Filme wie Gedichte
Auch das wahre Leben kann eine Erzählung sein. Oder wie Katharina Copony es formulieren würde: Auch Dokumentarisches ist Fiktion. Unter diesem Grundsatz nähert sich die mehrfach ausgezeichnete Filmemacherin ihren vielfältigen Subjekten an. Dabei ist sie ein wahres Multitalent: Als Lehrende, Videokünstlerin, Fotografin, Drehbuchautorin, Dokumentarfilmerin und als Multimediaartist zieht sie um die Welt.
Trotz des weiten Feldes, das von Katharina Coponys sieben Filmen thematisch abgedeckt wird, gibt es einige Motive, deren Adern sich durch alle ihre Werke ziehen. So beschäftigt sich die Filmautorin gerne mit vergänglichen Räumen und mit gesellschaftlichen und topografischen Übergangszonen. Auch die Intimität von Innenräumen - also die Räume, in denen ihre Subjekte leben oder Ausschnitte ihres Lebens verbracht haben - finden sich als visuelles Element immer wieder. Die Protagonisten Coponys erscheinen meist als Underdogs der Gesellschaft. Sie selbst sagte von sich in einem Interview mit dem Filmmagazin „Ray", Filme wie Gedichte machen zu wollen und nicht wie Romane. Dies ist bei der Betrachtung der Filme eindrucksvoll spürbar. Ein weiteres Merkmal ihrer Herangehensweise ist, dass sie im Vorfeld zwar viel recherchiert und teils intensiv an Konzepten arbeitet, es jedoch immer schafft, während der Umsetzung für Neues und Neuentdecktes offen zu bleiben.
Graz - Wien - Berlin
Katharina Copony wurde in Graz geboren und verbrachte hier und in Straß in der Südsteiermark ihre Kindheit. Sie studierte an der Universität für angewandte Kunst in Wien visuelle Mediengestaltung bei Peter Weibel. Ein Erasmus-Semester führte sie an die Universität der Künste Berlin. Aus einem Semester wurden drei, und nach wie vor lebt Copony in Berlin, wo sie u. a. an der Universität der Künste Berlin unterrichtet.
Die Filmemacherin bereiste nicht nur im Zuge ihrer Projekte weite Teile der Welt, sie war auch als Artist in Residence in London, Moriya (Japan), New York, Rom und zuletzt mit dem Film-Auslandsstipendium des Landes Steiermark in Sarajewo ansässig. Für ihre Filme erhielt sie unzählige Preise, zum Beispiel 2012 den „Outstanding Artist Award" für Dokumentarfilm der Republik Österreich. 2019 wurde sie vom Filmarchiv Austria mit einer Werkschau geehrt.
Nicht nur das Fremde filmen: „der wackelatlas" und „Kanegra"
Copony begann ihre Karriere als Filmschaffende mit einem Familienprojekt. Bei ihrem ersten Film, „der wackelatlas - sammeln und jagen mit H. C. Artmann" (2001), führte sie gemeinsam mit ihrer Cousine Emily Artmann, der Tochter von H. C. Artmann, Regie. Der österreichische Dichter und Büchner-Preisträger ist Coponys Onkel. Der sprachlich geprägte Film besteht aus einer Reihe von Unterhaltungen mit H. C. Artmann, die ausschließlich in Innenräumen aufgenommen wurden. Diese Gespräche stellen die letzten filmischen Aufnahmen des Poeten dar, der im Dezember 2000 während des Projekts verstarb. Der Streifen ist somit auch ein Vermächtnis des Dichters.
Auch später arbeitete Copony gerne an Filmen mit Familienbezug. So begleitet etwa „Kanegra" (2004) die Klientinnen und Klienten eines Grazer sozialpsychologischen Beratungszentrums, das Coponys Mutter gegründet hatte, bei ihrer jährlicher Reise ins kroatische Kanegra. In einer Reihe von Interviews, die sie mit fünf dieser grundverschiedenen Menschen führt, zeichnet sie ein Bild von den einzelnen Schicksalen der Protagonisten und der Gemeinschaft gleichzeitig. Die Gespräche erschaffen ein Gefühl der „trostlosen Tröstlichkeit" der therapeutischen Arbeit am Meer.
Der Abstand zur Vergangenheit wird immer größer: „In der Kaserne"
Was wird durch die Generationen weiter getragen? Mit dieser Frage beschäftigte sich Copony in ihrem entschleunigtem autobiografischen Werk „In der Kaserne" (2019), einer Mischung aus Spiel- und Dokumentarfilm. Im Zentrum steht Coponys Familiengeschichte rund um die Großmutter, die eine Militärkantine in Straß in der Südsteiermark leitete. Dadurch verbrachte auch Copony selbst einen Teil ihrer Kindheit in dieser Kaserne.
Der Film zeigt die Vergänglichkeit der Erinnerungen auf und spürt nach, welche Rolle diese in der Kommunikation zwischen den Generationen spielen. Die unterschiedlichen Perspektiven auf die gleichen Geschehnisse öffnen einen Raum der Geheimnisse, die durch den Tod der vergangenen Generationen nicht mehr enthüllt werden können.
Trotz des nostalgischen Themas nutzt der Film kein Archivmaterial. Stattdessen werden aktuelle Filmaufnahmen der Kaserne und Soldaten neben eine Reihe von Clips von zwei jungen Mädchen gestellt, die sich als einzige Kinder in diesen männlich dominierten Räumen bewegen und Erinnerungen von Copony nachspielen. Die Mädchen auf der Bildebene bleiben den gesamten Film über gleich alt, obwohl auf der Ebene der Erzählung viel Zeit vergeht. So wird der immer größer werdende Abstand zur Vergangenheit verdeutlicht.
Zufallsbegegnungen: „Il Palazzo" und „Oceanul Mare"
Zu anderen von Coponys Filmen kam der Denkanstoß nicht von der eigenen Familie, sondern von Zufallsbegegnungen. Der Dokumentarfilm „Il Palazzo" (2006) spielt in einem der Außenbezirke Roms und erzählt vom Wohnkomplex Corviale, einem der längsten Gebäude der Welt, und dessen Bewohnern. Ein sozialer Wohnbau als Schauplatz, an dem es zu wenige soziale Treffpunkte gibt. Obwohl das Corviale von 8.000 Menschen bewohnt wird, bekommt man diese kaum zu Gesicht - als würde das Gebäude sie verschlucken. Der auf 16 mm gedrehte Film entstand, nachdem Copony einen der Bewohner, der sich um die kleinen Gärten des Corviale kümmerte, kennenlernte und ihn und seine Familie fotografierte.
Hier ist wieder die Gabe der Regisseurin spürbar, mit ihren Protagonisten eine Vertrauensbasis aufzubauen. Das belegt sie auch in „Oceanul Mare" (2009), einem dokumentarischen Porträt von drei in den frühen Neunzigerjahren eingewanderten Chinesen in Bukarest. Der Film zeigt das Leben der Migranten in Alltagsbildern, die sich untereinander sehr stark unterscheiden und aufzeigen, wie unterschiedlich Fremdsein ge- und erlebt werden kann. Mit „Oceanul Mare" ist Copony eine starke Collage aus Erfahrungen, Kulturschock und Transplantation gelungen.
Spielsucht als Berufung: „Der Spieler"
Der Film „Der Spieler" (2014) war ursprünglich als Dokumentation über ein junges Pärchen geplant. Er lebt vom Spielen, sie nicht. Zum Drehbeginn war die Beziehung allerdings bereits beendet. Aus dem geplanten Pärchen-Portrait wurde ein mitfühlender Blick in das Innenleben und des Berufs-Pokerspielers Rustem und seiner isolierten Welt. Filmisch besteht „Der Spieler" aus langen Einstellungen, die Rustem an den Schauplätzen seines Alltags zeigen und von einer Voice-Over-Erzählerstimme kommentiert werden. Die entsättigte Farbpalette der Bilder spiegelt dabei scheinbar die Stimmung des in Berlin lebenden Russen wider. Rustem verbringt meistens Zeit vor dem Computer, an dem er unter einem Alias mehrere Pokerspiele und Tourniere parallel bewältigt. Ein großer Teil der Geschichte wird am Anfang des Filmes nachts in Innenräumen, im fahlen Schein der Bildschirme erzählt. Diese Bilder stehen im Kontrast zu solchen, die Rustem mit Freunden im Bus oder beim Kampfsporttraining zeigen. Nach und nach nimmt der Spieler öfter an Pokerspielen im analogen Raum teil und legt seine digitale Anonymität ab. Trotz der schnell ver- und erspielten Geldsummen wirkt Rustems Alltag weniger glamourös, als man als Pokerlaie vermuten würde. Insgesamt wird dieser Alltag von der Filmemacherin mit tonal beindruckender Poesie inszeniert.
Ungebändigtes Ensemble: „Moghen paris - und sie ziehen mit"
„Moghen paris - und sie ziehen mit" (2016) ist ein filmischer Rausch, der zwischen Poesie und Dokumentation angesiedelt ist. Bildlich begleitet der Film den einzigartigen Karnevalsumzug eines sardischen Bergdorfes. Die archaischen Bildaufnahmen fließen mit der Musik von Peter Kutin und dem Text von Andreas Hofbauer, einem „Phantom-Logbuch", zu neuen Bedeutungsschichten zusammen. Gekonnt fängt Copony ein, wie der fast schon heidnisch anmutende Umzug am Aschermittwoch Hierarchien gekippt und die Realität auf den Kopf stellt.
Dichterisches Auge
„Moghen paris" ist symptomatisch für das Gesamtwerk der Filmemacherin: Mit dem Auge einer Dichterin erforscht Katharina Copony die Inhalte der Lücke, die im Spannungsverhältnis zwischen Bild und Ton ihrer Filme geboren werden. Dabei geht sie vom Großen ins Kleine und eröffnet neue Räume, wo man sie so nicht erwartet hätte
Katharina Copony bei sixpackfilm >>
Naima Noelle Schmidt
September 2021