Die achtfache Klangform aus einem Guss
Es gibt sie, die zusammengewürfelten Streichoktette, die selten gut eingespielten Doppelquartette, und die personellen Achtfach-Auszüge aus Orchestern. Aber ein dediziertes, fest installiertes Streichoktett? Das gibt es nur einmal, zumindest in Mitteleuropa. Das Oberton String Ensemble wühlt sich gekonnt seit nunmehr fünf Jahren durch die Noten für Streicher zu acht.
Universitäten sind eine gute Sache. So weit, so trivial. Aber über die bekannten Vorzüge der profunden, individuellen Ausbildung hinaus sind sie oftmals auch Nährboden, auf dem die Zusammenschlüsse vieler Studierender gedeihen und sich entwickeln können. Auf den technischen und wirtschaftswissenschaftlichen Hochschulen spricht man in diesem Zusammenhang gerne von Start-ups. Und auf den Kunstuniversitäten? Da heißt so eine beispielhafte fruchtbringende Gesellschaft dann etwa: Oberton String Octet (OSO).
Kluge Investitionen
Es war eine Lehrveranstaltung der Kunstuniversität Graz (KUG), bei der man sich fand und einen Satz von Mendelssohns Streichoktett in Es-Dur, op. 20, einstudierte. Das gefiel dem vortragenden Professor, Stefan Görner aus Zürich, so gut, dass er vorschlug, auch die anderen Sätze einzustudieren und aufzuführen. Das darauf folgende Konzert im KUG-Abo im Jahr 2016 wurde klugerweise aufgezeichnet und an den Musikverein für Steiermark geschickt, dessen Präsident Michael Nemeth die junge Formation gleich für ein Konzert im Kammermusikzyklus einlud. Der nächste kluge Investor in das junge Ensemble war das Steirische Kammermusikfestival. Über einen anderen Professor der Kunstuniversität Graz, Reinhard Latzko, kam der Kontakt zustande. Und der Begeisterung der Zuseher war es gedankt, dass man mittlerweile gar „Ensemble in Residence" des Festivals ist.
Einzigartige Klangeinheit
Aber was ist es genau, was das Publikum so an Oberton schätzt? Ganz einfach: Man hört, dass das Ensemble eine Einheit ist. Über die Jahre hat man eine prägnante Klangvorstellung dessen entwickelt, was es bedeutet, als Oktett unterwegs zu sein. Einschränken lässt man sich dabei nicht: von Schubert bis hin zum Tango ist alles möglich. Und genau so bunt wie das Repertoire ist auch die Besetzung. Aus nicht weniger als sieben Nationen stammen die acht Musiker, die sich an der Kunstuni fanden. Von dieser Vielfalt zu einer Einheit zu kommen, bedeutet viel Arbeit, die sich aber lohnt. Die Idee vom gemeinsamen Klang, die sich daraus entwickelt hat, ist schlussendlich einzigartig.
Das haben dann auch etliche Veranstalter bemerkt. Auf die Engagements in Graz und der Steiermark folgten Konzerte von Lettland bis Israel ebenso wie ein Auftritt vor Bundespräsident Alexander van der Bellen anno 2018. Im vergangenen Jahr (2020) wurden Covid-bedingte Konzertabsagen mit Studioarbeiten kompensiert: Die Aufnahmen für das im März 2021 erschienene zweite OSO-Album, „Tangabile", wurden großteils mittels Crowdfunding finanziert. Nach dem 2019 erschienenen ersten Tonträger „Slavic Soul" mit Werken von Schostakowitsch, Glière und Afanasyev widmet man sich auf der Neuerscheinung den Werken des großen Tango-Innovators Astor Piazzolla, der am 11. März 2021 seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte.
Um Innovationen nie verlegen
Apropos Crowdfunding: Um Innovationen ist das Oberton String Ensemble nie verlegen. Neue Medien bespielen die jungen Musiker wie selbstverständlich, wovon der Youtube-Kanal mit unterhaltsamen und gehaltvollen Videos zeugt. Auch ein Zyklus namens „Homeland Memories" wurde ins Leben gerufen, wo den multinationalen Wurzeln der einzelnen Mitglieder Tribut gezollt wird. Und wenn, trotz des nahezu schon bis zum Orchestralen reichenden Klang des Oktetts, acht Musiker einmal nicht ausreichen? Dann holt man sich Freunde dazu und stellt mit Oberton+ gleich ein ganzes Kammerorchester.
String-Tank statt Think-Tank
Als gewissermaßen musikalisches Start-up hat das Oberton String Octet geschickt seine Nische gefunden und besetzt. Aber anders als in der Wirtschaft geht es in der Kunst nicht um Gewinn und Marktanteile. Sondern darum, der Musikgeschichte ein eigenes Kapitel hinzuzufügen und der Kunst den wichtigen Stellenwert in unserer Gesellschaft zu sichern. Daher veranstaltet Oberton häufig Workshops und Vorträge in Schulen, um jungen Menschen von der Schönheit der Musik zu berichten. Das Oberton String Octet ist in diesem Sinn mittlerweile ein professionelles Unterfangen mit Mehrwert geworden. Es wird auch weiterhin die Grenzen dessen, was ein Streichoktett sein kann, ausloten und mit Innovationen bereichern. Ein String-Tank für die Zukunft sozusagen.
Ensemblemitglieder:
Jevgēnijs Čepoveckis (Geige), Hanga Fehér (Bratsche), Floris Fortin (Cello), Serhii Zhuravlov (Bratsche), Dorottya Standi (Cello), Katarina Kutnar (Geige), Alberto Stiffoni (Geige), Veronika Brecelj (Geige)
https://obertonstringoctet.com/
Roland Schwarz
Stand: März 2021