Erzählen und unterhalten
Bettina Messner und ihr literarisches Alter Ego Senta Bremstein präsentieren sich in bisher drei Erzählbänden als sehr wandlungsreich
Die ausgeprägte Fähigkeit, die Farbe zu wechseln und die flinke Zunge zur Jagd einzusetzen, teilt die Grazer Autorin Bettina Messner mit dem Chamäleon, das in ihrem dritten Buch, „Das schachspielende Chamäleon", zu Titelehren gelangt. Nur sind es im Fall von Messner der virtuose Wechsel der Erzählfarbe und die Kunst, mit spitzer Zunge unverblümt und auf direkte Art Rollenbilder, (überholte) Konventionen, Klischees und Aufklärungs-resistente Zeitgenossen samt ihren Vorurteilen und überholten Einstellungen aufs Korn zu nehmen.
Vergnügliche Bim-Protokolle
Bettina Messner, Jahrgang 1968, ist als studierte Kunsthistorikerin eine genaue Beobachterin und findet ihre Themen und ihr Figurenpersonal überall: in der Nachbarschaft, am familiären Mittagstisch, in den 70er-Jahren, im Berlin der Gegenwart, in der Reihenhaussiedlung, im traditionellen Kaffeehaus oder in der Straßenbahn. Wie sie in ihren erfrischenden „Bim-Geschichten" mit ironischem Augenzwinkern und menschenfreundlichem Humor den Menschen aufs Maul schaut und sie auf liebevolle und doch pfiffig-spitzzüngige Art zur Kenntlichkeit entstellt, ist sehr gelungen. Denn Messner beherrscht die Kunst des Zuhörens. Beispiel: „In der Bim. Ein wirklich altes, bedächtiges Paar ist mit den Köpfen in einen Angebotszettel eines Supermarktes vertieft. „Du Mutti, kauf ma dann a Rindfleisch?" „Wir dürfen ka rotes Fleisch ..." „Dann a Henderl?" „Schmeckt jo nach nix." „An Emmentaler?" „Fetten Käs sollma a net." Pause. „Schauma, ob die Grammeln ham?" „Jö!" „Nemma die?" „Die nemma!" Breites Lächeln." - Hier greifen Autorenwille, Empathie, erzählerisches Geschick , Originaltöne und Augenzwinkern in einem fast protokollarischen Stil stimmig ineinander und erzeugen einen vergnüglich zu lesenden Sog.
Der besondere Reiz der Prosaminiatur
Die Subjektivität des Blicks hinein in fremde Lebenswelten und das Fragmenthafte dessen, was man wahrnehmen kann und zu wissen glaubt, machen den besonderen Reiz dieser Prosaminiaturen aus. Entgegen den Usancen, sich als Autorin über Romane Gehör zu verschaffen, setzt Bettina Messner auf die hierzulande oft unterschätzte Form der Erzählung und Kurzprosa. Und damit auf eine vor allem im angloamerikanischen Sprachraum sehr beliebte Form des Erzählens, die literarischen Anspruch und die Kunst, zu unterhalten, nicht trennt. Gute Lesbarkeit und populäre Themen müssen nicht mit dem Verlust an Qualität einhergehen. Ob es sich um Teufelsaustreibungen handelt, um Fertiggerichte (Fischstäbchen und Schweizerlaibchen), den Schönheitswahn gelangweilter Ehefrauen, kosmische Geschwister, Polygamie, die Ökonomisierung von Beziehungen, sich emanzipierende Frauen, verwöhnte Kinder, die Sehnsucht nach Brokkoli, digitalisierte Partnersuche, Nacktbügler, schachspielende Chamäleons, verschwundene Kaffeehaus-Stammgäste oder den in der Fachwelt noch unbekannten Vögelizid: Bettina Messner spielt mit Klischees, findet meist den richtigen Ton und überrascht mit originellen Perspektiven und unerwarteten Wendungen.
Geist vs. Zeitgeist
Bettina Messner und ihr literarisches Alter Ego Senta Bremstein - das in ihren ersten zwei Erzählbänden „Senta bremst ein" und „Senta gibt Gas" als Erzählerin fungiert - versuchen dem Zeitgeist literarisch mit Witz und Geist Paroli zu bieten. Messner reklamiert phantasievolle Freiheiten, vermittelt Momente ungebändigter (weiblicher) Selbstbestimmung und plädiert mit Verve und Charme wider den Optimierungswahn, wider erstarrte und denkfaule Political Correctness und wider die Mechanismen unserer von Regeln und Konventionen eingeschränkten Leistungsgesellschaft.
Messner schreibt geistreiche Unterhaltungsliteratur, die nicht selten kluge Fragen stellt und oft ebenso unerwartete wie amüsante Antworten gibt, ohne auf den literarischen Anspruch zu verzichten und die Themen ganz dem Unterhaltungswert zu opfern. Die nicht eben geringe Kunst dieser Form von Literatur besteht darin, weder die potentiellen Leser zu „überfordern" noch ein bestimmtes angestrebtes Niveau zu unterschreiten.
Bücher:
· Senta bremst ein. Erzählungen. Edition Keiper: Graz 2014
· Senta gibt Gas. Erzählungen. Edition Keiper: Graz 2016
· Das schachspielende Chamäleon. Erzählungen. Edition Keiper: Graz 2019
Heimo Mürzl
Stand: März 2021