Im Garten der Improvisation
Sandy Lopicic – der Name des 1973 in Esslingen am Neckar geborenen Pianisten, Musikers, Komponisten, Schauspielers und Regisseurs weht wie ein Balkanabenteuer in die Nase. Es duftet nach südöstlichen Melodien, nach Jazz, nach Spontanität, Leichtigkeit, vermischt mit dem Gefühl, eine große Welt zu betreten.
Der Horizont, den Sandy Lopicic zwischen Musik und Theater aufspannt, kündet von einem modernen Umgang mit Kultur und Geschichte und vermittelt zwischen Südost und West ohne jegliche Anstrengung, ohne das Bedürfnis, es „müsse unbedingt" irgendetwas formuliert werden. Die Botschaften gebären sich in der Tiefe eines künstlerischen Bewusstseins und drängen impulsiv nach oben: Im Garten der Improvisation, des Freiraumes und der Spontanität gedeihen die schönsten Pflanzen ... und diese Freiheit gönnt der Bandleader und Regisseur sowohl sich selbst als auch seinen künstlerischen Kollaborateuren.
Bauchgefühl
Viele der musikalischen Arrangements, deren Sprache sich vor allem in den zahlreichen Theaterproduktionen geformt hat, funktionieren als Brückenbau zwischen den grob als U- und E-Musik bezeichneten Bereichen bzw. westlicher Kunstmusik und südöstlicher traditioneller Musik. Die persönliche Arbeit mit Schauspielern und Musikern steht bei Sandy Lopicic im Vordergrund. Sein „Sound" bezieht sich sehr auf tradierte volkstümliche Melodien, denen ja das Persönliche eigen ist, will heißen, sie existieren nicht in einer objektiven Form. Erst durch einen Interpreten bekommen sie individuelle Gestalt. Dem Rechnung tragend, rückt das ureigene und spontane Moment nach vor und lässt gerne Planung und Berechnung zurück. Dabei Energien zu bündeln, ist - mehr als das Musikalische - eine wichtige Qualität an sich. Die Mitmusiker mit dem Temperament, welches auf der Bühne entsteht, anzustecken, bezieht sich auf den oftmals zitierten „Flow" und ist imstande, jene unaussprechlichen Momente zu kreieren, die uns dann berühren. Daran, dass Energie und Potential beim Auftritt frei werden, glaubt der Komponist eher als an Vorbereitung und exaktes Einstudieren. Die Arbeiten sind auch offen für improvisierte Elemente, damit steigt natürlich die Abhängigkeit von den Ausführenden. Lopicic ist sich dieses Spieles bewusst und reizt es immer weiter aus, denn für ihn ist eines klar: Erst durch den klaren Atem im Fluss einer künstlerischen Produktion wird ein sinnstiftender Bezug zum Publikum erzeugt, und das viel mehr als durch konstruierte (und vergeistigte) Inhalte. Er selbst ist der Motor, welcher mit seinem „Feuer" die Bühnenmaschine in Gang zu bringen vermag.
„Wir erfinden die Musik nicht neu"
Trendgebundenen Verpackungen interessieren den Bühnenmenschen wenig. Die Überlieferung tradierten Volksgutes, und dieses einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, ist Aufgabe genug. Unvoreingenommen nähert er sich alten Melodien, welche oft durch Sängerinnen in die Bands eingebracht werden, reharmonisiert diese, und durch seine typischen Arrangements und Instrumentierungen entsteht dann auch ein Sound, der sich weder dem Balkanjazz noch den serbischen Brassbands verpflichtet fühlt.
Die Balkanmusik ist für ihn wegen ihrer Buntheit und Vielfalt eine große Inspiration für die Theatermusik. Oft, aber nicht immer, schreibt er die Musik für die eigenen Inszenierungen selbst und bedient sich aus dem riesigen Fundus der musikalischen Traditionen. Distinkte Genres im Theater erfordern eigene harmonische und rhythmische Strukturen. Gemäß der Arbeitsweise entsteht dann vieles während der Proben im sogenannten „Spontanarrangement".
Arbeiten
Das daraus resultierende Arbeiten ohne Notenmaterial erfordert eine Konzentration auf die Sinne bzw. eine Wahrnehmung der Situation im Raum und der anderen Menschen im Gefüge, ein Gespür für Veränderungen. Wie ändert eine Melodie die Bühnensituation, was verursacht eine Bewegung, ein Blick, eine Geste? Offen und durchlässig für die subtilsten Stimmungsschwankungen zu bleiben, verhindert ein starres Abwickeln von musikalischen Inhalten, und so gibt es auch kein zweites Mal die gleiche Vorstellung. „Ein Freiraum, den man freilassen muss, er gehört den Agierenden, ohne diese Interaktion macht Schauspielmusik keinen Sinn", spricht der Regisseur, der lieber einen Schritt zur Seite macht, als der sinnlich-menschlichen Ur-Dynamik im Wege zu stehen.
Die Sprache mit den Musikern und Schauspielern wird so auch etwas laienhafter, befreit von musikalischer Terminologie, um den Stimmungen und Emotionen Rechnung zu tragen. Dafür wird aber von den Schauspielern die höchstmögliche Wahrnehmung und Achtsamkeit vor allem gegenüber der Musik abverlangt. Die Musiker gestalten so auch aktiv mit, werden von Abwicklern wieder zu intuitiven Mitkreatoren.
Nächste Projekte
Das kürzlich veranstaltete „Balkanfieber" im Juni 2015 im Opernhaus Graz mit dem Sandy Lopicic Superstvar und dem Grazer Philharmonischen Orchester war ein voller Erfolg und bewies das Talent und die Leidenschaft, Brücken zu bauen. Mit Dirk Kaftan (musikalische Leitung) und Reinhard Summerer (Arrangement) fungierte Lopicic auch als als Solist am Klavier (mit Franz Liszts „Ungarischer Phantasie"), bevor sich Balkanband und Orchester zu einem gemeinsamen Feuerwerk erhoben.
Vielseitigkeit möchte sich das Multitalent gerne bewahren, um der Abnutzung eines Mediums zu entgehen und immer frisch zu bleiben. Darum geht er jetzt auch ganz aktiv einer alten Begeisterung nach: der Schauspielerei.
Kommende Projekte sind: Als Schauspieler in Mirjam Ungers „Maikäfer flieg", nach einem Roman von Christine Nöstlinger, und in Michael Ostrowskis Film „Rock'n‘Roll Hotel"; die Inszenierung eines Song-Dramas im November 2015 in Marburg, und im Jänner 2016 entsteht ein neues Stück aus eigener Feder im Grazer Schauspielhaus: „Trümmerfrauen".
Denovaire
Stand: Juli 2015