Vom Freilegen und Gebären
Mit Hammer und Meißel: Bildhauerin Ulrike Truger






Die am 16. Oktober 1948 in Hartberg geborene Künstlerin Ulrike Truger fand den Weg zur Bildhauerei erst über Umwege. Ein abgebrochenes Mathematik-Studium und ambitionierte Versuche als Journalistin zeugen davon. 1975 erhielt die Wander-Bertoni-Schülerin das Diplom für Bildhauerei an der Universität für angewandte Kunst Wien. Unmittelbar nach Beendigung des selbstfinanzierten Studiums begann Truger als freischaffende Bildhauerin zu arbeiten. Was ihre Eltern - wie bereits das Studium der Bildhauerei - für eine abstruse und aussichtslose Idee hielten. Mit Bescheidenheit und großem Beharrungsvermögen ging Ulrike Truger unbeirrt ihren Weg und ist heute eine Ausnahmeerscheinung unter den wenigen aktiven Steinbildhauerinnen. Während ihres Studiums arbeitete Ulrike Truger vor allem mit diversen Metallen und Polyester. Die Liebe zum Material Stein - „Ich denke in Stein", sagt Ulrike Truger heute - entstand erst ein Jahr nach ihrem Studienabschluss bei einer Reise nach Istrien. Das Material Stein faszinierte Truger sofort. In erster Linie, weil der Mensch in seiner Ganzheitlichkeit - Körper, Geist und Seele - gefordert ist und angeregt wird. „In Verbindung mit dem Stein gedeihen meine Themen. Die Steinarbeit hat durch das Klopfen im Takt etwas sehr Meditatives und setzt innere Vorgänge, Empfindungen und Gefühle frei." Wobei das Material Stein erst durch die Berührung der Hände und Finger lebendig wird und so Informationen an das Gehirn weiterleiten kann. Der Schriftsteller José Saramago spricht davon, „dass in jedem unserer Finger ein kleines Gehirn sitzt."
Ästhetik und Gestaltungswille
Saramago spricht auch davon, dass das Gehirn der Finger sich erst kontinuierlich unter der „Mithilfe der Augen und der Mithilfe dessen, was von ihnen gesehen wird" herausbilde und „das Enthüllen des Verborgenen" ihre Hauptaufgabe sei. Das entspricht zum Teil dem Kunstverständnis von Ulrike Truger, wobei sie ergänzt, dass ihr nicht nur das Sichtbar-Machen wichtig sei, sondern sie in ihrem Werk stets auch die Mahner- und Warner-Funktion der Kunst betone. Ohne darauf zu vergessen, an das Gute im Menschen zu appellieren. Es geht Ulrike Truger aber nie um vordergründige Effekte oder pure Provokation. Ihr Werk verknüpft Poesie und Haltung sowie Ästhetik und Gestaltungswillen auf ebenso spielerische wie stolze Art - stets tiefgründig, reflektiert und sinnlich. Ulrike Truger arbeitet kontinuierlich „rundherum": Ihre Skulpturen entstehen, indem sie den Stein von allen Seiten organisch bearbeitet. Auf diese Weise gelingt es ihr mit Hammer und Meißel, die Seele des Steines freizulegen. Die Beschaffenheit des Steines mit seinen Krusten, Linien, Kanten und Rundungen macht ihn zu einer handwerklichen, ästhetischen und sinnlichen Herausforderung. Trugers Gedanken und die Arbeit ihrer Hände entlocken dem Stein Texturen. Im stimmigen Zusammenspiel von Handwerk, Technik und künstlerischem Gestaltungswillen entstehen beeindruckende Skulpturen. „Die Strukturen, die jeder Stein mitbringt, sind ein Geschenk. So etwas kann man nicht erzeugen", sagt Truger und erzählt davon, dass sie Grauschiefer und schwarzen Granit zwar als Material durchaus schätze, am liebsten aber mit Carrara-Marmor arbeite. Der weiße Carrara-Marmor sei am geeignetsten dafür, gewünschte Formen hervorzubringen.
Originär weiblicher Zugang
Die Skulpturen vereinen Kraft und Anmut ebenso wie Körperlichkeit und Geist und stehen für einen originär weiblichen Zugang zur Bildhauerei. Wer die Kunstgeschichte kennt, weiß um die Verluste, die die Geringschätzung und Unterdrückung der Kunst von Frauen zeitigte. Verluste allerdings, die weder in kanonisierten Datenbanken noch in künstlerischer Wertschätzung aufscheinen. Verluste in Bereichen wie Geist, Bildung, Humanitas und aufrechter Haltung. Auch Ulrike Truger mag vielleicht nicht zu den umfassend kanonisierten Künstlerinnen gehören und möglicherweise nur in sogenannten eingeweihten Kreisen als solitäre Größe gewürdigt werden. Das tut ihrer Bedeutung jedoch keinen Abbruch. - Ist sie doch der überzeugende Beweis dafür, dass man nicht „berühmt" sein muss, um zu den ganz Großen zu zählen.
Unabhängigkeit und Ungehorsam
„Ich habe den Ruf, nicht gehorsam zu sein", erzählt sie „und ich habe mich nie ausbremsen lassen." Das Widerständige, den Ungehorsam hat die Tochter einer Buchhalterin und eines Journalisten, Schriftstellers und engagierten Kommunisten wohl vom Elternhaus mitbekommen. Truger selbst sieht sich in der Rolle einer selbstbewussten und selbstbestimmten Künstlerin, die mit ihren Skulpturen Geschichten erzählt und Geschichte kommentiert. Sie zählte nie zu den Bewohnern des künstlerischen Elfenbeinturms, widerstand allen Einflüsterungen und gut gemeinten Ratschlägen und kämpfte mit Schläue und Mut immer trotzig gegen den Ungeist der Zeit. Obwohl Ulrike Truger von Beginn an wusste, dass man es sich als freischaffende Künstlerin nicht einfacher macht, wenn man künstlerisch Position bezieht und Haltung zeigt, scheute sie nie die Auseinandersetzung. Mehr als einmal stellte sie große Skulpturen ohne Bewilligung an exponierten Platzen auf und sorgte mit ihren Aktionen für heftige Diskussionen. Das beeindruckende „Lichtermeer" auf dem Hartberger Hauptplatz anlässlich des Briefbombenattentats des Rechtsextremisten Franz Fuchs auf den Hartberger Flüchtlingspfarrer August Janisch im Dezember 1993 nahm Truger zum Anlass, ihre Skulptur „Die Wächterin" spontan vor der Hartberger Pfarrkirche zu positionieren. Im Jahr 2000 fand die Skulptur in Wien ein neues Zuhause: Aus Protest gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ positionierte Truger „Die Wächterin" vor dem Burgtheater.
In dieser Zeit sorgte auch der Fall des 1999 bei seiner Abschiebung ums Leben gekommenen Nigerianers Marcus Omofuma für die nächste „von Amtswegen nicht abgesegnete Intervention" Trugers. Menschenrechtsaktivisten hatten im Jahr 2003 bei Truger um einen Gedenkstein für Marcus Omofuma angefragt. Das Förderungsansuchen wurde abgelehnt. Truger ergriff die Initiative, arbeitete von sich aus ohne Auftrag und Honorar und schuf den Marcus-Omofuma-Stein und ließ ihn ohne behördliche Genehmigung frühmorgens neben der Staatsoper aufstellen. „Das war sehr schön! Da war was los in Wien!", erzählt Ulrike Truger zufrieden lachend, in einer stimmigen Mischung aus Schalk, zivilem Ungehorsam und sanfter weiblicher Renitenz.
Das wirkliche Leben mit all seinen Verwerfungen und Unwägbarkeiten war ihr immer näher als das L`art pour l`art der schönen Künste. „Jede Skulptur ist ein Gegenüber", konstatiert Ulrike Truger. Sie sollte im richtigen Kontext am richtigen Ort im öffentlichen Raum positioniert werden. „Ich mache Kunst für alle Menschen, nicht nur für eingeweihte Kreise" erklärt Truger und fügt hinzu, dass ihr die Meinung einer interessierten Privatperson genauso wichtig ist wie die Rezeption ihrer Werke durch die Kunstkritik. Ulrike Truger ist der beste Beweis dafür, dass künstlerische Arbeit immer auch Charaktersache ist und man mit Kunst etwas bewirken kann.
Aktuell arbeitet Ulrike Truger an einer Hommage an Greta Thunberg: „How Dare You", so der Titel der Arbeit, entsteht wieder ohne Auftrag auf eigene Kosten. „Weil", so Ulrike Truger, „ich muss es einfach machen. Die Bildhauerei ist ja mein Leben!"
Heimo Mürzl
Stand: Jänner 2020