Ein einfühlsamer Handwerker, der authentisch erzählt
Der Dokumentarfilm „Holz Erde Fleisch“ von Regisseur Sigmund Steiner wurde 2016 mit dem Diagonale-Preis ausgezeichnet.
„Der Wald steht dort, wo er steht“, sagt der Vater bei der abendlichen Jause in der Stube streng – und beendet damit die Diskussion mit seinen beiden Söhnen darüber, ob er seinen Wald verkaufen sollte, um es finanziell leichter zu haben. Die Szene ist aus dem Kurzfilm „Firn“ aus dem Jahr 2003. Es ist ein ruhiger Film mit stillen, schönen Bildern von zwei Brüdern und ihrem Vater. Der eine Sohn kommt aus der Stadt, wo er Kunst studiert, zu Besuch auf den Hof, den sein Bruder mit dem Vater bewirtschaftet. In wenigen Szenen erzählt Sigmund Steiner in diesem Film von Trennungen, die vollzogen und akzeptiert wurden. Man sieht Vertrautheit neben Entfremdung. Firn ist eine Vorstufe zum Gletschereis.
Steiner drehte „Firn“ als Regie-Student auf der Filmakademie in Wien. Über den Film sagt er, er habe sich mit dem Gedanken im Kopf, dass es sein letzter Film sein könnte, gedacht: „Auch schon wurscht.“ Das hatte etwas Befreiendes, und Steiner ließ thematisch erstmals etwas Persönliches zu. Das Echo auf diesen Film war dann auch durchgehend positiv. Er lernte: „Die Geschichten, die man gut kennt, kann man auch glaubhaft erzählen.“
Sigmund Steiner wurde 1978 selbst in eine Bauernfamilie in St. Georgen ob Judenburg in der Obersteiermark geboren. Seine Beschäftigung mit bäuerlichem Leben hat daher nichts mit einer oft von oben herab entstandenen Milieustudie gemein. Auch in seiner wunderbaren Dokumentation „Holz Erde Fleisch“, für die er 2016 den Dokumentarfilmpreis des Filmfestivals Diagonale erhielt, regiert ein unaufgeregter, nüchterner und gerade deswegen immer wieder überraschend berührender Grundton die Erzählung. Steiner porträtiert drei Bauern und führte das Publikum dabei ganz nahe an die sehr unterschiedlichen Männer heran, ohne ihnen aber dabei jemals zu nahe zu treten. Dass es einem großen Teil des Publikums Tränen in die Augen treibt, wenn ein Schafbauer von seinen Kindheitserinnerungen erzählt, oder ein anderer darüber redet, wie schon sein Vater und sein Großvater mit ihm Holzarbeiten gingen, ist keine Selbstverständlichkeit. „Einen Bauer, hat mein Vater immer gesagt, kann man nur dann verstehen, wenn man einmal mit ihm im Wald war. Oder am Feld. Oder auf der Alm.“ So beginnt der Film; mit dem sich Steiner auch ein Stück weit seinem eigenen Vater näherte, obwohl der darin nicht auftritt.
Dem Regisseur gelingen mit seinen Bildern und durch das geduldige Zuhören als Fragensteller sehr eindringliche Beschreibungen. Es gibt kein Gefühlsglutamat wie Musik während des Films, nur die Geräusche, die der Boden, die Äste, die Tiere, landwirtschaftliche Maschinen oder eben die Protagonisten machen. Wenn sie schweigen, lässt Steiner sie auch einmal schweigen – und damit nachdenken. „Manchmal muss man die Pausen aushalten, damit sie dann weitererzählen“, sagt Steiner, „wenn man immer dazwischenfragt, sticht man sich als Regisseur oft vieles selbst ab“.
Zuhören habe man gut bei Haneke gelernt, erzählt Steiner. Michael Haneke war ein strenger Lehrer und einer, der selbst dann, als er seine großen Filme in Frankreich drehte, „immer am Montag und Dienstag in der Schule war.“ 2003 hatte er die Klasse, in der Steiner studierte, von Wolfgang Glück übernommen. Als Steiner Haneke seinen Kurzfilm „Firn“ zeigte, meinte Haneke nur, er wisse eigentlich nicht, was er sagen sollte. „Erst viel später habe ich begriffen, dass das aus seinem Mund eigentlich ein großes Lob ist“, lacht Steiner.
Bei Wolfgang Glück habe er besonders geschätzt, dass er „ein großer Ermöglicher war. Er hat immer geschaut, wo er dich unterstützen kann, hat einem zum Beispiel Schauspieler und Locations gecheckt, wenn man einen Film machen wollte, und war da unheimlich hilfsbereit“.
Bevor Sigmund Steiner mit 21 wagte, sich an der Filmakademie zu bewerben und auch sofort aufgenommen wurde, studierte er in Wien Publizistik und eine Fächerkombination mit Theaterwissenschaft. Ein Studium, aus dem er durchaus auch einiges für sich mitnehmen konnte. „An der Publizistik habe ich vor allem von Christian Mikunda viel auch für das spätere Filmen mitgenommen“, sagt der Regisseur.
Steiner würde sich selbst nur bedingt als Künstler bezeichnen. „Ich habe immer versucht, die filmerische Arbeit auch als Handwerk zu sehen, der Begriff Künstler war für mich lange schwierig. Wahrscheinlich ist es beides: das Technische, das Handwerk und das Kreative“. Mit dieser Einstellung konnte sich der Regisseur Steiner vielleicht auch den drei Bauern in seinem Film näher fühlen. An einer Stelle sagt er aus dem Off: „Manchmal ist zwischen Holzarbeit und Filmarbeit gar kein so großer Unterschied. Man muss manchmal was wegschneiden, damit anderes Platz zu wachsen hat.“
Der nächste Film Steiners soll ein Spielfilm werden. Er verrät ein bisschen darüber: „Es wird um Familie gehen. Um verschiedene Familienkonstellationen – und um Verluste.“
Colette M. Schmidt
Stand: Juni 2016