Urlaub für den Kopf
Tom Zwanzger ist ein bunter Hund, der in seinem Grazer S.T.R.E.S.S.-Studio einen Heimathafen nicht nur für Musikerinnen und Musiker geschaffen hat.
Musiker, Tontechniker, Studiobesitzer, Produzent, Ex-Skateshop-Geschäftsführer, Freizeit-Model, Aktivist, Veranstalter und in erster Linie auch selbst Fan - zahlreich und vielseitig sind die Aktivitäten der schillernden Subkultur-Szenefigur Thomas Zwanzger, bodenständig „Zwanzger Tom" genannt. Wirft man einen Blick in die rockigeren Gefilde der österreichischen Musikszene, gibt es seit knapp 20 Jahren kein Vorbeikommen an dem gelernten Maschinenschlosser (den Autoritäten von Lehrern wollte er sich von Beginn an nicht unterordnen) von der Pack. Ein klarer Kopf und eine Arbeitssucht, die ihresgleichen sucht, manifestieren sich in diesem Mittdreißiger, der sich mit großem Enthusiasmus und ansteckender Begeisterungsfähigkeit auch bereits auf dem internationalen Spielfeld seine Sporen verdient hat. Das Ruder hat Tom dabei niemals aus der Hand gegeben; er schwört nach wie vor auf die DIY-Kultur, das Ganze inzwischen auf hochprofessionellem Niveau. Sei es die eigene künstlerische Verwirklichung oder die unzähligen Produktionen bekannter und weniger bekannter, regionaler, nationaler oder auch internationaler Bands und Musiker im selbstgebauten Tonstudio - Tom Zwanzger geht unbeirrbar seinen eigenen Weg und macht dabei immer einen äußerst positiven Eindruck. Signifikant ist sein Wirken in der Kulturregion, weit darüber hinaus bekannt sein guter Ruf, so zählen inzwischen auch Big-Picture-Formate wie die EAV oder Anti-Flag zu seinem „Klientel" und schätzen seine Authentizität.
Kanonenfutter und das explosive Wohnzimmer
Nach den ersten musikgeschmacklichen Gehversuchen im Kindesalter entdeckte der pubertierende Tom Zwanzger durch die „coolen" Älteren im Ferienlager den Punk für sich. Sofort ist er Feuer und Flamme für dieses Genre, dessen Rohheit und Intensität sowie politische und gesellschaftskritische Inhalte und Attitüde ihn mitreißen. Passiver Musikgenuss war dem inspirierten jungen Zwanzger Tom schnell nicht mehr genug, und kurz auf die erste selbstgekaufte CD der kultigen deutschen Punkband Abstürzende Brieftauben folgte mit dem ersten Lehrlingsgehalt die Anschaffung der ersten eigenen Gitarre. „Ohne einen blassen Schimmer von irgendwas zu haben" wurde zwei Monate lang herumgespielt und getüftelt, bis schließlich das Interesse, ansatzweise spielen zu lernen, die Oberhand gewann und der junge Zwanzger anfing, mit Hilfe diverser Lehrbücher seine eigene Art musikalischer Grundausbildung zu vollziehen. Beim jugendlichen Fortgehen fand man schnell Gleichgesinnte und gründete auch alsbald die gemeinsame Band Cannon Fodder . Der freche, grunge-punkige Stil führte das adoleszente Trio bis zum Sieg beim steirischen Bandcontest im Orpheum, einer ehemals beliebten Institution für junge Musiker, die sich vor Publikum zu beweisen versuchten. Rene Molnar, der 1995 die Leitung des Jugendzentrums Explosiv - kurz Explo - übernommen hatte, bot den jungen Musikern - speziell dem hungrigen Tom Zwanzger - in der Folge die Möglichkeit und eine fruchtbare Plattform zur weiteren Selbstverwirklichung. Im Explosiv und bei später entstehenden Kooperationen mit Grazer Punk-Urgestein Romeo Ried, der mit seinem Kollektiv FIXE eine szenerelevante Veranstaltungsreihe unterhielt, nahm der junge Zwanzger erste Gelegenheiten wahr, Erfahrungen als Ton- und Veranstaltungstechniker zu sammeln.
Manie, Anti-Manie und Interessenskonflikte
1998, etwa zwei bis drei Jahre nach der Auflösung von Cannon Fodder, wurde Zwanzger Gitarrist und Sänger bei der Band Antimaniax seines Freundes Georg Dinstl, mit der er bis zur Auflösung 2006 rund 120 Konzerte im Jahr absolvieren sollte. Für Zwanzger, der seit dem Abschluss seiner Lehre neben all den Aktivitäten stets einer „normalen" Arbeit nachging, waren Tourneen mit der Band die Hauptmotivation, seine Urlaubstage zu verbrauchen. Schließlich wurde das ersparte Urlaubs- und Weihnachtsgeld in ein 16-Spur-Analog-Aufnahmegerät investiert, mit dem er unter anderem das erste Album der eigenen Band Antimaniax und das erste Demo der befreundeten Band Redlightsflash produzierte. Durch Zufall erhielt Zwanzger, der Zeit seines Lebens stark in die Skate-Kultur involviert war, den Job als Geschäftsführer des damaligen Grazer Skateshops Remedy. Zwanzger erkannte den Shop als den jugendkulturellen Brennpunkt, welcher er war, und versuchte sich über das bloße Verkaufen von Modeartikeln hinaus mit seinem Publikum und Klientel zu involvieren. Er erweiterte das Angebot des Shops um einen gut bestückten Musikkatalog sowie aktivistische und gesellschaftskritische Literatur und propagierte leidenschaftlich einen kollektivistischen und gewaltfreien Lebensstil. Der Interessenskonflikt zwischen Lohnarbeit in einem Betrieb mit dennoch kapitalistischen Grundgedanken war letztendlich zu groß und bewegte Tom Zwanzger schließlich dazu, das Angestelltenverhältnis, durch langsame und stetige Abkapselung, ein für alle Mal hinter sich zu lassen, hatte sich ja inzwischen seine gute Arbeit als Tontechniker - das eigentliche Standbein - bereits über die engsten Kreise hinaus etabliert.
Ein Haus für alle(s)
Mit den befreundeten Musikern und Gleichgesinnten der einstigen Grazer Band Naos mietete sich Zwanzger in einem Haus in Kalsdorf ein und baute sich dort sein erstes Studio. Damals wie heute verlässt er sich dabei ausschließlich auf Mundpropaganda und verzichtet auf „Sperenzchen" wie Online-Präsenz via Homepage und dergleichen. Wie so viele Dinge war auch die Kalsdorfer-Synergie nicht für die Ewigkeit, und man musste sich wieder auf die Suche nach einem geeigneten Ort machen, der genügend Platz und Möglichkeiten bot, das Potential eines noch immer hungrigen, doch viel zielstrebiger als früher agierenden Tom Zwanzger zu beherbergen. Mit Glück fand man in einer alten Fassbinderei in Graz-Puntigam schließlich ein Objekt, das den Erwartungen aller Beteiligten zu entsprechen schien, und der Grundstein für das heute nach wie vor dort residierende S.T.R.E.S.S.-Tonstudio wurde gesetzt. Neben besagtem Studio beheimatet das Zwanzger-Haus neun andere Freigeister, Studenten, Künstler bzw. Leute, die einen Platz zum Schlafen brauchen, und zelebriert eine eigene sanfte Form des gelebten Kollektivismus in einer modernen Kommune.
Unendlich Quelle der Inspiration
Heute ist der Zwanzger Tom ein gefragter Techniker, der nach wie vor in seiner Arbeit aufzugehen scheint. „Wenn ich es als Arbeit empfinden würde, könnte ich dieses Pensum wahrscheinlich gar nicht schaffen." Den Plan, zur eigenen Energieschonung ab sofort nur noch die Hälfte des Monats intensiv kreativ zu arbeiten, hat er schon wieder ad acta gelegt. „Es werden ja doch immer dreieinhalb Wochen, egal was man macht", fügt er lachend hinzu. Er ist jemand, der sich nach wie vor gerne austestet, an seine Grenzen geht. Anders als die meisten geht er dabei nicht den Weg über (il)legale Betäubungsmittel, vielmehr versucht er rauszufinden, wie viel er sich aufhalsen kann, ohne verschnaufen zu müssen. Diese unendliche Quelle der Inspiration im Blick zu behalten, zur Belohnung den kathartischen Moment der Auslastung verspüren, auf die eigenen Bedürfnisse zu hören, das zu machen, was einen glücklich macht und zu begreifen, dass auch schlechte Momente einen weiterbringen, sind seine Waffen im Kampf gegen Frust und Stagnation; sich jeden Tag neu zu positionieren und aufs Neue den „Kick" zu holen, der Schlüssel. „Die eigene Weiterentwicklung ist schon etwas, das einen süchtig machen kann. Die einzige Crux: „Manchmal sehnt man sich schon nach Ruhe, aber die Freude treibt einen einfach weiter. - Das ist doch wahrer Urlaub, Urlaub für den Kopf!" Tom Zwanzgers bleibt sich treu und keine Änderung in Sicht. Aktuelle Projekte beinhalten neben unzähligen Produktionen auch die neue 'Band Barrier Reef / The Great ', ein Spielplatz zur Selbstverwirklichung mit theatralischer Dramaturgie - einfach reinhören.
Patrick Wurzwallner
Stand: Mai 2015