Der Sanfte unter den Unscheinbaren
Eine Erinnerung an Georg Pichler und seine stille Kunst des Understatements
Geboren am 30. Juli 1959 in Judenburg, aufgewachsen in Judenburg und Fohnsdorf, folgte eine Schriftsetzer-Lehre bei der Druckerei Leykam, ehe nach einem halben Jahr in Paris eine mehrjährige Tätigkeit als Buchhändler in Graz und Wien die ökonomische Basis für erste literarische Versuche bildete. Nach der Leitung des Literaturreferats im Forum Stadtpark (1992/1993) folgte der endgültige Umzug nach Wien, wo Georg Pichler seit 1994 als leitender Redakteur der Bibliothekszeitschrift „Bücherschau" des Österreichischen Gewerkschaftsbundes tätig ist.
Der große Kaum-Bekannte
Georg Pichler hat bisher sechs Bücher vorgelegt und erhielt dafür immer wieder Lob und zahlreiche Preise. Eine angemessene Würdigung dieses stillen Autors und subtilen Chronisten steht immer noch aus. Vielleicht vermögen die zwei von ihm angekündigten Veröffentlichungen nach zehn Jahren Pause das einigermaßen zurechtzurücken. Sein Status als der große Kaum-Bekannte der steirischen Literatur dürfte daher rühren, dass er nicht nur wenige Bücher veröffentlichte, sondern seine Produktion auch gerecht auf etliche Verlage verteilte. Oder auch daher, dass der sympathisch zurückhaltende Autor Pichler sich vom Literaturbetrieb ebenso fernhält wie von tagesaktuellen außerliterarischen Meinungsäußerungen. Zudem sind seine Bücher nicht sogenannte Pageturner, sondern ausgeklügelte Texte, die subtil vorführen, was schon immer das Privileg der Literatur war, nämlich zu zeigen und zu schildern, was für viele unsichtbar scheint. Pichlers Fähigkeit, mit kleinen literarischen Kunstgriffen scheinbar alltägliche Themen zum Funkeln zu bringen, zeigte sich schon in seinen ersten zwei Büchern, die im Droschl Verlag erschienen. Die zwei zu Beginn der Neunziger-Jahre veröffentlichten dezent-artifiziellen Prosabände „Zwischen zwei Festlanden" und „Der Pflanzenbewuchs der Sprache" zeigten Pichler als behutsamen Seismographen verlorener (Kindheits-)Paradiese und verborgener Lebenswirklichkeiten. Sein Können zeigt sich in diesen Texten in der Genauigkeit der Beschreibung, in der Addition von Details, da und dort aufleuchtenden Momenten. Die Wirklichkeit existiert nur als Abbild des Beobachters, als vom Autor Mitgedachtes und Gefiltertes, und die besondere Stärke dieser Prosabände liegt in der Sparsamkeit der literarischen Mittel, die den Texten auch zweieinhalb Jahrzehnte nach ihrem Entstehen noch große Klarheit und Frische verleihen.
Klassische Erzählformen
Nachdem Georg Pichler 1995 mehr oder weniger erfolgreich am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb teilgenommen hatte und 1996 in Zusammenarbeit mit Lorenz Gaiser der Foto-Text-Band „Weg" erschienen war, rief er sich im Jahr 1999 mit einer Veröffentlichung geradezu klassischer Erzählungen in Erinnerung. „Paradeis", so der Titel des Bandes mit acht Erzählungen, erschien in der Edition Atelier und überraschte nicht nur durch Pichlers Rückkehr zu klassischen Erzählformen - er trat auch als scharfer Kritiker bestimmter Geisteshaltungen und Denkweisen auf. Nicht sentimental oder belehrend, sondern realitätsnah und überzeugend lässt Pichler den Leser am Leben seiner Protagonisten teilhaben. Was mitunter gemütlich und überschaubar beginnt, steigert sich allmählich zu einer Chronik gesellschaftlicher Verhältnisse. Die Last der Geschichte, belastende Familienbande und nicht zu zügelnde Leidenschaften dominieren mehr und mehr die Figuren, die, getrieben von einem scheinbar unabänderlichen Fatum, jede für sich einer ungewissen Zukunft entgegen schlittern. In fast jeder der acht Erzählungen werden vereinfachende Lebensentwürfe und vorschnelle Gewissheiten enttäuscht beziehungsweise zerstört. So zieht sich der Protagonist in „Der direkte Weg" völlig aus der Gesellschaft zurück, verlässt die Familie und teilt niemandem die neue Adresse mit: „Das ist Unabhängigkeit, ein Zustand, den er unbedingt erreichen wollte." „Unter uns oder Die Strategie der Angst", die präzise Studie einer allzu bekannten Geisteshaltung, ist wohl das Herzstück des Erzählbandes. In diesem Text lässt Pichler bieder-brave Patrioten und selbsternannte Grenzschützer zu Wort kommen: „Wir wollen doch nur unter uns bleiben. Ist das ein Verbrechen? Dies ist ein Menschenrecht." Und so werden drei Flüchtlinge beim illegalen Grenzübertritt von Nebenberg nach Überberg einfach erschossen.
Nur zwei Jahre später erschien in der Edition Atelier mit „Alle heiligen Zeiten" Georg Pichlers erster Roman, der ein exemplarisches Flüchtlingsschicksal zu einer Klage über eine schreiende Ungerechtigkeit macht. An einem Frühjahrsvormittag im Jahr 1945 trifft Robert Flusser mit seiner Frau Vera in einem ausrangierten Waggon der Kroatischen Eisenbahn im Grazer Hauptbahnhof ein. Bald verschlägt es die beiden nach Fohnsdorf, wo sie Zuflucht finden vor den Tragödien, die sich in den letzten Kriegstagen in ihrem Heimatort Racinovci ereigneten. Robert Flusser findet rasch Arbeit und Unterkunft im Fohnsdorfer Bergwerk und findet wieder ein wenig Halt in seinem Leben. Er wird jedoch nie richtig heimisch im Aichfeld; er bleibt fremd in einer Umgebung, die ihn nicht zu integrieren vermag. Als die Stollen wegen zu geringer Rentabilität geschlossen werden und er als Zeugwart des WSV Fohnsdorf miterlebt, wie „sein" Verein durch Schiebung den Aufstieg in die Nationalliga verfehlt, fühlt er sich verkauft und betrogen und verfällt in eine tiefe Depression. Wie alle großen Geschichten lebt auch Pichlers Geschichte des individuellen Scheiterns von starken emotionalen Reizen. Wo einem Menschen derart übel mitgespielt wird, regt sich unser soziales Gewissen. Pichlers Roman ist ein beeindruckendes Dokument einer Gesellschaft, in der Moral und Gerechtigkeit keine klar definierten Sachverhalte sind.
Nachdem Pichler im Jahr 2002 mit „Die Beschreibung des Glücks" im Ueberreuter Verlag eine unter Mithilfe von Peter Handke entstandene Biographie des österreichischen Erfolgsautors veröffentlichte und sein 2003 unter dem Pseudonym Simon Walcher veröffentlichter Sprachführer „Sprechen Sie steirisch?" mit fünftausend verkauften Exemplaren sein größter Verkaufserfolg wurde, zog sich Pichler aus dem Literaturbetrieb ein wenig zurück, ohne aber emsig und unbeugsam an weiteren Werken zu feilen. So bedauerlich seine mittlerweile zehn Jahre andauernde (Buch-)Veröffentlichungspause auch sein mag - man darf davon ausgehen, dass Georg Pichler als Autor noch einiges vor und viel zu sagen hat.
Der große Kaum-Bekannte
Georg Pichler hat bisher sechs Bücher vorgelegt und erhielt dafür immer wieder Lob und zahlreiche Preise. Eine angemessene Würdigung dieses stillen Autors und subtilen Chronisten steht immer noch aus. Vielleicht vermögen die zwei von ihm angekündigten Veröffentlichungen nach zehn Jahren Pause das einigermaßen zurechtzurücken. Sein Status als der große Kaum-Bekannte der steirischen Literatur dürfte daher rühren, dass er nicht nur wenige Bücher veröffentlichte, sondern seine Produktion auch gerecht auf etliche Verlage verteilte. Oder auch daher, dass der sympathisch zurückhaltende Autor Pichler sich vom Literaturbetrieb ebenso fernhält wie von tagesaktuellen außerliterarischen Meinungsäußerungen. Zudem sind seine Bücher nicht sogenannte Pageturner, sondern ausgeklügelte Texte, die subtil vorführen, was schon immer das Privileg der Literatur war, nämlich zu zeigen und zu schildern, was für viele unsichtbar scheint. Pichlers Fähigkeit, mit kleinen literarischen Kunstgriffen scheinbar alltägliche Themen zum Funkeln zu bringen, zeigte sich schon in seinen ersten zwei Büchern, die im Droschl Verlag erschienen. Die zwei zu Beginn der Neunziger-Jahre veröffentlichten dezent-artifiziellen Prosabände „Zwischen zwei Festlanden" und „Der Pflanzenbewuchs der Sprache" zeigten Pichler als behutsamen Seismographen verlorener (Kindheits-)Paradiese und verborgener Lebenswirklichkeiten. Sein Können zeigt sich in diesen Texten in der Genauigkeit der Beschreibung, in der Addition von Details, da und dort aufleuchtenden Momenten. Die Wirklichkeit existiert nur als Abbild des Beobachters, als vom Autor Mitgedachtes und Gefiltertes, und die besondere Stärke dieser Prosabände liegt in der Sparsamkeit der literarischen Mittel, die den Texten auch zweieinhalb Jahrzehnte nach ihrem Entstehen noch große Klarheit und Frische verleihen.
Klassische Erzählformen
Nachdem Georg Pichler 1995 mehr oder weniger erfolgreich am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb teilgenommen hatte und 1996 in Zusammenarbeit mit Lorenz Gaiser der Foto-Text-Band „Weg" erschienen war, rief er sich im Jahr 1999 mit einer Veröffentlichung geradezu klassischer Erzählungen in Erinnerung. „Paradeis", so der Titel des Bandes mit acht Erzählungen, erschien in der Edition Atelier und überraschte nicht nur durch Pichlers Rückkehr zu klassischen Erzählformen - er trat auch als scharfer Kritiker bestimmter Geisteshaltungen und Denkweisen auf. Nicht sentimental oder belehrend, sondern realitätsnah und überzeugend lässt Pichler den Leser am Leben seiner Protagonisten teilhaben. Was mitunter gemütlich und überschaubar beginnt, steigert sich allmählich zu einer Chronik gesellschaftlicher Verhältnisse. Die Last der Geschichte, belastende Familienbande und nicht zu zügelnde Leidenschaften dominieren mehr und mehr die Figuren, die, getrieben von einem scheinbar unabänderlichen Fatum, jede für sich einer ungewissen Zukunft entgegen schlittern. In fast jeder der acht Erzählungen werden vereinfachende Lebensentwürfe und vorschnelle Gewissheiten enttäuscht beziehungsweise zerstört. So zieht sich der Protagonist in „Der direkte Weg" völlig aus der Gesellschaft zurück, verlässt die Familie und teilt niemandem die neue Adresse mit: „Das ist Unabhängigkeit, ein Zustand, den er unbedingt erreichen wollte." „Unter uns oder Die Strategie der Angst", die präzise Studie einer allzu bekannten Geisteshaltung, ist wohl das Herzstück des Erzählbandes. In diesem Text lässt Pichler bieder-brave Patrioten und selbsternannte Grenzschützer zu Wort kommen: „Wir wollen doch nur unter uns bleiben. Ist das ein Verbrechen? Dies ist ein Menschenrecht." Und so werden drei Flüchtlinge beim illegalen Grenzübertritt von Nebenberg nach Überberg einfach erschossen.
Nur zwei Jahre später erschien in der Edition Atelier mit „Alle heiligen Zeiten" Georg Pichlers erster Roman, der ein exemplarisches Flüchtlingsschicksal zu einer Klage über eine schreiende Ungerechtigkeit macht. An einem Frühjahrsvormittag im Jahr 1945 trifft Robert Flusser mit seiner Frau Vera in einem ausrangierten Waggon der Kroatischen Eisenbahn im Grazer Hauptbahnhof ein. Bald verschlägt es die beiden nach Fohnsdorf, wo sie Zuflucht finden vor den Tragödien, die sich in den letzten Kriegstagen in ihrem Heimatort Racinovci ereigneten. Robert Flusser findet rasch Arbeit und Unterkunft im Fohnsdorfer Bergwerk und findet wieder ein wenig Halt in seinem Leben. Er wird jedoch nie richtig heimisch im Aichfeld; er bleibt fremd in einer Umgebung, die ihn nicht zu integrieren vermag. Als die Stollen wegen zu geringer Rentabilität geschlossen werden und er als Zeugwart des WSV Fohnsdorf miterlebt, wie „sein" Verein durch Schiebung den Aufstieg in die Nationalliga verfehlt, fühlt er sich verkauft und betrogen und verfällt in eine tiefe Depression. Wie alle großen Geschichten lebt auch Pichlers Geschichte des individuellen Scheiterns von starken emotionalen Reizen. Wo einem Menschen derart übel mitgespielt wird, regt sich unser soziales Gewissen. Pichlers Roman ist ein beeindruckendes Dokument einer Gesellschaft, in der Moral und Gerechtigkeit keine klar definierten Sachverhalte sind.
Nachdem Pichler im Jahr 2002 mit „Die Beschreibung des Glücks" im Ueberreuter Verlag eine unter Mithilfe von Peter Handke entstandene Biographie des österreichischen Erfolgsautors veröffentlichte und sein 2003 unter dem Pseudonym Simon Walcher veröffentlichter Sprachführer „Sprechen Sie steirisch?" mit fünftausend verkauften Exemplaren sein größter Verkaufserfolg wurde, zog sich Pichler aus dem Literaturbetrieb ein wenig zurück, ohne aber emsig und unbeugsam an weiteren Werken zu feilen. So bedauerlich seine mittlerweile zehn Jahre andauernde (Buch-)Veröffentlichungspause auch sein mag - man darf davon ausgehen, dass Georg Pichler als Autor noch einiges vor und viel zu sagen hat.
Heimo Mürzl
Stand: Juli 2014