Film-Kunst ist der größte gemeinsame Nenner
Die Künstlerin Lisbeth Kovačič beschäftigt sich mit Grenzen und ihren Übergängen und vermittelt ihre persönlichen künstlerischen Ergebnisse in Form von bewegten Bildern, Installationen, Performances, Fotos und Zeichnungen dem Publikum.
Ihr künstlerischer Werdegang wirkt in ihren Erzählungen bunt und auch zutiefst politisch motiviert. So war Kovačič beispielsweise Teil des „Volxtheater Favoriten", aus dem sich die Volxtheaterkarawane als Kunstprojekt entwickelte, die zehn Jahr lang gesellschaftskritisch, aktionistisch und politisch aktiv war. Ihre Proteste beim G8-Gipfel 2001 in Genua, die Inhaftierung und dreiwöchige Haft und schließlich der Prozess gegen 25 italienische Polizisten wegen Misshandlungen Gefangener machten die Volxtheaterkarawane national wie auch international sehr bekannt. Im Volxtheater galt Basisdemokratie als Entscheidungsbasis.
Vor und nach ihrer aktiven Zeit beim Volxtheater studierte die Filmkünstlerin Theaterwissenschaften und schloss davor das Kolleg für Fotografie in Wien ab. Weiters arbeitete sie beim Theater Brett, einem kleinen Theaterverein, als Regieassistentin und als Beleuchterin und als Kameraassistentin beim Film. Und hat dort auch viel gelernt, wie sie selbst erzählt.
Vor ihrem Studium an der Akademie der bildenden Künste, das sie 2006 begann, zog es Kovačič erstmals auf den Balkan. Sie verbrachte zwei Jahre in Mostar, der größten Stadt in Herzegowina mit der berühmten Brücke „Stari most" über die Neretva. „Mostar ist seit dem Bosnienkrieg und auch heute noch zweigeteilt", erzählt Kovačič, „auf der einen Seite leben die Kroaten, auf der anderen Seite die Bosniaken." In Mostar entwickelte sie gleich zu Beginn ihres Aufenthalts ein Filmprojekt namens „Filmclub". Dabei stellte sich heraus, dass der Wunsch der jungen Menschen nach einem gemeinsamen nationalitätenübergreifenden und integrativen Kulturzentrum sehr groß war. Mit Hilfe internationaler Gelder - Mostar selbst stellte lediglich das Gebäude eines durch den Krieg zerstörten Kulturzentrums (Anm. Dieses Gebäude feiert heuer seinen 90. Geburtstag) zur Verfügung - konnte sie gemeinsam mit einigen Initiativen aus beiden „Seiten" der Stadt ein Jugend- und Kulturzentrum eröffnen, in dem regelmäßig Ausstellungen und ausgewählte kuratierte Filme gezeigt werden, und in dem es einen Veranstaltungsraum gibt, der von Alt und Jung aus allen Teilen der Stadt besucht wird. Kovačič erzählt mit Freude, dass dieser Ort der Begegnung mit „dieser Lage und diesem Spirit" nach wie vor einzigartig ist.
An der Akademie der bildenden Künste studierte Kovačič „Konzeptkunst und performative Kunst". Für ihre Abschlussarbeit entwickelte sie eine Performance mit Videoprojektion zum Thema „Deutschkurse": Inhaltlich ging es in ihrer Arbeit um Asylwerberinnen und Asylwerber, die Deutschkurse besuchen, und um Deutschkurse als Politikum.
Ihr Engagement für Asylwerberinnen und Asylwerber zeigt auch ihr Teilzeitjob im Verein „PROSA - Projektschule für alle", der sich der (Aus-)Bildung junger Asylwerberinnen und Asylwerber widmet, die aufgrund ihres Alters (plus 15 Jahre) nicht mehr ins österreichische Schulsystem aufgenommen werden.
In all ihren Film-, Fotografie-, Performance- und Ausstellungsprojekten zeigt sich der soziale und/oder gesellschaftspolitische Anspruch der 29-Jährigen.
Auch ihre Kurzdokumentation „Minor Border", ausgezeichnet auf der Diagonale - Festival des österreichischen Films 2015 mit dem Preis für die beste Kurzdoku, fügt sich in den sozial- und gesellschaftspolitischen Impetus, der allen Projekten von Kovačič zugrunde liegt.
„Minor Border" ist ihr erster Film, der von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wurde und ihr zu Einladungen zu verschiedenen Festivals mit weiteren Preisen und zu Residenz-Programmen verhalf. Auch ihr experimenteller Kurzfilm „#theircataswell", ein gezeichneter, mit Musik untermalter WhatsApp-Chat zwischen einem österreichischen Aktivisten und zwei syrischen Flüchtlingen, die auf der Flucht nach Deutschland mit ihrer Katze in einem Flüchtlingslager feststecken und über die herrschenden unmenschlichen Bedingungen im Lager schreiben, erregte großes Aufsehen.Kovačičs künstlerische Tätigkeit konzentriert sich stets auf einen interkulturellen Aspekt, der in Bildern und Worten stark zum Ausdruck kommt.
Als Filmemacherin sieht sie sich zwischen dem Dokumentarischen und der Inszenierung. Sie versucht, verschiedene Blickwinkel zu zeigen und gleichermaßen zu öffnen.
2016 war Kovačič im Rahmen des Film-Auslandsstipendiums des Landes Steiermark für zwei Monate in Sarajevo und konnte damit wieder in die multikulturelle slawisch-europäische Welt eintauchen. Als Arbeit nahm sie sich einerseits einen Film mit, den sie dort in ihrer Atelier-Residenz geschnitten hat, in dem es um den Versuch geht, eine Utopie zu leben. Andererseits sammelte sie vor Ort zahlreiche Impulse, zeichnete und fotografierte sie, ohne jedoch zu filmen. „Ich habe in Sarajevo nichts gefilmt", so die Künstler, doch sie möchte aus ihren gesammelten Erfahrungen einen Spielfilm entwickeln, in dem die Absurdität der Sprache eine wesentliche Rolle spielen wird.
Als Beispiel: Kauft man in Bosnien eine Packung Zigaretten, wird offiziell in drei Sprachen vor den gesundheitsschädlichen Folgen gewarnt. Was jetzt als Kroatisch, Bosnisch und Serbisch bezeichnet wird, firmierte früher unter einer sprachlichen Bezeichnung: Serbokroatisch.
Für das Leben der Künstlerin ist das Unterrichten in der multikulturellen Schule genauso wichtig wie ihre eigenen Filmprojekte, wie auch die künstlerischen Projekte, die sie mit anderen macht, wie auch fotografische oder filmische Auftragsarbeiten. 2017/2018 wird Kovačič gemeinsam mit den Filmemachern Peter Kutin und Karl Wratschko Stipendiatin des KUNSTRAUM STEIERMARK-Programms des steirischen Kulturressorts.
Petra Sieder-Grabner
Dezember 2016