Renitentia immanentia est
Künstlerin, Musikerin, Komponistin, Organisatorin, Kuratorin, Radiotechnikerin, Hackerin, Kunstvermittlerin und Aktivistin sind nur ein paar der zahlreichen – in Anbetracht einer tatsächlichen Arbeitsrealität generisch anmutenden –Berufsbezeichnungen, anhand derer sich das weite Aktivitätsfeld von Reni Hofmüller einigermaßen adäquat beschreiben lässt.
Die Wurzeln der Renitenz
Anno 1966 in Innsbruck als Sandwichkind (zwischen zwei Schwestern) in den relativ progressiven Haushalt einer feministischen Rechtswissenschaftlerin und eines Korrepetitors am Konservatorium hineingeboren, verbrachte Reni Hofmüller bereits als Kind viel Zeit damit, „im Klangraum unter dem Klavier sitzend" ihr eigenes künstlerisches Sensorium wahrzunehmen, zu entwickeln und zu schärfen. Mit der Prämisse, ebendiesen noch kindlichen Esprit musikalischer Frühentwicklung in geordnete Bahnen zu lenken, wurde angesichts der nach eigenen Angaben zu sehr antiautoritär behafteten Person des Vaters ein Klavierlehrer namens Toifel angeheuert. Dessen konservative Methodik sollte - „nomen est omen; es war wirklich die Hölle" - wie so oft in den Biographien kreativer Menschen auch bei der jungen Renitentia in der Folge eher zu einer Haltung der Verweigerung führen, quasi zu „meinem Ende der Musiktheorie und des Notenlesens", anstatt besagtes Talent zu fördern und zu entfalten.
Glücklicherweise gelang es ihr, trotz durchlaufendem musikpädagogischem Trauma, sich die Liebe zum Klang und dessen Abstraktion nie nehmen zu lassen, und sie experimentierte munter weiter an Klavier, Radios und anderen Objekten und Instrumenten. 1984, im zarten Alter von 18 Jahren, einem juvenilen kosmopolitischen Fernweh Folge leistend, verbrachte sie einen mehrmonatigen („aus einem wurden auf einmal vier") Aufenthalt in Nicaragua, für das sie sich bereits in mehreren Solidaritätsbewegungen engagiert hatte. Sie leistete dort „symbolische Arbeit" (Kaffee ernten etc.) mit dem Interesse, „in die gelebte Wirklichkeit der heimischen Bevölkerung tatsächlich eintauchen zu können." Die dort erlebte Offenheit und Lebensfreude angesichts eines eigentlich allgegenwärtigen Zustands des Krieges und der Trostlosigkeit („Es war ja seit 1979 alles von Contras überflutet") hinterließen bei der Teenagerin bleibende Eindrücke, die sich als sozio-emotionale und empathische Grundlage für viele ihrer zukünftigen Arbeiten erweisen sollten. Die Taschen befüllt mit kolloquialem Sprachverständnis, widmete sich Reni Hofmüller nach dem aus der Heimkehr resultierenden „unvermeidlichen Kulturschock", einem damals mit den Eltern im Vorfeld beschlossen Deal Folge leistend, „doch bitte irgendeine Ausbildung abzuschließen", schließlich einem „Spanisch- und noch irgendwas"-Studium in ihrer Heimatstadt. Dieses diente jedoch primär „als Pufferzeit zur Findung der eigenen Perspektive" und beflügelte vor allem die musikalischen Avancen der jungen Künstlerin, die in zahlreichen Bandformationen (z. B. „Blue & Geil" etc.) aktiv war, unter anderem mit WG-Mitbewohnerin Annette Giesriegl, ihrer bereits damals „vom G‘fühl her, Schwester". Letztendlich scheint es die Liebe zum musikalischen Experiment gewesen zu sein - konkret ein Semesterseminar für Improvisation der berühmten zeitgenössischen Jazzvokalistin Jay Clayton auf der ehemaligen Jazzakademie in Graz -, welcher den schicksalhaften Ortswechsel (schnell war beschlossen, dass Reni Hofmüller und Annette Giesriegl besagten Semester-Exkurs gemeinsam bestreiten wollten) der beiden jungen Innsbruckerinnen in die steirische Landeshauptstadt besiegeln sollte.
Gekommen, um zu bleiben
„1989 bin ich dann nach Graz und irgendwie einfach hängengeblieben. Es haben sich sofort so viele Möglichkeiten aufgetan." Ein Brot-Job sowie eine solide Existenzgrundlage fand sich schnell in Form der Gestaltung eines Vorprogramms für das Kabarett der bekannten Innsbrucker Sängerin, Schauspielerin und „Salzburger Stier"-Preisträgerin Irene Schober aka Irene S., die die Entdeckung und ein Engagement durch Leo Lukas, den nicht minder bekannten Kabarettisten, Schauspieler, Musiker und seines Zeichens Gründungsmitglied der steirischen Grünen Partei, für die Entwicklung von dessen Kabarettprogramm zur Folge hatte. Die rasche Konsolidierung eines fruchtbaren sozialen Umfelds verdankt Reni Hofmüller ihrer Umtriebigkeit und ihrer Engagiertheit in und um mehrere lokale Szenen von kulturpolitischem Aktivismus über Piratenradio bis zu Musik und Performance, die „bei irgendeinem Workshop" in der, sich in weiterer Folge ebenfalls als schicksalhaft erweisenden, Bekanntschaft mit Eva Ursprung resultierte - der Grazer Künstlerin, Musikerin, Feminismus-Ikone und Mitbegründerin der ersten feministischen Kulturzeitschrift Europas, „Eva&Co". Einige AktivistInnen - unter ihnen Reni Hofmüller - besetzten anno 1991 mit dem Ziel, ein feministisches Kulturzentrum einzurichten, ein altes Tierspital, konnten es jedoch trotz tatkräftiger Unterstützung durch die „sehr mutige" Grete Schurz, erste Frauenbeauftragte von Graz, nicht länger als einen Monat halten.
„In den kommenden zwei bis drei Jahren war einiges los." So vollzogen sich beispielsweise der selbstgewählte Freitod des Magazins „Eva&Co" in Form eines Manifests sowie die Übernahme des Frauenkulturzentrums „Fabrik" in der Plüddemanngasse, damals schon mit „fettem Kulturprogramm", aus welchem, nach Übernahme der Leitung durch einige Künstlerinnen, unter ihnen Reni Hofmüller, die heute unter dem Namen ESC (Extreme Subversive Culture) bekannte Institution hervorgehen sollte. Nach einem Umzug in die Jakoministraße entwickelte sich das ESC zu einer lebhaften Plattform künstlerischer Ausdrucksformen, die „besonders durch die speziellen Räumlichkeiten und die Möglichkeit zur Selbstverwaltung und Selbstbestimmung zu einem besonderen Privileg wurde, welches man gerne teilen möchte."
Herbstfunk und Helsinki und andere Netzwerke
Ihre Liebe für Funk und Radio entwickelte Reni Hofmüller auch bereits in der späten Teenagerzeit „vor allem über einen Freund in Holland, der einen eigenen Piratensender betrieben hat - spätestens da war meine Faszination geweckt!" Nicht von ungefähr kam daher auch der rasche Einstieg in die hiesige Piratenradio- und Funkszene, die in der erfolgreichen Genese der ersten lizenzierten Version eines freien österreichischen Radiosenders gipfelte, damals noch auf der Frequenz der Antenne Steiermark und mit fünf Stunden Sendezeit. Es folgte eine vereinsinterne Spaltung, bedingt durch ideologische Abweichungen von der ursprünglichen nicht-kommerziellen Ideologie einiger involvierter Mitglieder, welche die bestehenden Ressourcen dazu nutzen wollten, ein kommerzielles Jugendradio zu installieren. Nach diesem großen Zerwürfnis, das einige Beteiligte, allen voran die Partnerinnen Reni und Jogi Hofmüller vorerst „fassungslos hinterlassen hatte - es war wie ein Schlag ins Gesicht", besann man sich zwei Jahre später, nach dem Treffen des Dachverbands der freien Radios in Innsbruck und „ausgesprochen argumentativer Bearbeitung durch die dortigen Kollegen" seiner Stärken und entwickelte auf der fünfstündigen Heimfahrt nach Graz gemeinsam im Schnelldurchlauf ein neues Sendekonzept in Form des Festivalradios „Herbstfunk". Das wurde nach wohlwollender Kenntnisnahme durch Christine Frisinghelli, der damaligen Intendantin des Steirischen Herbst, noch rasch im Programm des Kunst-Großfestivals implementiert. Einer erfolgreichen einmonatigen Sendezeit, in der „Radio Helsinki" aka Herbstfunk zum ersten Mal beinahe rund um die Uhr Programm gestaltete und ein interessiertes Hör-Publikum mit Informationen, Interviews und Künstlergesprächen von und mit zahlreichen Partizipienten des Festivals und darüber hinaus versorgte, folgte 2000 eine Bildungsradiolizenz und 2002 schließlich eine Volllizenz für den Großraum Graz, auf der inzwischen etablierten Frequenz 92,6 MHz - der Rest ist Geschichte.
Echte Offenheit
Nach wie vor ist Reni Hofmüller ein aktives Mitglied und treibende Kraft vieler hiesiger Kulturszenen und kulturpolitischer Bewegungen. Sie sieht sich in ihrer leitenden Funktion im ESC inzwischen hauptsächlich als Kunstvermittlerin. Dabei handelt es sich jedoch, wie bereits anfangs angekündigt, bei Weitem nicht um die einzige Baustelle, auf der Reni eine Art Vorarbeiterinnenposten innehat, sondern um eine - wenn auch signifikante - Facette ihrer reichhaltigen, von Kunst und Aktivismus durchdrungenen Alltagspraxis gelebter Offenheit. Ebendiese ist es auch, die sich als stringentes Element durch Reni Hofmüllers Schaffen zu ziehen scheint: „Die Praxis echter Offenheit, Freundlichkeit und der Willen zur Ermöglichung beschreibt für mich eine Art kategorischen Imperativ - Dinge und Projekte anderer so anzugehen, als wären sie die eigenen, und Leuten so zu begegnen, wie man möchte, dass einem selbst begegnet wird. Die Möglichkeit der Kunst zum indiskreten Ausdruck, etwas empirisch Unnachvollziehbares zu gestalten und zu entwickeln, verkörpert für mich eine Art Verdauungsprozess des eigenen Wissens - eine empathische Reflexion der Welt und wie ich selbst damit umgehe, die versucht, einer Normierung der Akzeptanz von dem, was man als Wissen versteht, entgegenzuwirken."
Das Jetzt
Aktuelle Betätigungsfelder eines (nicht nur) künstlerischen Hofmüller‘schen Wirkens beinhalten unter anderem die musikalische Aktivität in den Bands „Lonesome Hot Dudes", „Notorious Noise Brigade" (mit Eva Ursprung), „Shibboleth" (mit Partner Jogi Hofmüller) und die Gestaltung der Radiosendung „Hotel Passage" („Eine Sendung, deren Charakter so ist wie ich - ungerastert und inhaltlich offen"; jeden Dienstag von 10-12 Uhr auf Radio Helsinki, versteht sich!). Weiters mündete die synergetische Vernetzung der lokalen Kulturinstitutionen unter der Fahne „Offener Betrieb" - sie hatte das Ziel, einen Diskurs zur Bildung und Auseinandersetzung rund um Bildende Kunst in Graz anzustoßen - und Reni Hofmüllers Beteiligung bei der 1998 erfolgten Gründung und dem Aufbau von mur.at, der hiesigen Initiative für Netzkultur, in ihr Engagement in mehreren feministischen HackerInnenkreisen, wie beispielsweise dem Transhackfeministnetwork oder der Plattform Gender Changers. Aktuell bereitet sich Reni auf eine lang ersehnte, einjährige Auszeit vor: „Nicht zur Flucht, aber um mal wieder Distanz zu schaffen, zu reflektieren, wieder Lust am eigenen Schaffen zu erlangen und am wichtigsten: Einfach nur absichtslose Zeit mit Freunden verbringen zu können."
Reni Hofmüller >> http://renitentia.mur.at
Patrick Wurzwallner
Stand: Juni 2017