Bei der bärtigen Therese
Das Duo Itshe+Io aus dem weststeirischen Ort Trahütten tritt als Gesamtkunstwerk in Erscheinung.
Dieser Text wird eine Herausforderung für die ARTfaces-Redaktion. Denn bei Itshe Petz und Io Tondolo tut sich ständig Neues. Weder ihre eigenen Web-Auftritte noch journalistische Recherchen können da permanent auf dem aktuellsten Stand der Dinge sein. Aber so viel steht fest: Die beiden Künstlerpersönlichkeiten mit den selbstgewählten non-binären Vornamen leben seit dem Jahr 2020 in Trahütten auf knapp 1000 Metern Seehöhe. Dort nutzen sie eine ehemalige Frühstückspension von Tondolos Großmutter als „Homebase" für ihre Arbeiten und für kulturelle Vernetzung jenseits von Landes-, Genre- und Gendergrenzen.
Itshe Petz wuchs in Norddeutschland auf und studierte Künste im Sozialen. Petz‘ ortsspezifische Kunstproduktionen verbinden Selbstanalyse und mannigfaltige Recherchen mit kulturhistorischem Kontext. Io Tondolo hat italienische Wurzeln und kam über die erwähnte Großmutter auch bald mit der Weststeiermark in Kontakt. Tondolo studierte abstrakte Malerei und Restaurierung und verfügt über langjährige Erfahrung im Bereich Tanztheater und Performance.
An der Schnittstelle zwischen Kunst und Design
In Hamburg, Bulgarien und Wien begannen sie, erste Projekte zu realisieren. Seit 2016 arbeiten sie nun gemeinsam an der Schnittstelle zwischen Kunst und Design. Ihre früheren Arbeiten sind allerdings ebenfalls Teil ihres Archivs. Es mache keinen Sinn, sagt Petz, diese Vorgeschichte auszuklammern. Durch ein großes Vorhaben im Auftrag einer heimischen Versicherung kamen sie von Wien nach Graz und waren gut drei Jahre lang mit Recherchen, künstlerischen Interventionen, fotografischer Dokumentation und mit der Gestaltung von Innenräumen beschäftigt. Gänge, Büros, der Garten, ja selbst das hauseigene Fitness-Studio wurde in das Konzept mit einbezogen. „Warum haben wir das gemacht? Weil wir den Ansatz haben, dass über Kunst und Kultur eine ganz andere Firmenphilosophie entstehen kann", sagt Itshe Petz. Das Resultat dieser intensiven Auseinandersetzung ist in der Conrad-von-Hötzendorf-Straße vis á vis der Messe zu bewundern und zumindest teilweise öffentlich zugänglich.
Trahüttens Kunsttradition neu belebt
Dieses Projekt in Graz und die Reisebeschränkungen der ersten Pandemie-Phase sind mitverantwortlich dafür, dass sich Petz und Tondolo in Trahütten ansiedelten. Ihr Haus hieß einst „Villa Therese", wurde von ihnen zwischenzeitlich zur „Casa Tondolo" erklärt und wird nun für die nächste Zeit „Absteige zur bärtigen Therese" genannt. Man sollte an dieser Stelle erwähnen, dass das weststeirische Dorf eine beachtliche Geschichte als Ort für Erholung und künstlerische Produktion besitzt. Die britische Pianistin Mary von Rosenberg, der Cellist Ludwig Lebell und später der Komponist Alban Berg schrieben hier Kunstgeschichte. In der heute unter Denkmalschutz stehenden Alban-Berg-Villa entstanden einige seiner großen Werke. Bergs Neffe Hans Lebert, Tenor und bedeutender Schriftsteller („Die Wolfshaut"), verbrachte ebenfalls einige Jahre in Trahütten. Itshe Petz und Io Tondolo sind sehr bedacht darauf, an diese Tradition zu erinnern und gestalteten im Jahr 2022 eine Ausstellung über den heute fast vergessenen Autor Lebert.
Offene Aufnahme durch die Bevölkerung
„Generell muss man sagen, dass Trahütten von der Mitte der 1990er bis in die 10er Jahre dieses Jahrtausends fast dem Aussterben preisgegeben war. Ich kann mich an Diskussionen erinnern, ob die Grundschule geschlossen werden muss, weil insgesamt nur mehr fünf oder zehn Kinder die Schule besuchten", erzählt Io Tondolo im Podcast Kunstfunken. Heute ist die Situation eine andere. Aufgrund der stark gestiegenen Grundstückspreise rundherum wurde das Dorf am Berg wieder attraktiv für junge Familien, die Häuser ihrer Vorfahren revitalisierten oder neu bauten. „So entstand auch der Nährboden für unsere künstlerische Arbeit", sagt Tondolo. Vor diesem Hintergrund wurde das Haus der beiden zum Labor, zum temporären Ausstellungsort, zur Unterkunft für Kunstschaffende speziell aus der queeren Szene. Die lokale Bevölkerung hat Petz und Tondolo sehr offen aufgenommen, was die beiden so gar nicht erwartet hätten. Wohl auch deshalb konnten sie die „Kulturfrische" respektive die „Almfrische" ins Leben rufen, die im Mai für viele neue Impulse sorgt. Zwischenzeitlich ziehen sie sich dann wieder zurück in die Ruhe des Bergdorfes, schließen ihre Tore und konzentrieren sich auf neue Ideen. Zur Zeit der Entstehung dieses Textes etwa arbeiten die beiden an einem Projekt für ein Grazer Familienunternehmen. Es verbindet die Unternehmensgeschichte mit Kunst und Erkenntnisse aus dem Umgang mit Programmiersprachen mit intelligenter Gebäudetechnologie. Alte Möbel werden mit Hilfe eines Tischlers zerschnitten und neu zusammengesetzt. Die gesamte Umgebung wird mit einer Tapeten- und Stoffkollektion gestaltet.
Selbst Teil des Werks
Das Œuvre der beiden ist vielfältig und will ab Herbst 2023 auch vor Ort in der „Absteige" gesehen und erlebt werden. Zugleich sind Io und Itshe selbst Teil des Werks. Die beiden sind seit Jahren stets gleich gekleidet. Das erinnert ein wenig an Gilbert & George, das Konzept geht aber über dieses Vorbild hinaus. Immer - auch wenn niemand sonst anwesend ist -wählen sie dasselbe Outfit. Dieses wechselt dann mehrmals täglich, wenn unterschiedliche Termine anstehen. Das klingt nach einigem Aufwand, macht die beiden aber auch besonders deutlich sichtbar. Sie stechen durch ihre Erscheinung aus jeder beliebigen Menge heraus. Und auch ihre Projekte, die Grafikdesign, Veranstaltungsdesign, Performance und andere künstlerische Elemente zusammenfügen, sind einzigartig, außergewöhnlich, im besten Sinne sehenswert.
Wolfgang Kühnelt
Juni 2023
Kunstfunken-Podcast mit Itse+Io
Weitere Infos über das künstlerische Wirken von Itshe Petz + Io Tondolo und das kulturelle Leben im weststeirischen Trahütten gibt es in Folge 29 des steirischen Kunst- und Kulturpodcasts "Kunstfunken" nachzuhören.
Hier geht es zur Kunstfunken-Folge mit Itshe+Io