Mission und Karma eines Unentwegten
Er ist Virtuose des Vibraphons, Komponist und Veranstalter: Berndt Luef hat als Solist, mit seinem Trio und mit dem Jazztett Forum Graz in den letzten 30 Jahren bereits an die 30 Alben vorgelegt. Höchste Zeit für eine Würdigung in der Reihe ARTfaces.
Als einer der letzten Handy-Verweigerer war Berndt Luef immer auffällig gut erreichbar. Sein klassischer Anrufbeantworter zählte zu den verlässlichsten in der gesamten Jazzszene. Integer wie der politisch wache und engagierte Musiker selbst. "Nach jahrzehntelangem, erbitterten Widerstand hat sich nun auch Berndt Luef von den Vorzügen eines Funktelefons überzeugen lassen", hat neulich einmal wer gesagt, vielleicht waren das sogar wir selbst. Die Nachricht war ein richtiger Renner unter Musikerkollegen und Veranstaltern, und manche unter ihnen sahen sogar schon den Tag kommen, an dem der Komponist und Vibraphonist sein Debüt auf der elektronischen Musikbaustelle geben würde.
Doch das spielt sich nicht. "Die Elektronik ist nicht mein Feld", hat uns der wackere Jazzmusiker, der genau am 17. Juni 1992 seinen Nebenberuf als Rockmusiker für immer quittiert hat, einmal ins Notizbuch diktiert. Berndt Luef ist und bleibt Jazzmusiker, er hat sich längst manifestiert.
Mit breiter Krawatte
Dabei erinnern wir uns nicht ungern an die Zeiten, als er noch als Schlagzeuger und später Vibraphonist der Rockband Mirror mit bemaltem Gesicht auf der Bühne stand. Ähnlichkeiten mit der kultigen Hardrock-Band Kiss waren dabei rein zufällig und unerwünscht. Als "die Hornisse aus Knittelfeld" hat ihn damals einmal wer unsanft bezeichnet. Diesmal sind wir uns aber sicher, dass nicht wir das waren. Aber uns liegen beweiskräftige, selbst fabrizierte Fotos vor.
Auch für einen Berndt Luef ändern sich die Zeiten. Als der einst wegen eines Arbeitsunfalls vom Pianisten über den Schlagzeuger zum Vibraphonisten konvertierte Jazzmusiker vor bald vierzig Jahren sein heute legendäres Trio gründete, kannte er ein Tonstudio nur von außen. In Ermangelung der notwendigen Geldmittel musste der Diplomand an der Grazer Musikhochschule (heute KUG - Kunstuniversität Graz) über fünf Jahre ins Land ziehen lassen, ehe er seine erste Studiosession mit dem Bassisten Karsten Gnettner und dem Schlagzeuger Stephan Eppinger im Kasten, genauer gesagt auf Spulenbändern hatte. Ungewöhnlich stolz und mit breiter Krawatte übergab uns jung Luef weiland seine erste Schallplatte, eine so genannte LP, die er liebevoll "In Bewegung" taufte.
An die 30 Alben in 30 Jahren
In der Zwischenzeit müssen es so um die dreißig Platten sein, die der Vielschreiber über die Jahre unter die Leute gebracht und sich damit eine große Fangemeinde im Land an der Mur erwirtschaftet hat. Der wirkliche Grund für diese noch immer wachsende Fangemeinde ist aber wohl in der charakteristischen Live-Präsenz und einnehmenden Art zu suchen, mit der Luef sein Publikum versorgt, pflegt und - ja auch erzieht. So manche seiner Kompositionen, vor allem jene mit politischer Motivation, finden dabei ausführliche Einleitungen oder teils historisch abgesicherte Erläuterung, nicht wenige davon auch mit persönlichen Bezügen. Dieser Geschichtsunterricht sowie die nicht unlustigen Schilderungen von eher harmlosen profanen Dingen gehören aber zum Gesamtbild des stofflichen Musikers Luef, der mit seinen musikalischen Weggefährten auch schon in viele Länder gereist ist - meistens südöstlich von Graz, mehr oder weniger weit -, wo es in der jüngeren Vergangenheit politisch eher turbulent als touristisch attraktiv hergegangen ist. Und freilich gehören dann auch wieder jene prompt folgenden und allmählich ebenfalls schon legendären Reiseberichte in dieses Bild, Berichte, die uns der Anhänger der Haptik einst mit penibel handgeschriebenen Exklusivbriefen zustellen ließ und die heute eben per E-Mail an die nämliche Gemeinde gehen.
Kompositorische Reflexionen
Aber wie gesagt, es müssen ja nicht immer nur politische Anliegen aus dunkler Geschichte oder unmenschlicher Gegenwart vorliegen, es kann auch schon einmal einer seiner Lendenwirbel - dem Vernehmen nach L5 - oder die Grazer Buslinie 63 sein, die ihn zu kompositorischen Reflexionen hinreißen und wiederum ausführlicher Erklärungen auf offener Bühne bedürfen. Freilich ganz stilsicher in der Sprache des aufrechten Proletariers. Denn der Sohn einer Arbeiterstadt ist ein ehrenwerter Mann im Format der Bescheidenheit. Dieser hat immerhin auch schon das „Große Ehrenzeichen des Landes Steiermark" in seinem Notenschrank.
Vom Virtuosen zum eloquenten Komponisten
Der vom Hard Bop der 50er-Jahre nicht unbeleckte Jazzmusiker, der 2022 auch schon wieder siebzig wird, ging einst von Knittelfeld nach Graz, um seiner Berufung zum politisch engagierten Musiker zu folgen. Und ging nie wieder fort. Er hat das Land gewissermaßen von innen her erobert und gilt heute als der waschechteste steirische Jazzmusiker mit besten topografischen Kenntnissen der heimischen Club- und Kleinbühnenlandschaft. Und immerhin ist Luef auch ganz Bühnenmusiker, also einer, der sich bislang nicht in die Schutzhütte der Jazzpädagogik flüchten musste und für den es „sich bis jetzt immer irgendwie ausgegangen ist". Das hat vor allem damit zu tun, dass er sich längst als ein profunder Komponist einen Namen gemacht hat, als einer, der es versteht, in ganzen Bögen zu denken. So ist der virtuose Vibraphonist heute auch nicht mehr vom eloquenten und scharfsinnigen Komponisten zu trennen. Selbst wenn er als Gastsolist ein Ensemble dekoriert, bringt er dazu eigenes Material mit.
Politische Inhalte in klassischer Form
Sein musikalisches Dasein als Komponist füllt ein eigenes Kapitel, und immerhin wird der auch klassisch geschulte Musiker von der österreichischen Verwertungsgesellschaft AKM sogar als E statt als U eingestuft, also folglich nach dem ernsten und nicht dem Unterhaltungsfach bewertet. Und das will was heißen im Musikland Österreich! Eine Unterscheidung übrigens, die es für die meisten Jazzmusiker gleich gar nicht geben sollte, Luef aber um so mehr auszeichnet.
Vielen seiner Kompositionen verleiht er der Ernsthaftigkeit seiner politischen Inhalte folgend klassische Form oder Struktur. Neben den zahlreichen Suiten und anderen mehrsätzigen Kompositionen - gar manches nicht ohne programmmusikalische Usancen - ist das Instrumentaloratorium "Die Bosnische Tragödie" gewissermaßen zum Opus Magnum im illustren Oeuvre des Ausnahmesteirers avanciert. Geschrieben wurde das auch schon in Bosnien aufgeführte Werk im Jahr 1993, jenem denkwürdigen Jahr des bosnischen Bürgerkrieges, das auch zur Gründung des identitätsstiftenden Großformats Jazztett Forum Graz geführt hat.
Trio und Big Band
Er wollte "immer schon genau für eine solche Besetzung schreiben", erklärt der bekennende Oliver Nelson-Fan das Werk seiner Mission. Für ein Ensemble also, in dem der virtuose Instrumentalist mit der Edelfeder, der harmonisch exaltierte Schreiber, vor allem seine politischen Erregungen offenbaren kann. Mit dieser zehnköpfigen, durchwegs namhaft besetzten Gruppe kommt er seinen Klangvorstellungen auch so nahe, dass er "vollkommen dahinter stehen kann", Luef pur sozusagen.
Das Jazztett Forum Graz ist wie das Haus seiner Entstehung längst eine Institution und zählt heute zu den wenigen seriösen Jazz-Großformaten im Lande, das auch kontinuierlich neue Programme liefert. Kern und Rhythmusgruppe des Jazztetts ist freilich das berüchtigte Berndt Luef Trio, die zentrale Baustelle des Meisters, über deren sagenhaftes 40-jähriges Betriebsjubiläum 2022 zu berichten noch geboten sein wird.
Das Karma des Veranstalters
Bleibt der Jazz-Veranstalter. Da ist der Herr mit den Schlägeln Entbehrungen gewohnt. Schon als dienstältester Musikchef im Forum Stadtpark musste sich Berndt Luef mit dem Stiefmütterchendasein seines Referates im Mehrspartenhaus abfinden. Auch im Grazer Studentenheim WIST, wohin der durch eine gewisse Ungnade des Zeitgeistes Gefallene nach seinem Abschied aus dem Forum übersiedelte, muss er sich als Verweser einer Art Restplatzbörse begnügen. Die freien Termine sind für ihn dort rar geworden. „Aber", so der Unentwegte, „vielleicht ist das mein Karma".
Immerhin brachte es der tapfere Impresario in der Moserhofgasse mit der Nummer 34 im verwichenen November 2021 nun auch schon wieder zur 15. Ausgabe seines Festivals, das sich unter dem Namen Herbstzeitlose längst als Nachfolger seiner legendären Autumn Concerts im Forum Stadtpark etabliert hat. Gegenstand der Untersuchungen: modern Mainstream mit aufkommendem Wind aus Südamerika.
Was aber wäre der alte Fuchs, ließe er es sich als Veranstalter Bernd Luef nehmen, ebendort nicht auch als Musiker Berndt Luef vorstellig zu werden? Traditionell mit dem Jazztett Forum Graz zum Brunch oder Fünfuhrtee am Sonntag. Aber im Jahr dieser Niederschrift war es auch ein Berndt Luef Quartett, das erstmals mit neuer Musik aus den Reihen des Steirischen Tonkünstlerbundes zugange war.
Vielleicht eine neue Schiene für den wackeren Sohn einer Eisenbahnerstadt?
Otmar Klammer
Stand: November 2021