Erzählte Performance und konzeptuelle Tourposter
Die Künstlerin Veronika Hauer verschränkt in ihren Arbeiten Text und Bild und lässt darin die Idee einer Performance mitschwingen.
Eine Serie von Fotoprints zeigt eine menschliche Figur im Yoga-Kopfstand, die mit ihren Füßen ein gezeichnetes Auge hochhält. Daneben ein gleichfalls gezeichneter Baum mit rotem Stamm. Die vertikale rote Linie, einziger Farbaspekt im schwarzweiß gehaltenen Bild, und die Vertikale der Figur verbildlichen den Buchstaben I. Wie in einer Fibel für Alphabet-Schüler findet sich darunter die Anwendung des Buchstabens in einem alliterierenden Text:
FOR THE ICON | AND |
THAT | INFECTED |
FELL | ALL |
ILL | IMAGERY |
ON AN | WITH IDEAS OF |
ISLAND | THICK IRONY |
Ein weiteres Blatt zeigt zwei Mädchen, die mit ihren Zöpfen ein M bilden, ebenfalls zum M wird die rot ausgezeichnete Binnenstruktur eines Briefumschlages. Ein Junge mit Gartenschlauch, im nächsten Bild, erkennt offenbar den Buchstaben S. Daran wieder ein Text, in dem von einer Schlange die Rede ist. Veronika Hauer hat diese Serie aus den Jahren 2017 bis 2019 „The Animated Alphabet" genannt. Die Idee für das von Hauer auch als „Tourposters" bezeichnete Konzept entstand nach Ansicht mehrerer Blätter aus den Alphabet-Werken, die der Mitbegründer der englischen Arts-and-Crafts-Bewegung, Walter Crane, Ende des 19. Jahrhunderts publizierte, beziehungsweise der deutlich pragmatischeren Fibel von Tom Seidmann-Freud „Hurra wir lesen! Hurra, wir schreiben!" (1931). Im Kontext von Arbeiten der 1981 in Klosterneuburg geborenen bildenden Künstlerin erweisen sich die Text-Bild-Werke freilich nicht als Anleitungen, das Alphabet zu erlernen, vielmehr als (potentielle) Handlungsanweisungen zur Performance, somit eine Art gezeichneter Choreografie. Ebenso gut könnten die Posters im Sinn Hauers aber wie Werbemittel fungieren, für die Tour durch etliche Ausstellungen.
light footed | leichtfüßige |
birds | Vögel |
lick lips | lecken Lippen |
lift legs | heben Beine |
get lit | lassen sich anstecken |
by a life | von einem Leben |
in limbo | in Schwebe |
Von einem Leben in Schwebe
Aus Zeichen entwickelt Veronika Hauer immer wieder assoziativen und montierten Text als Teil der jeweiligen Bildarbeit. Dabei gehen oft Details der vorhergehenden in die neue Arbeit ein. Die oben beschriebene auf dem Kopf stehende Figur, die eine Art Schautafel mit den Füßen hält, ist sichtlich das Motiv für eine Videoarbeit mit dem Titel „light footed birds lick lips, lift legs, get lit by a life in limbo" (2020). Auf etwas mehr als drei Minuten sind Füße zu sehen. Die Zehen halten wechselnde Tafeln mit unter anderen Zeichen aus Hand- und Fingeralphabet. „Speech to be looked at" ist der Übertitel dieses Prinzips verbildlichter, also nonverbaler Sprachkunstwerke, die am besagten Video ohne Tonspur schließlich in das eingeblendete Gedicht münden, „lips, lift legs, get lit by ...". Nur nebenbei bemerkt: Der Versuch einer Übersetzung kostet zwar maßgebliche Alliterationen, verdeutlicht dennoch lyrische Qualität:
London - Wien - Paris - Graz
Am Goldsmiths College, London, studierte Veronika Hauer zeitgenössische Kunsttheorie, an der Universität für angewandte Kunst in Wien studierte sie Kunst und kommunikative Praxis und beschäftigte sich mit Textil und an der École supérieure d'Arts in Paris mit Grafik. Nach solcher Vorgeschichte, und auf meine Frage, weshalb Graz und nicht Wien nun ihre Basis sei, antwortet Hauer zunächst mit den schon vermuteten privaten Gründen. Zudem aber zeichne sich Graz durch eine „unheimlich hohe Dichte" von Kulturinstitutionen aus, die freilich auch an der Publikation ihrer Arbeiten interessiert sind. Im Jahr 2013 etwa kuratierte Hauer im Forum Stadtpark die Ausstellung „A Buddy For A Text" zur Performance von Text und Sprache in der bildenden Kunst, verbunden mit Choreografie und Tanz. Darüber hinaus gibt die Künstlerin die Online-Zeitschrift für bildende Kunst „Nowiswere" heraus, und sie war bis 2019 Lektorin für „Performative Praxen" an der Universität für angewandte Kunst in Wien.
Kinetische Visualisierungen
Unter dem Titel „It's not visual - it's kinetic" nahm sie 2019 an einer von Kate Strain kuratierten Gruppenausstellung im Grazer Kunstverein teil. Die seither fortgeführte Werkreihe „Ballett of the Apes" besteht aus Tusche-„Porträts" von Affen, die als Protagonisten abermals „möglicher" Performances erscheinen. „Wie Tiere in einem Käfig" schreibt dazu Kate Strain, hingen Bilder von Affen an Seilen von der Decke des Ausstellungsraums und erinnerten an Trapezkünstler. Die Motive sind angeregt von einer Passage aus J. M. Coetzees Lehrstücken „Elizabeth Costello" (dt. 2004), in denen die Protagonistin Elizabeth bemerkt, „dass nur ein Dichter sich wirklich in Tiere einfühlen kann, wobei sie über das rein Analytische hinausgeht, um herauszufinden, was um alles in der Welt ein Affe in Anbetracht der Menschheit und ihrer seltsamen Accessoires wohl denken mag" (Strain). Die Bilder und die Form der Präsentation verwiesen jeweils auf die Idee von physischer Bewegung, indem sich etwa eine ausgestreckte Hand an ein Stück Stoff klammert. Freilich ist über das Genre Porträt auch der Vergleich mit Menschen, wenn nicht Rezipienten, evoziert. Im März und April 2021 sind weitere und neue Affenporträts sowie „Tourposters" unter dem Ausstellungstitel „M is for ..." in der Grazer Galerie Zimmermann Kratochwill zu sehen.
Für das Jahr 2020 ist - neben Keyvan Paydar - Veronika Hauer mit dem Kunstförderungspreis der Stadt Graz bedacht worden. Im dazu angelegten Videoporträt erklärt die Künstlerin, dass es in ihrer Arbeit zusehends um die Verschränkung von Text und Bild geht. Dabei schwingt die Idee der Performance zwar mit, es bleibt aber bei der „Möglichkeit" eines künstlerischen Live-Ereignisses. Die Performance äußert sich so durchwegs im konzeptuellen Bild.
https://veronikahauer.com
https://veronikahauer.com/works/speech-is-to be-looked-at
https://veronikahauer.com/works/interview-kunstforderpreis-stadt-graz-2020
http://nowiswere.com
Wenzel Mraček
Stand März 2021