„Die richtigen Fragen stellen“
Sie bezeichnet sich selbst als Performance-Macherin, doch Hanna Rohn betätigt sich im künstlerischen Raum auch als Dramaturgin und lässt ihre Ausbildung zur Sexualpädagogin inhaltlich stark in ihre Arbeit einfließen.
Performancekunst greift weit über die Grenzen von Genres, lässt sich prinzipiell weder in die bildende noch die darstellende Kunst einordnen. - Das macht diese Kunstform für RezipientInnen schwer fass- und begreifbar. Die 28-jährige Hanna Rohn weiß ihre Performancekunst ganz klar zu definieren. Als Performance-Macherin entwickelt sie ihre Performances von Grund auf selbst, ohne Textgrundlage und in einer flachen hierarchischen Ordnung. Ihre Arbeit leitet sie von der Tradition des englischen „Devising" ab. „Der Probenprozess wird hier vom Entwicklungsprozess eingenommen", sagt Hanna Rohn. Es sei ein Spiel mit Materialien, sehr visuell orientiert, nahe der Installation in der bildenden Kunst.
Ihre Arbeit versteht sie immer interdisziplinär. Sowohl ein forschungsbasierter als auch ein spielerischer Zugang ist ihr in ihrer Kreativität wichtig. Und bis zur Darstellung und Aufführung gibt es für sie auch noch eine Reihe vielseitiger organisatorischer, logistischer und produktionstechnischer Arbeiten: vom Finden von Aufführungsorten, dem Gestalten der Räume, der Licht- und Soundregie, dem Platzieren von Videos und dem Visualisieren von Textpassagen bis hin zum Erstellen der Finanzierungspläne, dem Marketing und vielem mehr.
Ein anderes künstlerisches Betätigungsfeld ist für sie jenes der Dramaturgin. Hier stößt sie zu einem bestehenden Team dazu und unterstützt beim Probenprozess die Regie als Auge von außen. Auch dabei richtet sie ihre Konzentration auf den Entwicklungsprozess. Fragt man Hanna Rohn, was man sich unter einer Dramaturgin vorstellen darf, dann erklärt sie schmunzelnd: „Das ist jene, die im Probenprozess die richtigen Fragen stellt."
Wirft man einen Blick auf ihre Biografie, fällt noch etwas Besonderes auf: Sie ist nicht nur Künstlerin, sondern auch Sexualpädagogin mit einer fünfjährigen Praxis in diesem Beruf. Außerdem hat sie in Performance Making und in Theaterdramaturgie jeweils einen Abschluss als MA sowie auch die „Interdisziplinären Geschlechterstudien" an der Karl-Franzens-Universität Graz mit diesem Abschluss absolviert. Letztere Ausbildung fließt thematisch wie auch inhaltlich stark in ihre künstlerische Tätigkeit ein: „Weibliche Sexualität und der weibliche Körper sind für mich ein großes Thema."
Ihr aktuelles Projekt „Collateral Damage", eine Live-Art-Performance, mit dem sie ursprünglich 2014 in London begann, führte sie im Jänner 2016 nach Norwegen, wo sie gemeinsam mit ihrer Projektpartnerin, der norwegischen Choreografin Signhild Waersted, inhaltlich weiterarbeitete. „Collateral Damage" beschäftigt sich mit „weiblichen Körpern als ‚Projekte‘ ständiger Optimierung und Disziplinierung". Das Werk thematisiert den weiblichen Körper als Schlachtfeld, da politische und physische „Problemzonen" auf ihn projiziert werden. Die Künstlerinnen hinterfragen die Verbindungen zwischen Körperbild, nationaler Identität, Mutterschaft, Konflikt/Krieg und plastischer Chirurgie.
Hanna Rohn möchte im Rahmen dieses Projektes Argumente finden, die dieses Thema sensibel aufzeigen und darlegen. Auf der einen Seite stehen Kriegsstrategien und totalitäre Ideologien, die sich den weiblichen Körper als Reproduktionsstätte von Soldaten oder für den Staat vorstellen, auf der anderen Seite ist die Schönheitschirurgie, die Frauen einen physischen Perfektionsanspruch verkauft: Manche Kliniken sehen sogar in den Veränderungen des weiblichen Körpers nach einer Schwangerschaft ein „extremes physisches Trauma" - gleichgestellt mit einer Kriegsverletzung -, das behandelt und verbessert werden muss.
Die Forschungsphase in Norwegen war für die beiden Künstlerinnen wichtig, um ihre philosophischen, sozialen wie auch gesellschaftlichen Inhalte in eine performative Darstellung transformieren zu können, ohne allzu didaktisch zu sein.
„Wir experimentieren in Collateral Damage mit Manipulation: Hast du die Kontrolle oder wirst du kontrolliert? Tust du oder wird dir getan?" Die beiden Künstlerinnen arbeiten mit Menschen als bewegliche Skulpturen, als Material dient ihnen Frischhaltefolie. Der Soundtrack wird aus verschiedenen Tondokumenten, Geräuschen und Texten kombiniert und ist ein zentrales gestalterisches Element der Performance. Das Projekt wird derzeit in Workshops bearbeitet und als Work-in-Progress-Performance aufgeführt. Die eigentliche Premiere findet im Herbst 2016 statt.
Rohn war 2015 als Artist in Europe (StipendiatInnen-Programm des Landes Steiermark) in Brüssel zu Gast. Dort trat sie einerseits gemeinsam mit der Literaturpreisträgerin Angelika Reitzer im Rahmen der Veranstaltungsreihe „PASSAGES" im Steiermark-Büro auf, andererseits verzauberte sie ebendort ihr Publikum mit der Performance „Love Letters to an Audience". Mit dieser Performance ging die gebürtige Linzerin zum Abschluss ihres Brüssel-Aufenthaltes folgender Frage nach: „Wie macht man das Publikum in sich und sein Werk verliebt?" In acht Kapiteln fasste die Künstlerin Liebesstrategien aus Wissenschaft und Internet zusammen, um ihr Publikum in sich verliebt zu machen. Inspiration für diese partizipative Soloperformance war eine Studie aus dem Jahr 1997, in der der amerikanische Psychologe Arthur Aron einen 36 Fragen umfassenden Katalog entwickelte, der Intimität zwischen zwei Menschen herstellen und ineinander verliebt machen sollte. Hanna Rohn verfolgte in ihrer Performance auch eine Form des Selbstmarketings: Wie können künstlerische Strategien gelingen, um das Publikum an sich zu binden? Die Schlussevaluation ergab, dass immerhin sechs Zuschauer nach der Performance bereit waren, den Rest ihres Lebens mit Rohn zu verbringen.
Für Hanna Rohn war diese Performance in Brüssel insofern eine Premiere, da sie damit erstmals allein auftrat, denn normalerweise arbeitet sie in künstlerischen Kollektiven, gemeinsam mit unterschiedlichen Partnerinnen.
In einer kleinen Vorschau gibt Hanna Rohn Einblick in ihr nächstes Projekt, an dem sie mit Emma Berentsen, einer niederländischen Künstlerin, die sie während ihres Studiums in London kennengelernt hat, arbeitet. Projektgrundlage bilden sogenannte „Death Chats", wöchentliche Gesprächsrunden in einem englischen Hospiz, in denen bei Wein und Käse offen über Leben und Tod gesprochen wird. Rohn und Berentsen begleiteten diese „Death Chats" für eine Weile und waren berührt von der Offenheit, in der über Themen, die in der westlichen Gesellschaft größtenteils tabuisiert sind, gesprochen wird. Man darf gespannt sein, was Rohn aus ihrer Wahrnehmung des „Death Chat" entwickeln wird.
Jedes Thema, das Rohn für ihre Kunstprojekte umsetzt, wird fundiert aufbereitet und intensiv von vielen Seiten beleuchtet, bis sich der inhaltliche Schwerpunkt herauskristallisiert und performativ umgesetzt wird. Daher gleicht auch jedes Gespräch mit Hanna Rohn über ihre Projekte einem vielschichtigen Expertinnendiskurs.
Petra Sieder-Grabner, Februar 2016