Icons des Urweiblichen
In ihrem vielfältigen Kunstschaffen lädt uns die bildende Künstlerin und Musikerin Marina Stiegler in den Kreis archaischer Göttinnen und lässt uns ahnen, wie tief wir alle im nährenden und mütterlichen Prinzip des Urweiblichen verwurzelt sind.
Farbtuben, Staffelei, Leinwände, Papier ... und zahlreiche archaische Frauenfiguren auf Leinwand und aus Keramik. Große Augen mit weichem, offenen Blick, Brüste als Augen, eine Vulva als Mund dargestellt. Kleine Venusfiguren in Hellbraun, ruhig, statisch, dominieren den Raum. Naturweiß, Mattschwarz, Gold. Wer Marina Stieglers Atelier im Freien Atelierhaus „Schaumbad" in Graz betritt, sieht nur auf den ersten flüchtigen Blick ein „übliches" Arbeitsambiente einer Künstlerin: Wer den Blick fokussiert schweifen lässt, wähnt sich ob der archaisch anmutenden weiblichen Darstellungen eher in einer schützenden Höhle voll magischer Kräfte. Das Weibliche, Nährende, Beschützende, die Urkraft des Weiblichen wird angesichts dieser Ruhe und Stabilität ausstrahlenden künstlerischen Darstellungen sehr deutlich spürbar.
Die Symbolsprache der Göttinnen
Die gebürtige Salzburgerin „will diesen Schatz heben", der in unseren weiblichen Wurzeln verborgen ist. Mit ihrer jüngsten Ausstellung „SHE" im Grazer Volksgartenpavillon brachte sie 2021 alte Darstellungen der Göttinnen wieder in unser Bewusstsein. Auch mit ihren Keramiken transferiert sie diese in die Jetztzeit, „um es nicht zu vergessen, dass die Menschen sehr verbunden waren mit der - weiblichen - Natur. Wir brauchen diese Verbindung wieder", ist Marina Stiegler überzeugt. Seit vielen Jahren beschäftigt sie sich mit der alten Symbolsprache der Göttinnen - „ein unglaublicher Schatz und Reichtum!" Die Frage, die Stiegler dabei antrieb: „Was ist eigentlich mit unseren Wurzeln?"
Vom Schreiben zur Kunst & Musik
Die künstlerischen Wurzeln der Wahlsteirerin liegen überraschenderweise im Schreiben: Ein sehr frühes „Tage- und Nachtbuch" war für Stiegler „die Grundlage, aus der sich vieles entwickelt hat". Sie begann mit dem Studium der Publizistik. In der Salzburger Off-Szene „aufgewachsen", wollte sie jedoch bald etwas mit den Händen machen, so ist sie mit 23 Jahren zur bildenden Kunst gekommen. Es folgten die Ausbildung an der Ortweinschule in Graz (Meisterklasse keramische Formgebung) und die Berufsfachschule für Holzbildhauerei in Berchtesgaden. Parallel dazu kam die Liebe zum Singen, zur Musik, auf. Als Sängerin und Songwriterin in der Grazer Band Marinski Rio (ehemals Marinski Trio) lebt sie auch diese kreative Ader aus. Den Stil beschreibt sie als „Folk mit psychedelischen Einflüssen". 2022 erscheint bei Pumpkin Records das neue Album mit dem Titel „Red Ink". Auch mit ihrem Mann Robert Lepenik nahm Stiegler als Marinski & Lepenik bereits ein Album auf: „The And of the World" erschien 2020. Auf Youtube kann man in einige der Tracks hineinhören.
„Die bildende Kunst ist im Vordergrund, die Musik ist aber ständige Begleiterin", beschreibt Stiegler ihre Gewichtung der beiden Kunstrichtungen. Der Unterschied: Musik macht sie mit anderen Menschen, in der bildenden Kunst „mache ich mein eigenes Ding". Das Verbindende: „Beides sind Teile von mir", und die Frau ist eben auch in der Musik ein Thema - manchmal steht ein Lied in Verbindung mit einer Skulptur, manchmal entsteht eine Skulptur aus einem Lied.
Holz, Ton, Leinen, Asche
Zurück zu den uns im Atelier umgebenden weiblichen Formen: Marina Stiegler arbeitet vorwiegend mit Naturmaterialien - Holz, Ton, Naturleinen, Asche, teils vermischt mit Gummi Arabicum - und entwickelt nach intensiven Recherchen ihre eigenen Techniken. Auch hier drückt sich ihre künstlerische Suche nach Essenz aus. Ebenso in ihrer Bildsprache: Die Künstlerin arbeitet mit alten und neuen Symbolen, also auch modernen Icons, und schafft so einen Konnex zwischen archaischer Form und Jetztzeit. „Mit dem Thema Weiblichkeit habe ich mich immer schon beschäftigt", erzählt Stiegler, dabei seien die weiblichen Figuren quasi wie „automatisch" entstanden und haben sich weiterentwickelt. Auch durch ihre Tätigkeit als Mal- und Gestaltungstherapeutin, wo sie mit vielen Mädchen und Frauen arbeitete, hat sich das Thema verfestigt. „Der Druck ist groß, dem Frauen heute ausgesetzt sind", das bemerkt Stiegler in der Kunsttherapie, wenn sie in die Lebenswelten der Mädchen eintaucht, und kritisiert dabei das inszenierte und übersexualisierte Frauenbild.
Die Natürlichkeit der Dinge
„Ich widme mich der Natürlichkeit der Dinge." Das weibliche Prinzip - das Urweibliche - „hilft mir weiter, wenn ich mich mit unseren Wurzeln beschäftige", erläutert Stiegler ihren Zugang. Und weiter: „Es ist so etwas wie eine Hoffnung, dass Menschen vor Tausenden Jahren Dinge erschaffen haben, die sie mit einer göttlichen Kraft verbunden haben. ... Die Verbindung mit den Wurzeln der Kunst hilft mir, das Menschsein zu erforschen, an die Kraft des Ausdrucks zu glauben und an die Kraft, die Welt selbst zu gestalten."
Denn egal, ob Mann oder Frau, „es ist gut, dass man eine Quelle hat, wo man andocken kann - und das mütterliche Prinzip kann jede und jeder ausleben", ist Marina Stiegler überzeugt: „Das Nährende, Unterstützende, Empathische kann man als Mann oder Frau haben."
Claudia Taucher
Stand: November 2021