Von der Zerstörung ins (S)Lumberland
Gerald Lind hat für 2016 viel vor: Neben zwei akademischen Mit-Herausgeberschaften, um die er sich als Kulturwissenschaftler und Mitverantwortlicher für den Aufbau des doc-service an der Uni Graz kümmert, bereitet er derzeit auch seinen zweiten Roman, „Lumbers Reise“, zur Veröffentlichung vor.
Der erste Roman des Grazer Autors Gerald Lind trug den Titel „Zerstörung" und war eine mit den Mitteln der Literatur geübte Kritik am akademischen Feld - wobei sich die Frage stellen lässt, ob die Bezeichnung „Roman" überhaupt zutrifft. Ist der Umstand, dass „Roman" auf dem Titelblatt von „Zerstörung" steht, nicht bereits Teil der Inszenierung? Denn: „Zerstörung" war im Wesentlichen eine lange Reihe von mehrstufig aufeinander verweisenden Texten über einen literarischen Urtext namens „Zerstörung", der seinerseits aus einer langen Reihe von aufeinander verweisenden Texten über einen Urtext namens „Zerstörung" bestand - wobei mit dem Verschwimmen der Ebenen zwischen Primär-, Sekundär- und Tertiärtext zunehmend weniger auffiel, dass es einen solchen Urtext gar nicht gibt. Die Textsorten, die Lind da anordnete, entstammten vor allem dem akademischen und sonstwie professionellen Umgang mit Literatur - Rezensionen, Jurybegründungen, Fußnote, Lexikoneinträge usw. - und die „Zerstörung" des Werks durch seine Rezeption war, was das Buch uns vorführte.
Das neue Buch, „Lumber's Reise", wartet mittlerweile auf seine Veröffentlichung im Frühjahr 2016. Gerald Lind erzählt, es werde eine „Todesreichphantasie" werden, bei der der Held, Samuel Lumber - also S. Lumber: Sch. Lummer bzw. S. Schnittholz - verschiedene Jenseitswelten besucht, Paradiese historischer Aussteigerbewegungen, denen gemeinsam ist, „dass sie aber alle einen Haken haben" (Lind). „Du hast zum Beispiel einen Ted-Kaczynski-Typen in seiner einsamen Waldhütte. Dann eine Öko-Sekte, in der alles schön egalitär ist, aber dann stellt sich heraus, es gibt den charismatischen Guru, dem sich alles unterordnet. Und so weiter." Wenn „Zerstörung" eine Kritik am Wissenschaftssystem war, so wird der Leser in „Lumbers Reise" eine allgemeinere Gesellschafts- und Kulturkritik finden. Wohl gehe es ihm um Kritik am Kapitalismus, sagt der Autor, aber gebrochen durch diese zweite Frage: Welche Möglichkeiten, sich gegen ihn zu wehren oder mit ihm umzugehen, gebe es überhaupt noch? Was bleibt übrig von den Gegenentwürfen der Vergangenheit?
Literarisch-akademische Herrschaftskritik
Es fällt Gerald Lind auffallend leichter als so vielen anderen Autoren, über die genauen Intentionen und Interessen zu sprechen, mit denen er an sein Werk herangeht. Das mag damit zu tun haben, dass er seine literarische und seine akademische Tätigkeit, wie er erklärt, nicht als zwei völlig getrennte Lebensbereiche betrachtet, sondern in beiden Feldern das selbe Ziel verfolgt: das der Herrschaftskritik. Wenn er etwa als Wissenschaftler einen Tagungsband mit dem Titel „wissenschaft_macht_nachwuchs" mitherausgibt, in dem es um die Fortschreibung von Macht an den und durch die Universitäten geht, oder den Reader „Ambivalenzraum Universität", der ganz direkt die Effekte der (Neo-)Liberalisierung der Unis zum Gegenstand hat, dann betreibt er nichts wesentlich anderes als mit dem Schreiben seiner Romane, so Lind.
Der 1978 in Friedberg geborene Autor hat schon einige Erfahrungen mit den Universitäten dieser Welt: In Wien und Edinburgh hat Gerald Lind - inzwischen übrigens Doktor Gerald Lind - Germanistik und Geschichte studiert. Einige Jahre arbeitete er als Kolleg-Assistent für den legendären Wiener Literaturwissenschaftler Wendelin Schmidt-Dengler („Er war natürlich, was Macht an den Unis betrifft, nicht harmlos oder so, aber er hat mich sehr beeinflusst."). Derzeit wäre Lind eigentlich an der von ihm mitbegründeten Doc-Service-Stelle an der Uni Graz sowie als Lehrbeauftragter an der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich beschäftigt, wenn er nicht gerade die letzten Monate der Väterkarenz bei seiner einjährigen Tochter Philomena („Kurz: Philo") zuhause verbrächte.
https://docservice.uni-graz.at/
Stefan Schmitzer
Stand: Juni 2015