No Body is Perfect
In den jüngeren Arbeiten von Arnold Reinisch steht das moderne Verhältnis zum menschlichen Körper auf dem Prüfstand.
Im Umfeld auch wirtschaftlicher Aspekte zeichnet sich in den westlichen Gesellschaften zusehends ein Trend zur Optimierung des eigenen Körpers ab. Propagiert durch Werbung, plastische Chirurgie, Pharma- und Sportindustrie entstehen Desiderate „perfekter" menschlicher Körper. Mittels diverser Geräte ermitteln Self-Tracker Betriebsdaten ihrer selbst und quantifizieren sich via Bewegungs- und Ruhezeiten, Blutdruckwerten und Ernährungsprofilen. Entsprechend jeweiliger Schönheitsideale war der vollkommene Körper aber auch immer ein kulturhistorisches Motiv, das eigentlich seit der Antike durch die Kunst vermittelt respektive mit der einsetzenden Moderne als fragmentiertes und abstrahiertes Bild des Körpers verhandelt wurde.
Die Optimierung des vermessenen Körpers
Mit einer Serie von Fotografien unter dem Titel „Bodies Re-formed" nahm sich der Grazer Arnold Reinisch 2018 des Themas an. Dabei interpretierte er das Prinzip der Optimierung des vermessenen Körpers allerdings hinsichtlich gegenwärtig logistischer Ansprüche. Die in ihren Oberflächen an menschliche Haut erinnernden plastischen Bilder von Körperfragmenten sind durchwegs kubisch geformt, damit stapelbar und auch hinsichtlich Lagerlogistik gut einzuordnen. Der re-formierte oder formatierte Körper wird den Ansprüchen einer wirtschaftlich orientierten Gesellschaft angepasst. Freilich ist mit den in Kunststoffen nachgebildeten Körperteilen immer ein sarkastisch ironischer Aspekt verbunden, wenn gewisse Arbeiten etwa mit „Partyservice" betitelt sind, angerichtet auf Etagen in Beistellwagen, wie man sie in der Gastronomie verwendet.
Reinischs konsequent verfolgtes Motiv, den menschlichen Körper unter Annahme fiktiver Szenarien in den Genres Skulptur, Malerei, Fotografie und Video zu adaptieren, führte nach frühen Aktstudien bald zu Überlegungen zur Hybridisierung organischer und anorganischer Strukturen. So affichierte Reinisch beispielsweise Makroaufnahmen menschlicher Haut auf fotografierte Architektur, oder er stellte - in wiederum ironisch verkürzter Weise - Prothesen und Austauschorgane zur Verfügung, die er in der Serie „do it yourself" (1996) auch gleich um praktische Heimwerkeranleitungen ergänzte. Vor dem Hintergrund der Diskussion um Genmanipulation und Stammzellenforschung führen Reinischs Überlegungen in einen, per Kunstwerk anschaulich gemachten, kritischen Bereich, in dem Körper als Ersatzteillager fungieren könnten.
Cyborgs im Labor
Aktuelle Objekte und Installationen lassen an Laborsituationen denken, wo Experimente mit Organen und Körperteilen zu mehr oder weniger geglückten (Forschungs-)Ergebnissen geführt haben mögen. An Fleisch und Blut gemahnende Gebilde scheinen durch gleichfalls organisch anmutende Schläuche mit Reagenzien verbunden, und implantierte USB-Verbindungen deuten an, sie könnten mit IT-Systemen korrelieren - Fragmente somit von rudimentären Cyborgs, biologisch kybernetischen Organismen. Arnold Reinisch zeigt, was Frankenstein im Zeitalter der Biotechnologie noch immer nicht so recht gelingen will.
Unbehagen respektive Angstlust verursachen die Ansichten seiner neuesten und seit 2019 fortgeführten fotografischen Serie namens „Vintage Dystopia". In hartem, gerichtetem Licht posieren menschliche Körper vor dunklem Hintergrund. Zumeist sind die Individuen mit anderen Körpern und organisch wirkenden Objekten über Drainagen verbunden. Ihre Körperfunktionen werden offenbar durch externe Mittel aufrechterhalten. Hautähnliche Masken und Drapierungen geben vor, diese Körper zu schützen, beziehungsweise verschleiern die Masken Persönlichkeit und Individualität.
Verkörperungen des Abjekten
In gegenwärtigen Gesellschaften muten die Abbilder von Individuen vielfach kalkuliert an. Per Datenerfassung und -Analyse, mittels Gesichtserkennung und Identifizierung werden Lebensumstände erfasst und Personen zugeordnet, Individuen damit gegenüber wirtschaftlichem und politischem Verhalten kategorisiert. Diesem „errechneten" Menschen könnte mittels Körperumformungen die Möglichkeit gegeben werden, sich selbstbestimmt der Öffentlichkeit zu entziehen. Zusehends bedenkliche soziale Kontrollmechanismen befürchtend, könnten sich Personen mittels einfacher Vorrichtungen gegenüber den technischen Überwachungs- und Kontrollsystemen verbergen, vergleichbar den Cyberpunks des Science-Fiction-Autors William Gibson.
Wollte man dagegen den Überlegungen der Psychoanalytikerin Julia Kristeva folgen, wäre angesichts „Vintage Dystopia" zudem an eine Darstellung der Verkörperung des Abjekten zu denken. Dem Horror nämlich, der sich entwickelt, wenn in einem weit gefassten Sinn Macht durch Interventionen der Machtlosen gestört wird. Die Krise des Subjekts äußert sich demnach im Abjekt, wenn Tabus, Normen oder Hierarchien verletzt werden, schon wenn ein vermeintlicher Konsens ästhetischer Präsentation unterlaufen wird, wie es in diesen Fotografien von Arnold Reinisch der Fall ist.
Wenzel Mraček
Stand: April 2020