Mädchenname braucht Bühne
Rosa Pock ist eine Meisterin der literarischen Form, in der sich produktive Einbildungskraft und spielerische Sprachkritik zu origineller Sprachkunst verbinden.
Die 1949 in Wagna in der Südsteiermark geborene Rosa Pock war über zwanzig Jahre lang (von 1972 bis zu seinem Tod 2000) mit H. C. Artmann verheiratet. Ihre Bücher veröffentlichte sie immer unter ihrem Mädchennamen, während sie im Alltag den Namen ihres verstorbenen Mannes trägt. Man würde ihr und ihrer Kunst aber Unrecht tun, würde man sie in erster Linie als Witwe (Frau) von H. C. Artmann wahrnehmen - zu fundiert, originell und trotz aller sprachkritischen Artistik vergnüglich zu lesen sind ihre Bücher. 1993 verblüffte die damalige Mittvierzigerin mit ihrem literarischen Debüt „Monolog braucht Bühne" - 39 auf stimmige Weise Rationalität und Naivität verknüpfende poetische Miniaturen, in denen Rosa Pock die Sprache auf ihre Tauglichkeit und das einzelne Wort auf seine Verständlichkeit prüft.
„Mega vor Tonne noch macht kein Gewicht, wie Simsalabim noch macht keinen Zauber und wenn Hase zugedeckt, trotzdem nicht weg."
Nicht die grammatikalische Richtigkeit oder sprachliche Logik bestimmt den Zusammenhang und Sinn des Geschriebenen, sondern der Rhythmus, der Fortgang von Überraschung zu Erkenntnis. Pock spielt mit den Ungewissheiten der Sprache, spürt den Unbestimmtheiten der Satzfügung und Wortstellung nach, wie auch denen der Redegewohnheiten, um in ihren assoziativ-poetischen Texten Gedanken so zu formulieren, dass sie der Gewohnheit und (Selbst-)Gewissheit widersprechen. Diese rätselhaften Miniaturen erstaunen, weil sie als seltsame Fragmente der Wirklichkeitswahrnehmung dastehen und dem Leser keine Wahrheit einreden wollen, sondern stets aufs Neue das ungläubige Erstaunen über den Lauf der Weltendinge artikulieren.
„Erdkugel sich dreht immerfort. Mit gleicher Situation wir gehen um auf Weise verschieden. Vor Betreten Nirwana, Baum will pflanzen der eine, und anderer sich anlegt Kleid von Abschied."
„Monolog braucht Bühne" beeindruckt mit nur scheinbar beiläufigen Stenogrammen des Alltags - tatsächlich fügen sich das Private wie das Allgemeine, zwischen Gelächter und Traurigkeit, zu einem Panorama der Gegenwart. Wie in ihrem literarischen Debüt beruft sich Rosa Pock auch danach auf literarische Traditionen, die von Konrad Bayer über Joe Berger bis zu Ernst Jandl reichen und die sich auf einen spielerisch-avantgardistischen Umgang mit der Sprache einlassen und die Frage darüber, was sprachlich falsch oder richtig ist.
Spielerische Eleganz und poetische Leichtigkeit
Auch wenn Rosa Pock sich der ästhetischen Moderne verpflichtet fühlt, sind ihre Bücher von einer spielerischen Eleganz und poetischen Leichtigkeit geprägt, die selten zu finden ist im mitunter schwer begehbaren Land der literarischen Avantgarde. Andererseits bleibt Rosa Pock unberechenbar und neugierig und in ihrer Literatur erscheint das Selbstverständliche oft fremd, das scheinbar Vertraute dagegen befremdlich. Wie in ihrem auf den ersten Blick konventionellsten Buch „Eine kleine Familie", in dem Pock ein trügerisch-artistisches Spiel mit der Bedeutung des „Authentischen" und mit dem Genre des Tagebuchromans spielt. Ein scheinbar typischer Lebensalltag einer „kleinen Familie", gesehen durch die Augen eines tagebuchschreibenden Schulmädchens, dient Rosa Pock als Fundament für luzide Fragestellungen nach dem Glück im Allgemeinen und dem geglückten Leben innerhalb bestimmter Familienkonstellationen im Speziellen. Aus der personellen Konstellation - arbeitsloser Vater, sich abstrampelnde Mutter, verhaltensauffällige Tante, türkische Freundin - hätten neun von zehn Gegenwartsautoren wohl einen konventionell-schnurrenden, rasch zu konsumierenden Familienroman gebastelt, der sich gut verkauft, aber kaum literarische Spuren hinterlassen hätte. Rosa Pock dagegen blickt genau hin und bleibt stehen, wo andere aus Hast oder Desinteresse vorübergehen. Sie interessiert sich für das, was andere (gern) übersehen und überhören - für den bemerkenswerten Alltag, den unvorhersehbaren Zufall und die seltsamen Irrtümer.
Das Reich des Surrealen ist nah
Ihr mittlerweile sechstes, wieder bei ihrem Stamm-Verlag Droschl erschienenes Buch „wie sind idioten" ist ein weiterer Beweis für Pocks Könnerschaft, originelle Sprachkunst und spielerische Leichtigkeit miteinander zu verknüpfen. Pock braucht nicht viele Worte, um ebenso ungewöhnliche wie wichtige Dinge zu sagen. Die Grenze zur Komik wird rasch erreicht, das Reich des Grotesken und Surrealen ist nah, wenn Pock in „wir sind idioten" in drei Geschichten auf das Wesentliche reduzierte Lebensläufe vorführt, um so Grundfragen der menschlichen Existenz durchzuspielen. Mit ihrem ganz eigenen Sprachduktus der Verknappung und Verdichtung und einem feinfühligen Gespür für Nuancen gelingt Rosa Pock ein ganz unverwechselbarer Blick auf Sprache und Wirklichkeit.
„Vielleicht schon morgen kommt Erschrecken von gewesenem Tag."
Heimo Mürzl
Stand: April 2015