Meine Musik will nichts, außer klingen
Hannes Kerschbaumer, Andrzej-Dobrowolski-Stipendiat 2014
Schon in jungen Jahren entdeckte der gebürtige Südtiroler, dass ihm das Zusammensetzen und Konstruieren von Musik größere Freude bereitet als deren Reproduktion. Und das Spielenkönnen von Instrumenten - als Kind lernte er Blockflöte, Klavier, Orgel und auch Akkordeon - ist ein wichtiger Begleiter seiner Kompositionen. Denn Kerschbaumers Interesse liegt in der Erforschung der Klangwelt jedes einzelnen Instruments.
Schon sein Lehrer Pierluigi Billone sagte, dass man jedes Instrument, das in einer Komposition vorkomme, auch selbst spielen können sollte. „Als Autodidakt findet man Klänge, die einem klassisch ausgebildeten Musiker nicht unmittelbar zugänglich sind", meint Kerschbaumer. Jenes Kontinuum von Geräuschklängen bis zum „schönen" Ton ist die Basis für die Art und Weise, wie Kerschbaumer komponiert. Seine Stücke entstehen nicht emotionsgebunden. Um einen kreativen Prozess entstehen zu lassen, dienen ihm häufig Modelle und Strukturen aus den Naturwissenschaften als Vorbild. Kerschbaumer bezeichnet seinen kompositorischen Zugang als „pseudonaturwissenschaftlich", er bedient sich einer Mathematik ohne Formeln, es sind offene Systeme mit Reflexion, die er durch Grafiken visualisiert. Oder noch einmal anders, konkreter: Er zerstört musikalische Elemente in einem kontrollierbaren Prozess zu Klangpartikeln, die durch ständiges Wiederholen zu Klangstaub zerbröseln: „Meine Musik will nichts, außer klingen." Er will durch das Erzeugen von Schwingungen Zeit gestalten und damit Zeit auch erfahrbar machen. Ein aufnahme- und diskursfreudiges Publikum freut ihn dann.
Prozesse der Weiterentwicklung
Für das Finale des Johann-Joseph-Fux-Wettbewerbs 2014 arbeitet Kerschbaumer an einem Fragment einer Oper, in dem er Texte, Wörter dekonstruiert und dieses daraus entstandene heterogene Material wieder zu neuen Wortstrukturen zusammensetzt. Prozesse der Weiterentwicklung interessieren ihn auch im Instrumentalbereich, und er findet es persönlich schade, dass sich das Erfinden von neuen Instrumenten hauptsächlich in den Bereich der elektronischen Musik verlagert hat. Eines seiner Lieblingsinstrumente ist beispielsweise das Kontraforte, eine Weiterentwicklung des Kontrafagotts. Die Fähigkeit, komplexe Klänge zu erzeugen, welche die innere Beschaffenheit des Instrumentes hörbar nach außen transportieren, begeistert Kerschbaumer. Ein anderes unglaublich facettenreiches Instrument ist für ihn die Kontrabassklarinette, die eine klangliche Spannbreite in sich trägt, die vom Nichts über einen tiefen, weichen Basston sich hinaufsteigern kann bis zum Schreien.
Schwarzes Licht - weißes Licht
Die elektronische Musik kann für Kerschbaumer kein reelles Instrument ersetzen, es gibt aber für ihn durchaus verschiedene Klangprozesse der elektronischen Musik, die in die Instrumentalmusik integriert werden können. Sein letztes größeres Projekt trägt den Titel „Luce nera" (Schwarzes Licht) - ein Musiktheater mit Tanz und Video, welches Ende September 2014 beim Festival zeitgenössischer Musik „Klangspuren" in Schwaz in Tirol aufgeführt wurde. Seine weiteren Pläne beinhalten ein neues Werk für das Tiroler Kammerorchester, in dem es im Rahmen von „Sakrale Musik unserer Zeit" um das Bespielen eines Kirchenraums geht. Noch ein Hinweis auf die Vieltätigkeit Kerschbaumers: In Dänemark präsentiert der 33-Jährige ein Stück für Klarinette und Flöte. Und übrigens: Sein Opern-Fragment für das Finale des Johann-Joseph-Fux-Wettbewerbs heißt „Luce bianca" (Weißes Licht).
Petra Sieder-Grabner
Stand: Oktober 2014
Hannes Kerschbaumer
geboren 1981 in Brixen (Südtirol, Italien). Kompositionsstudium bei Gerd Kühr, Pierluigi Billone und Beat Furrer an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Graz. Weiterführende Studien bei Georg Friedrich Haas an der Hochschule für Musik Basel.