Die Misch-Masch-Potenziale nutzen
Der Weg von Daniela Kocmut führte von Maribor nach Hermagor, von Graz nach Dublin und wieder zurück.
Sahra Foetschl: Der Grazer Lyriker Christian Teissl sagte, als ich ihn nach seinen Gedichten fragte: "Das Gute an Gedichten ist, dass sie immer und überall entstehen und auch zwischen Tür und Angel gelesen werden können. Sie sind eine leichte Fracht - was nicht heißt, dass sie leichte Geburten sind."
Daniela Kocmut: Ich finde, dass Christian ein schönes Bild verwendet "leichte Fracht - schwere Geburt". Ich kann auch überall schreiben, oft nur im Kopf, wenn kein Papier und Stift zur Hand ist - und bisher wollte ich noch kein Gedicht ins Handy tippen -, aber manchmal vergesse ich das Gedicht dann, und es ist verloren, dann soll es eben so sein. Ich schreibe viel im Zug - ich bin oft zwischen Maribor - Graz - Salzburg, dann wieder Ljubljana unterwegs und habe im Zug die Zeit, einfach nur die Gedanken fließen zu lassen. Reisen eignen sich sehr gut, aber auch das Sitzen am Balkon, man kann und muss sich einfach die Zeit dafür nehmen.
Ich habe nach dem Umzug nach Österreich [von Maribor nach Hermagor/Smohor in Kärnten/Koroska] mit ungefähr 11 Jahren angefangen, Tagebuch zu schreiben - zunächst auf Slowenisch, irgendwann wurde es automatisch auf Deutsch weitergeführt und wurde immer öfter mit "Gedichten" durchtränkt.
Du schreibst in einem Gedicht, „Schwere", von Judith, die abends ermüdet feststellt, dass Holofernes' Kopf wirklich sehr schwer zu tragen ist - eines der besten Themen/Gedichte aus dem Band „zwiesprachig", wie ich finde. Wie sind deine Erfahrungen mit den Herren Kollegen/Mentoren im Literaturbetrieb?
Das ist eine interessante Frage, da viele Dinge zweifellos noch immer nach irgendwelchen alten Mustern laufen. Ich habe die Erfahrung an der Uni gemacht, da viele Professoren, Mentoren, Lehrer eben Männer sind - auch wenn viele Frauen in der Sprachausbildung tätig sind, die Professuren haben großteils noch immer die Männer inne. Ich denke, dass sich zwar schon langsam etwas ändert und die Quotenregelung dabei eine wichtige Rolle spielt, aber wir noch immer weit entfernt sind von einem Gleichgewicht im universitären Bereich. Aber das wird langsam immer besser, obwohl es für Frauen in Österreich noch immer schwieriger ist, Karriere und Familie unter einen Hut zu bringen, als für Männer. Die Frage ist, wie weit wer bereit ist dafür zu gehen und seine Arbeit wofür herzugeben.
Die vielseitige Literatin und Journalistin Maruša Krese [1947 - 2013] hat mir einmal erzählt, dass sie nur für Kurzformen und Lyrik Zeit hatte. Aufgrund der Karriere ihres Mannes, ihrer Rolle als Mutter, auch Krankheit ihres Sohnes, kam sie nie dazu, sich an die Arbeit eines Romans zu machen. - Wie hast du sie als ältere Kollegin erlebt?
Maruša war eine sehr liebe Freundin und ein wichtiger Mensch für mich und für viele andere. Für mich auch aus dem Grund, da sie mich dazu ermuntert hat zu schreiben. Ich habe ihr mal einige "Gedichtchen" in einem Notizblock zu lesen gegeben, und sie hat daraufhin gemeint: "Schreib weiter." Das hat mir wohl den Mut geben es zu tun und weiter zu "spielen", für mich ist Lyrik ja auch ein Spiel mit der Sprache.
Ich habe erst kürzlich einige weitere Auszüge aus Marušas erstem und leider letztem Roman „Da me je strah?" - dt. „Ob ich Angst habe?" - für einen literarischen Abend in Berlin in ihrem Gedenken übersetzt; und da nun einige Seiten Probeübersetzung gemacht sind, sind wir in Deutschland, Österreich und Slowenien auf der Suche nach einem Verlag für den Roman. Ich würde mir wünschen, dass er bald auf Deutsch erscheinen könnte, da es ein sehr wichtiges und auch vielfach ausgezeichnetes persönliches und historisches Werk ist. Was ich auch so besonders an diesem Buch finde, ist, dass ein so persönliches Thema wie die eigene Familie bzw. Familiengeschichte auf so distanzierte, aber auch poetische Art aufgegriffen wird, und dass so viele auch heute aktuelle Dinge angesprochen werden, wie es in der slowenischen zeitgenössischen Literatur unvergleichlich ist.
Solche Frauen wie Maruša - derer es wirklich nicht viele auf der Welt gibt - sind unbedingt wichtig und sind bedeutende Vorbilder für junge Frauen. Maruša war eine sehr starke Persönlichkeit, auch wenn sie manchmal zerbrechlich wirkte, sie war eine Kämpferin und ein kritischer Geist, man konnte immer mit ihr diskutieren, aber auch sehr viel lachen, sie war unheimlich positiv, wenngleich auch pessimistisch.
Da sie wenig Zeit zum Schreiben hatte, ist ihre Lyrik auch sehr dicht, auch wenn sie manchmal minimalistisch anmuten mag, und sie war glaube ich sehr glücklich, dass sie diesen Roman, den sie schon seit Jahren im Kopf hatte, beenden konnte. Es gibt sehr viele Menschen, die sie sehr vermissen.
Deine aktueller Poesieband zeigt auch sehr persönliche Bezüge auf zu der Stadt Graz, was ist deine Vision von Gradec als Stadt so nahe im Osten am slawischen Sprachraum?
Da ich einige Jahre immer wieder auch am Europäischen Fremdsprachenzentrum in Graz gearbeitet habe, das u. a. auch den Europäischen Tag der Sprachen am 26. September organisiert und bewirbt, bin ich in dieser Hinsicht sehr sprachlich orientiert und sehe, wieviel Potential es in Graz gibt, wo mehr als 100 Sprachen gesprochen werden. Ich denke, dass Graz noch offener sein könnte, sich aber auch sprachlich mehr für seine Nachbarn interessieren könnte und sollte. Es könnte noch mehr muttersprachlichen Unterricht geben und vertiefte Sprachförderung in Erst- und Zweitsprache schon ab dem Kindergarten und das nicht nur in Einzelfällen. Kinder sollten in einer Gesellschaft aufwachsen, die respektvoll und offen mit all ihren Mitgliedern umgeht und von klein auf lernen, dass es Tatsache und Alltag ist, dass die meisten Kinder mit mehren Sprachen aufwachsen. Graz ist eine Misch-Masch-Stadt - schon immer gewesen -, und Österreich ist ein Misch-Masch-Land - schon immer gewesen. Und es sollte sich im Positiven dessen bewusst sein und all diese Misch-Masch-Potentiale nutzen und sich nicht davor fürchten.
Sahra G. Foetschl
Stand: Juli 2014
Jüngste Veröffentlichungen und Beiträge von Daniela Kocmut
Als Autorin
zwiesprachig. GeDICHte. Leykam, Graz 2013.
Als Übersetzerin
Zofka Kveder: Ihr Leben. Roman (OT: Njeno življenje). Wieser Verlag, Klagenfurt 2013.
Veno Taufer: Wasserlinge. Für meine Mutter und meinen Vater. Wunderhorn, Heidelberg 2011.
Drago Jančar: Der Baum ohne Namen. Roman (OT: Drevo brez imena). Folio-Verlag, Wien - Bozen 2010.
Katarina Marinčič: Die verborgene Harmonie. Roman (OT: Prikrita harmonija). Kitab, Klagenfurt - Wien 2008.
Maruša Krese: Alle meine Kriege oder happiness is a warm gun. Leykam, Graz 2006.
Drago Jančar: Luzias Augen. Erzählungen (OT: Človek, ki je pogledal v tolmun). Folio-Verlag, Wien -Bozen 2005.