
Füchsl: Ich bin Maschinenbauerstochter. Ich habe kein Bild davon, was es heißt, Dichterin zu sein, und auch kein Bild davon, was es heißt, Kollektiv zu sein. Und damit auch keine Erwartungen, ein Bild erfüllen zu müssen. Ich weiß nur, dass man bauen kann und ich von lange überdauernden Provisorien viel über Spiel- und Freiräume gelernt habe. Die Uni ist mittlerweile ein Ort, an dem du vor allem eifrig und schnell studieren kannst, ein Ort wie aus der Werbung, ein Ort, der mir was verkaufen soll. Zum Glück gibt es aber Schlupflöcher und Geheimtipps (und als ich studierte, hatte die Uni Wien auch noch einen richtigen Keller!), und so habe ich zunächst Studierende kennengelernt, die zusammen mit dem Dozenten Sorin Gadeanu an Montagabenden open-end sogenannte „Halb 9"-Treffen pflegten, um literarische Texte zu lesen und zu besprechen. Nachts waren wir ungestört an der Uni. Zumindest weiß ich noch, dass ich damals begonnen habe, es ernst zu meinen mit dem Schreiben. Dann habe ich die Menschen hinterm Versatorium und dem Neuberg College getroffen, und von ihnen habe ich noch einmal Lesen und Schreiben gelernt, kollektiv im wortwörtlich oder wortwortwörtlichen Sinn.
Und wenn ich allein bin und schreibe, auch dann bin ich kollektiv im wortwortwortwörtlichen Sinn.
Unterweger: Was sind deine nächsten künstlerischen Vorhaben - im Kollektiv mit dir selbst und auch mit anderen?
Füchsl: Das kürzlich im Ritter-Verlag erschienene Buch „Die Straßen sind sichtbar" wird mich so schnell nicht los. Mit Bibi Reinhardt habe ich das Theaterstück „Man sieht die Tränen der Fische nicht" geschrieben, und wir hoffen, dass es 2024/25 zu einer Aufführung kommt. Ebenso mit dem Stück „Collodis Schit", das in Zusammenarbeit mit der bildenden Künstlerin Yeongbin Lee auf der Grundlage des italienischen Pinocchio-Originals entstanden ist. Auch meine nächste Buchpublikation steht schon fest, eine Art Flusserzählung mit dem Arbeitstitel „Müh Müh Müh" in der Edition Thanhäuser. Mit Allex. Fassberg übersetze ich den Gedichtzyklus „Ahoti Ktana (Schwestermein klein)" des bisher nicht ins Deutsche übersetzten hebräischen Dichters Abba Kovner. Und im Versatorium betreue ich seit kurzem den Druckraum Jahoda, in dem eine Korrex Stuttgart zu Bleisatz und Druckexperimenten einlädt. Und dann gibt es da noch meine Baustelle ffxl für typographische Provisorien zum Lesen und das größere Vorhaben, zusammen mit der Dramatikerin Teresa Dopler eine Edition für Theatertexte zu gründen.
Unterweger: Viel Erfolg mit all dem, liebe Franziska - und danke für das Gespräch!
Andreas Unterweger
Oktober 2023