Zeichnung als visueller Marker

In akribischer Weise folgt die Künstlerin Sonja Gangl dem Duktus des Zeichenstifts, um dabei verschiedenste Themen aufzugreifen und spezielle Charakteristika von Oberflächen und Texturen herauszuarbeiten

Sonja Gangl
Sonja Gangl© Daniela Beranek

Die Arbeiten von Sonja Gangl hinterfragen eine medialisierte Wirklichkeit, basieren jedoch auf klassischen künstlerischen Techniken, allen voran der Zeichnung. In fotorealistischer Manier oder abstrakter Formgebung dominiert meist eine Schwarzweiß-Ästhetik den Bildraum, in dem die gewählten Sujets minutiös, manchmal stark vergrößert und in teils überdimensionalen, an das Tafelbild angelehnte Ausführungen wiedergegeben werden.

Eine ihrer ersten großangelegten Zeichenserien widmete sich dem Ende klassischer Spielfilme. Dabei dienten die Schlusssequenzen von bekannten, aber auch weniger geläufigen Kinofilmen als Vorlage. Diese wurden mit Bleistift nachgezeichnet und formieren unter dem Titel „Captured on Paper_The End" (seit 2002). Eine Zusammenschau dieses Zyklus war 2013/14 in der Ausstellung „Dancing with the End" in der Wiener Albertina zu sehen. Die Ausstellung bildete eine der bisher wenigen einer Frau gewidmeten großangelegten Einzelpräsentationen dieser Institution. Diese Tatsache hebt den Stellenwert von Gangls Arbeiten hervor, die sich diesem genuinen Medium widmen, das für die Künstlerin nicht als Vorstufe für weitere Kunstwerke dient, sondern den Blick auf die uns umgebende Bilderflut sensibilisiert.

Die Position des Stilllebens wird neu verhandelt

Gangls zeichnerisches Potential manifestiert sich in mehreren thematisch gruppierten Serien. Nach den Stills des Bildschirms folgten Fotos von Verpackungsmaterial, die die Künstlerin auf Obst- und Gemüsemärkten in Österreich, Spanien oder Italien aufgenommen hat. Davon ausgehend verhandelte Gangl in ihren Zeichnungen die Position des Stilllebens neu, das historisch die Makellosigkeit von Obst und Gemüse hervorhob, hier aber hinsichtlich seiner Vergänglichkeit und den damit einhergehenden Transportwegen betrachtet wurde. In den Bildern zu sehen ist zusammengepresstes Verpackungsmaterial, das jene tausendkilometerlangen Wege und Routen referenziert, denen Waren tagtäglich ausgesetzt sind. Die einzelnen Bilder aus dieser Serie („Still Life", seit 2015) sind in ihren Formaten an die Größen der Bilder Spanischer Meister des 17. Jahrhunderts angelehnt. Trotz Fokus auf das Einzelbild thematisiert die Künstlerin hier Bewegungsabläufe, die wie in vielen ihrer Arbeiten ein protofilmisches Szenario evozieren.

Malerische Geste

Die Serie „Supra-Linien" (seit 2019) widmet sich der Prozesshaftigkeit der zeichnerischen Tätigkeit per se. In Vorbereitung auf den Akt des Zeichnens werden Bleistifte leicht abgestumpft, um nicht zu spitz auf die Beschaffenheit der Papieroberfläche einzuwirken. Gangl nutzt den visuellen Verlauf dieser Bleistiftproben, um sie im Zoom-Verfahren mit Grafit/Acryl auf überdimensionale Leinwände zu übertragen, die in ihrer Größe an die Bildformate der Abstrakten Expressionisten sowie Vertreter der Farbfeldmalerei angelehnt sind. In diesen Meta-Bildern kehrt Gangl den künstlerischen Prozess um, indem sie mittels malerischer Geste auf Zeichnung als bildgebendes Medium rekurriert. Dadurch entgegnet sie einer männlich dominierten Kunstgattung und nivelliert das historisch bedingte Gefälle zwischen Malerei und Zeichnung.          

Die Überdimensionalität des Formats behält die Künstlerin auch in ihren Malereien mit Tusche (seit 2021) von Waldszenen bei, die Erinnerungen an die Kindheit hervorrufen. Als Vorlage dienen hier Fotografien aus Wäldern in Wien, Kärnten und Italien. Die Titel der Arbeiten entstammen unterschiedlicher Märchenbücher und definieren für Gangl Momente des Unheimlichen, die im übertragenen Sinn die Angst im Wald von Kindern in die gegenwärtige Angst vor Zerstörung und veränderten Umwelteinflüssen transferieren.

Der intrinsische Fokus auf Zeichnung, ihren Zeit-entschleunigenden Arbeitsmodus und die auf Genauigkeit beruhende Detailwiedergabe verleiht Sonja Gangl einen einzigartigen Status innerhalb der österreichischen Kunstszene. In Gangls künstlerischem Schaffen spielen weiters die Auseinandersetzung mit Fotografie, Video, Skulptur sowie dem öffentlichen Raum eine Rolle, die eine Verschränkung der Medien und Kontemplation unterschiedlicher Bildwelten bedingt.

 Website von Sonja Gangl

Walter Seidl
April 2023

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