Der musikalischen Substanz auf der Spur
Er begeistert Publikum, Kritiker und die Mitwirkenden gleichermaßen mit seinem höchst professionellen, jugendlich motivierten, rhythmisch präzisen, leidenschaftlichen Dirigat. Im Sommer 2021 gelang Patrick Hahn dies auch bei der styriarte, dem steirischen Musikfestival, mit Carl Orffs „Carmina Burana“.
Patrick Hahn, 26 Jahre jung, gilt schon seit einigen Jahren als Shootingstar in der klassischen Musikszene - in unterschiedlichen Medien porträtiert und interviewt und in Kritiken hoch gelobt. Doch beginnen wir chronologisch: Hahns musikalischer Weg beginnt in seiner Volksschulzeit in Hönigtal (Gemeinde Kainbach bei Graz). Dort sang er im Schulchor und spielte Blockflöte. Die Blockflöte tauschte er gegen das Keyboard ein, weil es zu Hause üblich war, dass jedes Kind ein Instrument lernt, obwohl die Eltern musikalisch überhaupt nicht vorbelastet sind. „Das Keyboard vom Onkel stand so herum", erinnert sich Hahn an die pragmatische Instrumentenwahl. Seine Lehrerin brachte ihn zu den Grazer Kapellknaben unter der Leitung von Matthias Unterkofler, der zu seinem großen Förderer und Unterstützer während der Schulzeit wurde. Hahn begann mit dem Klavier, und Unterkofler empfahl den Jungen für den Hochbegabtenlehrgang an der Grazer Kunstuniversität. Aufgenommen in die Klavierklasse von Maria Zgubic, erkannte Hahn schnell, dass er kein Solo-Pianist werden würde, weiterstudiert zeitgleich bis zur Matura hat er trotzdem: „Ich wollte musikalisch das große Ganze verstehen."
Zudem gesteht er schmunzelnd: „Ich war eigentlich faul beim Üben, die anderen Studierenden spielten und übten wie die Teufel."
Frühe Faszination für Orchestermusik
Nach einer „Zauberflöte"-Aufführung an der Grazer Oper, bei der der Zwölfjährige einer der drei Knaben war, kam er mit seinen beiden „Knaben-Kollegen" auf die Idee, eine eigene Oper zu schreiben. Hintergrund war die Faszination für Orchestermusik. Unterkofler ermunterte ihn bei dieser Idee mit den Worten: „Wenn du mir die Noten ablieferst, dann führen wir das auf." Und so kam es auch: „Die Frittatensuppe" heißt Hahns erste selbst geschriebene Oper, „ein schaurig-komisches Stück über Liebe, Drama und Eifersucht". Der Titel? „Wir saßen nach der ‚Zauberflöte‘ im Gasthaus und aßen Frittatensuppe." Die Aufführung war für Hahn eine Sternstunde, da er hierbei erstmals auch dirigierte. „Da habe ich habe Blut geleckt."
Von diesem Zeitpunkt an war ihm klar, dass er sein Musikleben am Pult verbringen möchte. Youtube-Videos fand er nicht lehrreich, das Dirigieren lernte er vor allem „by doing": Er übernahm den Kirchenchor auf der Laßnitzhöhe und begann mit dem Dirigierstudium im Maturajahr 2013. Zuvor sammelte er musikalische Erfahrungen in Minnesota, wo er ein Jahr lang zur High School ging. Auch beim Studium in Graz offenbart sich wieder eine Hahn‘sche Besonderheit: An der Kunstuniversität konzentriert man sich auf Chor- oder Orchesterdirigieren oder Korrepetition. Hahn machte alles gleichermaßen. Vier Jahre später schloss er mit 21 Jahren sein Studium mit dem Master ab.
München - Hamburg - Wuppertal
Eigentlich hat er sich in München am Opernhaus als Repetitor beworben - gemeldet hat die Bayerische Staatsoper sich bei ihm, um ihm die Neuproduktion einer Kinderoper anzuvertrauen. „Ich wollte den musikalischen Unterbau des Opernhauses intensiv kennenlernen", begründet er seine Absicht, als Korrepetitor tätig zu sein. Das war er dann auch in Hamburg, ein Jahr lang - eine intensive Zeit des Lernens. Ab Herbst 2021 ist er Generalmusikdirektor des Sinfonieorchesters Wuppertal. Dort wird er Opern dirigieren und Konzerte; mitunter auch zeitgenössische Musik, die eine große Faszination auf ihn ausübt. Auf diesem Sektor verbindet ihn eine enge Freundschaft mit dem Spezialistenensemble für zeitgenössische Musik, dem Klangforum Wien. Auch hier offenbart sich sein besonderer künstlerischer Zugang zum „koordinierten Chaos": „Mir geht es bei der Erarbeitung auch um einen befriedigenden sportlichen Aspekt, rhythmisch komplexe Werke so präzise wie möglich aufzuführen."
Positive Anspannung vor der Premiere
Auf die Frage, ob er nach wie vor komponiere, antwortet er lakonisch, dass es andere besser könnten und dass er mittlerweile zu wenig Zeit dafür habe. Und wie nähert sich der Künstler einem für ihn neuen Opern- oder Orchesterwerk? - „Ich gehe auf die Suche nach der Substanz. Wie ist der Aufbau des Werkes, wie detailreich ist die Partitur, was funktioniert und was nicht?" Oder er überlegt, ob sich in die Aufführungspraxis des Werkes Traditionen eingeschlichen haben, die außerhalb eines historischen Kontextes liegen. Dazu hört er sich auch Aufnahmen an. Künstlerisch ist ihm zudem der technische Aspekt wichtig: „Wie finde ich eine Balance, welche Instrumente wähle ich aus, wie komme ich zu einer schönen Mischung?"
Wie geht es dem jungen Mann auf der Bühne, vor der Premiere? - „Ich bin nicht nervös, ich spüre eine positive Anspannung." Nervös sei er mehr vor einer ersten Probe mit einem neuen Orchester. Da geisterten ihm Fragen durch den Kopf, wie: „Haben die Lust, mit mir zu musizieren? Stimmt die Chemie, geht mein musikalisches Konzept auf?" Wenn er bei der musikalischen Arbeit merkt, dass manche Dinge nicht so funktionieren, wie er sich das vorstellt, hinterfragt er sich sofort selbst: „Liegt es an mir, bin ich zu undeutlich?"
Credo: Weniger ist mehr
Sein Credo beim Dirigieren lautet „Weniger ist mehr." Man sollte nicht zu früh die ganze Energie hinausschießen. Dieses Credo sieht man seinem reichen künstlerischen Lebenslauf nicht an. Hahn selbst sieht das gelassen: „Im Moment muss ich leider viel mehr Projekte ablehnen, als ich annehmen kann." Verplant sei sein Arbeitsleben bis 2024.
Doch: Verbringt er Zeit daheim in Laßnitzhöhe, so wird er immer Zeit finden, am Klavier die Gäste und Patienten der Privatklinik mit Schlager- und Operettenliedern zu unterhalten. Auch während der „Carmina Burana"-Zeit war das so, schließlich tut er das, seit er zehn Jahre alt ist.
Petra Sieder-Grabner
Juli 2021