Zwei Leben und ein Trojanisches Pferd

Irmi und Reinfrid Horn überschreiten in ihrem Grazer kunstGarten alle Genre- und Spartengrenzen.

Irmi und Reinfrid Horn
Irmi und Reinfrid Horn© kunstGARTEN
kunstGARTEN, Straßengalerie
kunstGARTEN, Straßengalerie© kunstGARTEN

Wenn jemand so viel zu erzählen hat wie Irmi und Reinfrid Horn und ihr kunstGarten, ist es schier unmöglich, mitzuschreiben. Der Garten redet nämlich immer mit, genauso wie die Spatzen vorm Fenster. Die beiden Horns sind ohne ihren Garten nicht mehr zu denken. Es gibt ihn, den kunstGarten, mittlerweile 15 Jahre. Irmi Horn ist hier aufgewachsen, im Haus ihrer Großmutter, und irgendwann später hat sie das Haus geerbt und Reinfrid kennengelernt. Das Haus war damals aber noch nicht das Haus, das es heute ist. Es bedurfte erst vieler Um- und Aufbauten, und trotzdem ist es eigentlich noch zu klein. Die beiden Horns sind nämlich Sammler und Jäger, und das sieht man dem Haus an. Es ist voll. Aber heimelig voll, mit Kunst und Büchern. So voll, dass man sich wohlfühlt. Jedes Eck sagt: Setz dich hierher, nimm dir etwas zum Lesen aus der Gartenbibliothek, schmökere drin. Und vor dem Fenster die Spatzen. Hier ist es sehr gemütlich.

Das Forum Stadtpark hat anno dazumal also auch diese beiden Menschen mit Kunst infiziert - damals, als es noch so war, wie es heute wieder wird: ein produktives Miteinander verschiedener Kunstarten. Das Forum als Notausstieg aus dem braun versumpften Graz. Reinfrid bespielte den Pavillon im Stadtpark mit Jazz, Irmi war am Schauspielhaus, man hat sich gefunden und ist zusammen gewachsen, denn die Leidenschaften für Natur und Kunst, die waren deckungsgleich. Freunde, die man damals gewonnen hat, sind ihr Leben lang geblieben. Hartmut Skerbisch zum Beispiel, Ernst M. Binder, Ferdinand Penker, Christoph Schlingensief, Barbara Frischmuth. Die liest bis heute jedes Jahr einmal im kunstGarten aus ihren neuen Werken. Irmi Horn ist übrigens selbst auch Autorin und Regisseurin - ihr letztes Buch ist in der Grazer edition keiper erschienen und trägt den Titel: „Konsequenzen. Strange Stories".

Man kann Kunstwerke dieser und vieler anderer, junger, weiblicher, diverser Künstler im Garten erleben. Das ist der Schmäh dran: der kunstGarten ist ein Trojanisches Pferd, so nennen ihn die Horns. Es kommen beispielsweise die Blumenliebhaber und die Gartenconnaisseurs, um ihn sich anzusehen, von ihm zu lernen. Und die bekommen dann erklärt, was es zum Beispiel mit den wehenden Strumpfhosen im Eck auf sich hat (sie bilden eine Installation von Lisa Reiter). Oder auch umgekehrt. Interessiert man sich für Arne Rautenbergs Skulptur „The Breath of Hokusai", dann werden einem die seltenen Pfingstrosen erklärt, die nicht weit entfernt wachsen. Kunstvermittlung durch Pflanzenkunde, Pflanzenkunde durch Kunstvermittlung, Menschenbildung durch die Hintertür.

Hier hat es nichts gegeben, sagt Irmi und meint mit hier diesen Bezirk von Graz, der immer schon ein Bezirk der Lagerung, der Abfallwirtschaft, der Resteverwertung war: Schlachthof, Krematorium, Gefängnis und Friedhof. Wir müssen die Leute ins Haus bringen, beschlossen die Horns, und gründeten 2003 den gemeinnützigen Verein kunstGarten. Bauten das Haus um. Konzipierten ein Programm. Bereiteten eine gartenliterarische Fachbibliothek auf, die den Garten draußen mit unzähligen Vorstellungen von erträumten Gärten kommentiert.  Beschilderten den Rosengarten und entwickelten den Bühnenraum. Verschachtelten Natur und Kunst zu ihrem Trojanischen Pferd und eröffneten 2004. Die Vielfalt der realen als auch virtuellen Denk- und Kommunikationsräume möglichst breit auszustellen, war das erklärte Ziel: Der kunstGarten war und ist offen für alle Ansätze von Kunst. Dazwischen laufen die Enten, wächst der Ginkgo, der gleich alt ist wie die Tochter der beiden, blüht und stirbt und gedeiht und verrottet es. Kunst und Garten greifen ineinander. Gärtnern, so sagen sie, ist immer auch Ausmerzen. Welche Pflanze reiße ich aus, damit eine andere besser wachsen kann?

Und wie ist es nun konkret, wenn man diesen Garten besuchen möchte? Zunächst einmal keine Angst vor der Lage im Grazer Randbezirk. Hier gibt es jetzt nämlich etwas. Der kunstGarten sieht nur oberflächlich betrachtet so aus wie ein Einfamilienhaus unter anderen. Der kunstGarten hat Öffnungszeiten, ist aber eigentlich fast immer offen. Ein dichtes Programm erwartet jene, die sich auf ihn einlassen: Lesungen, Filmabende, Ausstellungen - auch im Öffentlichen Raum - Musikaufführungen, Workshops, Vorträge ...

Irmi und Reinfrid sehen sich selbstbewusst als Trendsetter und sind es auch. Viele KünstlerInnen wurden hier schon präsentiert, bevor sie in den großen Häusern zum Zug gekommen sind. Sie sehen ihren Garten auch als eine Art Schule der Aufmerksamkeit (Erwachsenenbildung at it`s best), als eine Hinführung zu Empathie und Verständnis für andersartige Lebensformen und Denkweisen. Jeder Besuch im kunstGarten kann Horizonte öffnen. Manche Kunstwerke sind zum Beispiel erst sichtbar, wenn das Grün auf ein Minimum reduziert ist, zu einer Zeit, in der Gärten oftmals nicht im Fokus der menschlichen Aufmerksamkeit stehen: im Winter. Den Garten und die Kunst erlebt man bei jedem Besuch anders.

Irmi und Reinfrid Horn wurde für ihre interdisziplinäre Arbeit 2017 das Goldene Ehrenzeichen des Landes Steiermark verliehen - und dem kunstGarten die Mittel gekürzt. Mit dieser Logik muss man erst mal klarkommen. Irmi und Reinfried Horn lassen sich jedenfalls nicht beirren. Sie reden weiter mit in der Grazer Kulturszene - genauso wie ihr Garten.

 https://kunstgarten.at/

Andrea Stift-Laube
Stand: Mai 2019

Hartmut Skerbisch, Pythagorasbaum 2007
Hartmut Skerbisch, Pythagorasbaum 2007© kunstGARTEN
Arne Rautenberg, The Breath of Hokusei 2014
Arne Rautenberg, The Breath of Hokusei 2014© kunstGARTEN
Lisa Reiter, Unter dem Darunter 2018
Lisa Reiter, Unter dem Darunter 2018© kunstGARTEN
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