Der Superspreader
Wer nach fünf Jahren Tom Lohner in der Kunstwelt noch nichts von dem Grazer gesehen, gehört oder gelesen hat, muss das ändern. Und jetzt sofort seinem Diogenes-Fass entsteigen.
Denn Tom Lohner nicht wahrzunehmen, ist schwierig. Er ist ein Künstler, dessen Wirken und Wirkung dem Begriff des Jahres 2020 eine tatsächlich positive Deutung schenkt: Lohner ist ein begeisternder Superspreader mit offenen Augen und einer ansteckenden Lebensbejahung. Montagmorgens, während viele von uns unausgegoren über dem ersten Kaffee sitzen, rollt er auf dem Skateboard durch seine Grazer Bakerhouse Gallery und nimmt das erste Video für die Social-Media-Community auf. Sein aufgewecktes „Good morning, everybody!" ist der Auftakt einer Woche voller Chancen und Möglichkeiten. Alles eine Frage der Sichtweise.
Tom Lohner ist als Künstler die absolute Antithese zum zurückgezogenen Elfenbeinturmbewohner. Als Kind unserer Zeit nutzt der 38-Jährige alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, nicht nur seine Herzlichkeit, sondern auch seine Kunst zu „spreaden" und wer meint, es ginge hier nur um kluges Content-Marketing (es hat fraglos auch diese Wirkung), dem sei ein Studiobesuch angeraten. Denn Tom Lohner ist ein Vollblutkünstler, der nicht nur voller Begeisterung über Maltechniken, Bildinhalte und die Weiterentwicklung seiner Kunst erzählt, sondern auch mit seiner Lieblingsmusik im Ohr - kraftvoller (Hard-)Rock- und Pop - stundenlang meditativ abtauchen kann in die Malerei, um am Abend „einerseits total glücklich und entspannt, aber andererseits auch total erschöpft" (Lohner) seine Palette abzulegen.
Grafik für Pop-Heroen
Dabei war die Malerei nicht die erste Berufswahl des gebürtigen Obersteirers. Nach Kindheits- und Jugendjahren in Kalifornien lernte er Grafik und Design an der Grazer Ortweinschule, um in London als Art Director bei der Event- und Produktionsagentur CC-Lab die Performances von Künstlern wie Lady Gaga, Prodigy, Pink Floyd und Foo Fighters - von Bühnenbildern über Storyboards bis hin zum Konzert- und Promodesign - zu gestalten. Von der Malerei leben zu können, war ein Traum - bis zu dem Zeitpunkt, als der Eventmanager Klaus Billinger ihm vorschlug, es ein halbes Jahr lang zu versuchen. Nachdem die erste Ausstellung „Human-Animalism" 2015 in Wien am Tag der Eröffnung ausverkauft war und Folgeaufträge einbrachte, wurde aus dem Traum Realität. Heute führen Tom Lohner und Klaus Billinger mit der 2019 eröffneten Bakerhouse Gallery die größte Privatgalerie Österreichs. 1200 Quadratmeter, die meist für Gruppenausstellungen genützt werden, sowie das Managementbüro Billingers als auch Lohners Studio beherbergen.
Dass sich Tom Lohner nicht auf Leinwände beschränkt, zeigte sich schon früh, als er einem Grazer Haubenlokal und einem Fitnessstudio seinen „Stempel" aufdrückte und den Citybeach mit Murals gestaltete. Dazu kamen eine Grazer Straßenbahn, folierte Autos, die Tattoos von Kunstfreunden, ein Festival für Alte Musik, die Styriarte, bei deren Eröffnung Lohner live malte, ein Weihnachtsmarkt in London ... es gab und gibt unzählige weitere Gelegenheiten, den Stil des Künstlers in der Öffentlichkeit zu studieren. Corona war der Ausgangspunkt für das Mural „Die Offenbarung" in der Wiener Gardegasse 3, unweit des Museumsquartiers. Es entstand im Juli 2020 in Zusammenarbeit mit dem Hollywood-Star Rose McGowen. Sie lieferte Lohner Inspirationen zur Umsetzung, und der Künstler verewigte sie und ihren besten Freund, Schauspieler Kurt Russell, auf diesem Wandgemälde.
Das Kunstwerk muss elektrisieren
Wo auch immer Kunst von Tom Lohner auftaucht: Sein ureigener Stil ist unverkennbar. Von der Steampunk-Ästhetik, Industrial Design und nicht zuletzt von Zeichnungen Walt Disneys beeinflusst, lässt seine Malerei keinen Zweifel daran, dass in ihm der strukturierte Grafiker mit unheimlich ästhetischer Strichführung wohnt. Ein besonderes Stilelement seiner figurativen Acrylmalerei ist in den Augen von Menschen aber auch Tieren zu finden: Diese lassen nie tief blicken, sondern verbergen die „Spiegel der Seele" hinter Jalousien oder scheinen als finstere Tunnel ein Geheimnis zu wahren. Ohne die Ausdruckkraft der Augen Emotionen in einem Gesicht darzustellen, war Lohners Antrieb. In der aktuellen großformatigen Serie weiblicher Porträts mit dem Titel „I Fuc*ing Love You" hält der Künstler fünf starke emotionale Momente in den Gesichtern fest - wiederum ohne in Augen blicken zu lassen. Ein Drahtseilakt, der gelingt.
Seine sprudelnden Ideen hält er in einem Skizzenbuch fest; ein Gemälde muss nicht zwingend der Skizze folgen, aber „die Emotion muss sich auch im Bild wiederfinden". „Ein Kunstwerk muss fetzen, der erste Eindruck soll motivieren, elektrisieren", ist Lohners Anspruch. Anschließend soll sich ein Kunstwerk nach und nach öffnen, „der zweite Eindruck soll tiefgehend sein". Grafische und schriftliche Details finden sich wie Rätsel in seinen Bildern, die erschlossen werden wollen.
Künstliche künstlerische Intelligenz
Das Lohner-Thema Mensch und Maschine führte ihn 2020 zu einem außerordentlichen und bahnbrechenden Experiment: Lohner skizzierte das Bild „Robolove", das einen Roboter im Moment des „Erwachens" zeigt, und überließ die malerische Umsetzung einer künstlichen Intelligenz, die mit Lohner-Farben und -Formen programmiert wurde. Die Fertigstellung war wieder von Künstlerhand geprägt: „Der erste und letzte Strich muss vom Künstler kommen - der Mensch darf nicht obsolet werden", bekräftigt der Künstler.
Wie alljährlich stehen auch 2021 wieder internationale Kunstmessen im Kalender Tom Lohners, allen voran seine Personale bei der New York Art Fair; außerdem die Teilnahme an der Vienna Contemporary und an der Art Basel Week in Miami. Nun, Hauptsache, wir finden den Superspreader immer wieder in seiner steirischen Homebase.
http://tomlohner.com
https://bakerhousegallery.com/
Claudia Taucher
Stand: Jänner 2021