Das Medium brechen oder Bitte keine Selfies
Unterhält man sich mit Daniel Sostaric, verändert sich die Perspektive auf Fotografie. Der Fotograf verfolgt eine durchaus unkonventionelle Herangehensweise. Ein Telefonat über seine Arbeit.
An seinen ersten Fotoapparat kann sich Daniel Sostaric nicht genau erinnern. Mit der Aufnahme an die Grazer Ortweinschule „multiplizierte" sich seine Beschäftigung mit der Fotografie. Heute arbeitet er mit Fotografie in Wien.
Daniel Sostaric: Die Ortweinschule war eine gute Möglichkeit, das Interesse in eine kommerzielle Richtung zu treiben und mit Leuten zusammenzukommen. Wie sagt man so schön? Wir Fotografen sind die gescheiterten Maler! (lacht) Was kann das Medium? Wie kann man damit Emotionen ansteuern? Ob du malst oder fotografierst, macht im Grunde keinen Unterschied. Beim Malen war ich ein Opfer der narzisstischen Kränkung, wie man sagt. Mit der Fotografie verhält es sich inzwischen ähnlich, aber: Zufrieden ist man eh nie!
Schaust du dir alles sehr genau an, auch im Alltag? Oder was erregt deine Aufmerksamkeit?
Der Riss erregt meine Aufmerksamkeit. Praktisch dort, wo irgendetwas eine Regelmäßigkeit bricht. Nicht zwingend visuell. Ich verschreibe mich aber dem fotografischen Medium nicht als abbildendem Medium. Die dokumentarische und somit objektive Qualität der Fotografie schätze ich nicht allzu hoch ein. Ich mache keine Street- oder Reportage-Fotografie im klassischen Sinn. Insofern bin ich nicht einer, der mit der Kamera in der Hand spazieren geht. Überhaupt nicht. Aber ich schaue mich schon ziemlich genau um, um Schauplätze oder Szenarien zu finden, die zu meinen Bildern passen, die in meinem Kopf entstehen. Die Bilder sind hauptsächlich staged, also inszeniert.
Auch bei der Porträtfotografie.
Ja. Ich glaube, Porträtfotografie generell ist staged, weil es mehr um den Fotografen geht als um den Porträtierten. Ein fotografisches Porträt ist in den meisten Fällen eher eine Interpretation als ein Abbild der Person. Ich denke die meisten Modelle sind, ohne abwertend sein zu wollen, eine Projektionsfläche für das Gedankenspiel des „Bildermachers" und in weiterer Folge des Betrachters.
Wie kommst du zu den Menschen? Und wie kommst du ihnen nahe für die Porträtfotografie?
Ich weiß nicht, ob ich den Menschen überhaupt nahetrete. Das Parade-Projekt ist „437" mit fünfzig Menschen, die zwei Wassertemperaturen ausgesetzt waren: 37° und 4° Celsius. Das Projekt wirkte wie eine Kettenreaktion. Die Leute sind interessiert und melden sich selbständig. Bzw. ich suche schon immer nach Charakteren, die jene Bilder erfüllen, die ich in meinem Kopf gemacht habe. Ich muss leider sagen, das sind oft Klischees, mit denen man aber arbeiten muss, weil im Endeffekt arbeitet man beim fotografischen Bild mit Symbolen.
Wie ist es zu „437" gekommen?
Es ging darum, einen Weg zu suchen, das Medium zu brechen. Das ist immer das, worauf ich versuche, hinzuarbeiten. Ich wollte eine Serie schaffen, die das Medium an sich und den Wahrheitsgehalt in der Fotografie infrage stellt. Es sind 100 Fotografien. Liegen sie vor einem, ist es sehr schwer zuzuordnen, welche Bilder unter kalten Bedingungen entstanden und welche unter warmen. Eigentlich würde man denken, das ist doch logisch, das könne man sofort erkennen! Das kann man eben aber nicht. Der Prozess des Fotografierens an sich hat mich auch interessiert. Was denkst du, wenn du jemanden 50 cm vor deiner Nase frieren siehst? Wann tritt Empathie meinem Model gegenüber ein? Wie „echt" fühlt sich das Portrait im Nachhinein an?
Tauchten die Menschen ein oder seid ihr in einen Kühlraum gegangen?
Nein, die 4° Celsius kamen aus der Wasserleitung in der Dusche. Ich habe die Dusche präpariert.
Das ist sehr kalt!
Ja! Bei 4° Celsius hast du quasi keine Chance mehr, irgendeine Emotion zu spielen. Du bist deinen Körperregungen ausgesetzt. Und was passiert dann? Es war auch der Versuch, wie weit ich das Modell aus der Reserve locken könnte. Es war teilweise sehr emotional und schwierig für mich, Fassung zu bewahren. Die Reaktionen waren sehr konträr: von Leuten, die flüchteten, zu Leuten, die davon gar nicht genug kriegen konnten. Es war spannend, denn du bist sehr intim. Weil ich vorhin gesagt habe, du kommst bei der Porträtfotografie niemandem nahe: Ich weiß nicht, ob ich in diesen Momenten jemandem nahe war, aber es waren Momente, die sich sehr ehrlich anfühlten. Das war eine Grundintention.
Hast du es mit dir auch probiert?
Ja, natürlich, mehrere Male. Das Projekt wurde als Buch präsentiert, da bin ich auch dabei.
Es gibt eine Serie mit nackten Menschen. Betrachtet man diese Bilder, eröffnen sich Geschichten.
Das „Nacktsein" sollte gar nicht allzu sehr im Mittelpunkt stehen. Es geht mehr um die Idee. Ich fotografiere generell Menschen nackt, weil ich der Meinung bin, dass das die einzig wirkliche Uniform ist, die wir haben. Du verlierst sofort deinen sozialen Status, wenn du nackt bist. Das macht es oft einfacher, Bildaussagen zu konkretisieren. Als Serie würde ich es noch nicht sehen. Zurzeit sind es noch einzelne Bilder.
Ist es schwierig, Menschen zu finden, die mitmachen?
Nein, da hatte ich noch nie Probleme. Im Gegenteil. Ich trete zumeist mit quasi fertigen Konzepten an meine Modelle heran. Wenn die Situation und das Ziel klar ist, gibt es da selten Menschen, die trotzdem verweigern. Es geht um die Geschichten im Kopf.
Fotoapparate sind heute etwas anderes als früher. Ständig hat man mit dem Mobiltelefon eine Kamera in der Hand. Hast du ein liebstes Selfie?
(Sostaric lacht): Nein. Das ist eine Kultur, da komme ich nicht mit! Warum man Selfies machen muss, kann ich zwar nachvollziehen, verstehen kann ich es aber inzwischen nicht mehr.
Aber du bist ja jung. Du musst das doch verstehen, oder?
Das Selfie ist wohl der Inbegriff des digitalen Fastfoods. Die Kamera als Spiegel mit Gedächtnis und Internetanschluss. Der Informationsgehalt dieser Bilder ist überschaubar und meist im Dienst der Eigenwerbung. Mit meiner Auffassung von Fotografie - besonders im Hinblick auf ihren Wahrheitsgehalt - wird das dann schwierig. Ich kann den „Auslöser", also die Emotion, die einem zum Entschluss bringt, ein Selfie zu machen, schon verstehen. Aber ich glaube eben nicht, dass die Fotografie diese Information authentisch transportieren kann.
Ich habe vermutet, dass du eine kritische Einstellung zu Selfies hast, darum habe ich gefragt. Hast du denn ein Smartphone, mit dem du fotografierst?
Ja, schon, ich mache damit Notizen.
Fotografie ist dein Hauptberuf?
Ja.
Wo würdest du gerne hin mit deinen Konzeptarbeiten?
Es ist schön, wenn meine Bilder jemanden aufregen - nicht nur im negativen Sinne, obwohl das auch bedeutet, dass es eine Information beinhaltet, die man noch nicht verarbeiten kann. Aber ich habe nicht vor, den Kunstmarkt zu stürmen. Ich würde die Frage gerne mit einem Zitat von Marcel Duchamp beantworten: Es gibt den Kunstmarkt und die Kunst an sich. Beim Kunstmarkt geht es ums Geld und bei der Kunst um das Leben.
http://www.sostaric.com
http://danielsostaric.tumblr.com
Maria Motter
Stand: Juli 2015