Lob eines Zurückgezogenen
„Reisen, Gehen, Schreiben, Lesen als höchste Souveränität“: Bernhard Hüttenegger und seine Kunst des Unaufdringlich-Einfachen.
Seit mittlerweile vierzig Jahren erscheinen immer wieder Bücher vom 1948 in Rottenmann geborenen Bernhard Hüttenegger - und immer wieder erweckt er damit Aufmerksamkeit und erhält Lob und Anerkennung. Trotzdem zählt er bis heute eher zu den Randerscheinungen des sogenannten Literaturbetriebs. Vielleicht liegt das daran, dass seine Werke zwar über eine ureigene, unaufdringlich-einfache Wortmelodie verfügen, sie aber nicht leicht konsumierbar und einzuordnen sind. Pathos, Übertreibung und Manierismus sind Hüttenegger ebenso fremd wie die plakative Kritik an politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen. Will man aber wissen, wie Österreich, wie Europa, wie die Welt funktioniert, sich angefühlt hat, liest man am besten bei Hüttenegger nach: Diese Aufrichtigkeit, diese Genauigkeit in jedem Detail gibt es bei wenigen Autoren. Seine empfindsame, unaufdringliche und doch so einprägsame Art, Erlebtes zu schildern, Erinnerungen hervorzuholen und wachzuhalten und möglichst klar und einfach darzustellen, erinnert nicht selten an jenen Ton, der sonst nur in der angelsächsischen und amerikanischen Literatur zu finden ist.
Eiskalt entfremdete Welt
Nachdem Hüttenegger 1975 mit seinem Erzählband „Beobachtungen eines Blindläufers" das erste Mal ans Licht der literarischen Öffentlichkeit getreten war, zählte er nach der Veröffentlichung von zwei weiteren Büchern beim Residenz Verlag - „Die sibirische Freundlichkeit" (1977) und „Reise über das Eis" (1979) - zu jenen österreichischen Autoren, die es bei der Kritik geschafft hatten, die es von einer breiten Öffentlichkeit aber noch zu entdecken galt. Hütteneggers erste Bücher führen in eine kalte, entfremdete Welt; die Geschichten sind entlang jener Verstörungen erzählt, die als Rückseite des Alltags die Normalität kaum merklich, aber unaufhaltsam unterwandern. In seinem Roman „Reise über das Eis" begeben sich die Romanfiguren Kaminski, John, Cat und Elisabeth auf eine Reise, die mehr und mehr zu einer verzweifelt-sehnsüchtigen Suche nach mehr Wärme und Halt in einer schwer fassbaren Welt wird.
Seine nächsten Bücher - „Die sanften Wölfe" (1982) und „Der Glaskäfig" (1985) - veröffentlichte Hüttenegger im renommierten Rowohlt Verlag. Inhaltlich blieben individuelle und kollektive Krisen, die psychischen und physischen Auswirkungen einer zerstörten Umwelt und einer gestörten Seelenwelt die zentralen Themen. Hatten diese Bücher noch da und dort den unverkennbaren, dezent-artifiziellen „manuskripte"-Ton, so fand Hüttenegger über die Jahre seinen ganz eigenen, unaufdringlich-einfachen und souveränen Sprachduktus, der Genauigkeit, Sprachgefühl und Empfindsamkeit miteinander verknüpfte.
Sprache als Erkenntnisinstrument
1990 erschien der Band „Wie man nicht berühmt wird. Wahre Geschichten", und Bernhard Hüttenegger ist tatsächlich bis heute nicht berühmt geworden. Ob es daran liegt, dass seine Literatur zu wenig affirmativ und harmonisierend ist, oder daran, dass er sich keinem Genre dauerhaft zugehörig fühlte - stets arbeitet Hüttenegger an der „Wirklichkeitswerdung durch Wortwerdung" und erweist sich als Stilist, der Sprache bewusst als Erkenntnismittel einsetzt. So auch in seinem 1991 bei Zsolnay erschienenen Künstlerroman „Die Tarnfarbe", der vom Künstlerleben im Widerstreit zwischen Zurückgezogenheit und Öffentlichkeit und im Wechselspiel zwischen Individualität und sozialem Handeln erzählt und die Frage stellt, wie künstlerischer Erfolg definiert wird: Über Verkaufszahlen und öffentliche Anerkennung oder über größtmögliche künstlerische Autonomie und persönliche Zufriedenheit. Diesem Thema blieb Hüttenegger auch nach einem weiteren Verlagswechsel treu. Die Fabel „Felix, der Floh" erschien 1993 bei Wieser und kann auch als Parabel auf Hütteneggers häufige Verlagswechsel gelesen werden. Der Floh, der das Fell des Wolfshundes verlässt und zum Wanderfloh wird - „Und mit ein paar Sätzen ist er im Freien" -, um schließlich zu erkennen: „Die Freiheit ist ein Traum wie die Kunst."
Reisen als Abenteuer des Denkens
Bernhard Hüttenegger bezeichnete sich selbst einmal als „Nisomanen", als Inselbesessenen, der gerne alleine die Welt bereist, ergeht und erfährt und als eigenwilliger und genauer Beobachter seine Eindrücke sammelt und den Reichtum an Erlebnissen und Erkenntnissen in seinen Büchern festhält. Den Leser nimmt er mit auf diese Abenteuer des Denkens, abseits der viel befahrenen und ausgetretenen Touristenrouten. Dort ist er ganz bei sich und mit nichts als sich selbst und den Fragen - wer ist man und was bleibt? - beschäftigt. In „Weg von allem", einem Reisebuch mit Reflexionen über Reisen nach Madeira, Italien, Wales, England, Irland und Spitzbergen übt er Kritik an der Normierung und Uniformierung Europas: „Schade, denke ich beim Anblick der farbigen Geldscheine, dass diese bald durch europäische Einheitsbanknoten ersetzt werden. Wie vieles andere lässt auch die Gestaltung der Geldscheine eines Landes Rückschlüsse auf dessen Eigenart zu. Durch die Vereinheitlichung werden die Eigenarten verloren gehen. Wo doch die Unterschiede die Vielfalt ausmachen."
Neben dem Reisen sind die Familie und die Kindheitsorte die festen Konstanten der Literatur von Bernhard Hüttenegger. In seinem 2014 erschienenen Roman „Meine Mutter, meine Sprache" reist er nach dem Tod seiner Mutter nach Grado, um sich zu erinnern und darüber nachzudenken, was es bedeutet, am Leben zu sein. Und davon zu erzählen - unaufdringlich, empfindsam, detailgenau, einfach und klar.
Heimo Mürzl
Stand: Oktober 2015