Zeichnen mit Worten
Der Literat Lucas Kristan changiert zwischen Spiritualität und Pornographie, zwischen Engagement und Faulheit, glaubt an Götter und Gedanken und schreibt sich mit seinem Tagebuch warm.
Unkonventionell und ungewöhnlich, humorvoll und ernst, durchdacht und spontan: Diese Adjektive sind weder echte Gegensätze noch Ergänzungen, die den 32-jährigen Wortkünstler auf Anhieb charakterisieren.
Alles an ihm ist fernab jedes Mainstreams, jeder Modeerscheinung oder jeder hippen Strömung - er denkt, sein Leben habe viele Baustellen, doch von außen und somit von einer anderen Seite betrachtet, klingt es vielseitig und vielfältig. Kristan verdient sein Brot zum Teil mit der Auslieferung von Brötchen, mit seinem als „Ankündigungsunternehmen" angemeldeten Gewerbe und zudem ist er mitten in der Arbeit seines zweiten und dritten Bandes seiner neunteiligen Roman-Serie „A Writer‘s Odyssee", dessen erster Band im Frühling 2016 in der edition keiper erschienen ist. Und er gestaltet Woche für Woche auf Radio Helsinki die Sendung „Neue Literatur am Donnerstag". Daher auch sein erklärtes Ziel: Ein Leben für die und von der Literatur. Doch zurück zu den Anfängen seiner literarischen Tätigkeiten. Kristan wuchs in Klagenfurt auf und besuchte in der Oberstufe die Golf-HAK in Stegersbach (Burgenland). In der vierten Klasse Hauptschule begann er, im Mathematikunterricht auf den Korrekturrand seiner Hefte Zaubersprüche und Rap-Texte zu schreiben. Mit 17 oder 18 Jahren waren es auch Gedichte, die er verfasste - „cool und experimentell". Kristan erinnert sich, dass der Mathematikunterricht für ihn am Kreativsten war, denn er habe cool klingende, ästhetisch anspruchsvolle und auch psychedelisch wirkende Worte geformt und niedergeschrieben. Er sei in seiner Klasse der Einzige gewesen, dessen Leidenschaft dem Bau, der Melodie und dem Ausdruck von Wörtern gegolten habe.
Nach der Matura 2005 ging Kristan für einige Monate nach Indien, um die Welt und vor allem sich selbst zu erforschen. Er gab sich einem spirituellen Lernprozess hin, lernte meditieren und half bei einem Tempelbau mit. Seine Zeit verbrachte er mit einem Asketen, der ihn in die Welt der hinduistischen Götter einführte, vor allem zu Gott Shiva, Gott der Asketen, der gleichermaßen für Schöpfung, Neubeginn, Erhaltung als auch Zerstörung steht und auch im Shivaismus für die wichtigste Manifestation des Höchsten gilt. Beispielsweise ist die Hauptfigur Schiva in Kristans Romanserie an diesen Gott angelehnt.
Kristan studierte nach seiner Rückkehr aus Indien Vergleichende Literaturwissenschaften in Wien, fand aber nach einem Semester den Weg zurück nach Graz, um sich hier in Volkswirtschaft und Umweltsystemwissenschaften weiterzubilden. „Wien war mir zu groß und zu einsam." In Wien dehnte er seine Schreibversuche aus, es war gleichsam ein Drauflosschreiben: „Ich habe sinnlose Sachen geschrieben, die grammatikalisch richtig waren." Er habe Wörter in seinen Gedanken gebildet und aneinandergereiht und sei so beim Schreiben vom „Hundertsten ins Tausendste" gekommen. „Ich wollte nur schreiben, wusste aber nicht, worüber." Der Literatur, dem Schreiben und Lesen hat er sich dann endgültig über das Germanistikstudium angenähert, das er nun auch gerne abschließen würde. Zudem bemerkt er, dass sein Leben in den letzten Jahren ernsthafter geworden sei, vor allem seit er seine nunmehrige Ehefrau Alma kennengelernt habe.
Und somit kam auch der Entschluss, das umfangreiche und umfassende Werk „A Writer‘s Odyssee" zu beginnen. Schon der Prozess des Sich-Einlassens, das Denken und Sitzen ist für Kristan eine Herausforderung. Er ist von der Spiritualität, die das Schreiben für ihn früher in sich trug, abgekommen und vergleicht es nun mehr mit Leistungssport. Um sich besser auf seinen Roman konzentrieren zu können, schreibt er Tagebuch. Aus psychologischen Gründen, wie er selbst sagt. So könne er das Chaos in seinem Gehirn aufräumen und sei gleichzeitig aufgewärmt fürs Romanschreiben. Durch scheinbare Zufälle ergeben sich für Kristan immer wieder spannende Projekte. Eines davon war gemeinsam mit dem bildenden Künstler Herbert Soltys. Während Soltys live Bilder malte, las Kristan seinen eigens dafür verfassten Text vor.
Im Grunde möchte er doch irgendwann berühmt werden mit seiner Literatur, sagt er lächelnd. In seiner Romanserie lehnt sich Kristan an die Reinkarnationen des Gottes Vishnu an, der neun Mal wiedergeboren wurde. Die Geschichte sei surreal und flashig. Kristian schickt seinen Romanhelden Schiva auf eine absurde Reise zwischen Atlantis und Schildkröten, zwischen Entführungen und Sex und auf die Suche nach einer Schreibmaschine. Kristan arbeitet hart daran, dass sein Protagonist im vierten Band den Weg zurück in die Realität findet. „Und der Autor den Weg zu einem Leben als reicher, von allen bewunderter und von Groupies gestalkter Literat."
http://lexemtentakel.wordpress.com/
Petra Sieder-Grabner
März 2017