„Das Leben war stärker als ich“
Annemarie Höller kann schon auf eine sehr abwechslungsreiche Karriere zurückblicken: Sie war Mitglied der Wright Singers, wurde beim Salzburger Jazzherbst als Newcomer gefeiert, stand mit der Combo Annie & Jazzklusiv auf der Bühne, mit der Disco-Partyband Bad Powells, mit Global Kryner und zuletzt mit dem Gitarristen Mario Berger. 2016 erfand sich die charismatische Sängerin neu. Im Frühjahr 2019 ist ihr zweites Solo-Album erschienen.
Erste Plattenaufnahmen mit elf Jahren
Die ersten Auftritte hatte sie als Kleinkind vor den Gästen einer Frühstückspension: Sie sang „Rucki Zucki", das sie im Fernsehen gehört hatte, tanzte dazu und freute sich über den Applaus. In der Hauptschule war sie unter den zehn Kindern im Chor, die eine Platte aufnahmen. An den Text ihres Solos in einem Lied erinnert sie sich bis heute: „Ich hätte gern ein Auto mit Flügeln und Düsen, damit wär ich die Schnellste auf jeder Autobahn ...". Die Platte führte die Kinderhitparade von Radio Salzburg wochenlang an, es gab einen Fernseh-Auftritt - sogar Tantiemen bekamen die Kinder.
Sängerin ist kein Beruf
Obwohl sie Musik über alles liebte, war sie überzeugt, dass Sängerin kein Beruf sein könne. Sie absolvierte also eine Höhere Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe und ging danach für ein Jahr nach Paris. Die Familie, für die sie als Au-pair arbeitete, vermittelte sie an einen deutsch-französischen Chor, mit dem Annemarie in Frankreich und Kanada auftrat. Auch mit Pariser Straßenmusikern sammelte sie Erfahrungen.
Zurück in Österreich zog sie nach Wien, arbeitete in einem Reisebüro und dann im Aktuellen Dienst des ORF Niederösterreich. In dieser Zeit sang sie in einer Laienband, die viel Spaß hatte, aber aus dem Proberaum nie hinauskam. „Die Band war so unprofessionell, dass ich mich getraut habe, dort Sängerin zu sein. Ich hab mir gedacht, wir probieren alle, da ist es OK", sagt Annemarie Höller und schmunzelt.
Sprung ins kalte Wasser
Nach ihrem ersten Workshop bei der renommierten Wiener Jazzsängerin Elly Wright holte sie diese in ihre Band. „Damals war ich 25. Es war ein Sprung ins kalte Wasser, aber ich habe gleich gewusst: Das ist meins, da gehör‘ ich hin. Es hat eine Weile gedauert, bis ich es gewagt habe, Sängerin zu werden, aber rückblickend war es unausweichlich, es gab kein Entkommen. Das Leben war stärker als ich!", sagt Annemarie Höller mit hörbarer Begeisterung. Auf dem 1996 erschienenen Live-Album der Wright Singers „Rainbow 'Round Your Soul" ist Annemarie auch als Solistin zu hören.
Jetzt oder nie
Ihre Urlaube verbrachte sie fortan bei Jazzworkshops, lernte beim Jammen viele MusikerInnen kennen und sang in deren Bands. Mit 27 hatte die Musik so einen großen Stellenwert für sie, dass sie die vielleicht wichtigste Entscheidung ihres Lebens traf. „Ich habe gewusst, das verzeih ich mir nie, wenn ich es nicht probiere", erzählt Annemarie Höller. Sie kündigte ihre Stelle beim ORF und flog nach Los Angeles, um dort ein Jahr lang Gesang zu studieren. Nach ihrer Rückkehr holte der Gitarrist Christoph Helm sie zur Showband Bad Powells, die, bunt kostümiert, Soul- und Discomusik der 1970er und frühen 80er spielte. Fünfzehn Jahre lang sang Annemarie in dieser Band. Daneben trat sie mit der arrivierten Formation Jazzklusiv des Gitarristen Martin Spitzer auf und ist auf der 2003 erschienenen CD „Who's Been Talking" zu hören.
Goldene Schallplatte mit Global Kryner
Als 2003 bei Global Kryner die Sängerin ausfiel, sprang Annemarie ein, obwohl sie deren Musik nicht kannte. „Christoph Spörk hat mich angerufen und mir am Telefon ‚Something Stupid‘ vorgespielt, und das habe ich so lustig gefunden, dass ich zugesagt habe." Nachdem die Band ein Demo aufgenommen hatte, wurden die Auftritte immer mehr. Die erste CD war wochenlang in den Charts und wurde vergoldet. Den Auftritt im Musikantenstadl kompensierte man direkt imAnschluss mit einem Mitternachtsauftritt im renommierten Wiener Jazzclub Porgy & Bess. Darüber berichtete sogar die „Zeit im Bild". „Irgendwann habe ich gedacht, das Projekt ist genial, aber es ist eigentlich nicht das, was ich machen will."
Erfolgreiches Duo: Annemarie Höller und Mario Berger
Die nächsten zwölf Jahre teilte Annemarie Höller die Bühne mit dem bekannten Gitarristen Mario Berger, einem der führenden Studiomusiker in Österreich. Ihr erstes gemeinsames Programm nannten sie „Die 20 schönsten Lieder der Welt", aber bald komponierten sie eigene Songs, wobei sie die Texte schrieb und er die Musik. Drei CDs entstanden, auf denen sein virtuoses Gitarrenspiel und ihre wandlungsfähige Stimme sehr harmonisch zur Geltung kommen. Annemaries Sprachkenntnisse (Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch) ermöglichten ein abwechslungsreiches, temperamentvolles Programm, das sie mit Band oder im Duo auf die Bühne brachten.
Ortswechsel und Neuorientierung
2016 zog Annemarie Höller in die Südsteiermark und begann zu komponieren. Die Idee zu ihrem ersten Solo-Album entstand während einer Woche auf einer Salzburger Alm in 1.750 Meter Höhe. Die absolute Ruhe war sie - wie die meisten Menschen - nicht mehr gewöhnt. „Ich habe gemerkt, ich entspanne mich so tief, wie ich das gar nicht kenne", sagt sie. „Ich habe das Müdewerden und den Einschlafprozess sehr bewusst erlebt, bis zu dem Punkt, wo ich mich dem Schlaf ergeben habe, das war eine intensive, neue Erfahrung. Und eines Abends hab ich mich hingesetzt und die ersten Akkorde gespielt. Ich wollte dieses Gefühl des Friedens einfangen. Es wurde ein Liebeslied an den Schlaf." Daraus entwickelte sich eine Platte mit sanfter Musik zum Entspannen: „Morpheus Arms".
Solistin mit neuer Band
Annemarie Höller fing wieder an Gitarre zu spielen, viele Songs entstanden. In der steirischen Szene fand sie renommierte Musiker für ihre neue Band: den Gitarristen und Singer-Songwriter Stefan Wedam, dessen Bruder Jakob Wedam an Percussion, Schlagzeug und Geige und den Jazzer Wolfram Derschmidt am Kontrabass. Das Resultat kann sich sehen respektive hören lassen: Das Album „Here she is" enthält elf eingängige, abwechslungsreiche Songs in schönen Arrangements. Mit den (englischen) Texten möchte Annemarie Höller zum Nachdenken, Träumen und zu couragiertem Tun anregen.
Barbara Belic
Stand: März 2019