Der unverwechselbare Loidolt-Sound
Lakonik und Symbolik in Extremsituationen. Ein Versuch, Gabriel Loidolt zu verstehen.
Lakonik und Symbolik in Extremsituationen. Ein Versuch, Gabriel Loidolt zu verstehen.
Geboren am 4. Oktober 1953 in Eibiswald, aufgewachsen hauptsächlich in Graz, studierte Gabriel Loidolt Elektrotechnik und Deutsche Philologie. Er dissertierte über die autobiografischen Romane von Thomas Bernhard. Nach mehreren Auslandsjahren als Universitätslektor arbeitete er bei verschiedenen Kulturorganisationen in Graz und für das Filmmagazin „Blimp". Einige Jahre als freier Werbetexter bei KIWI folgten, ehe sich Loidolt 1998 für eine Existenz als freier Schriftsteller entschied. Loidolt hält sich grundsätzlich fern vom sogenannten Literaturbetrieb und sagt selbst: „Das Rampenlicht erfreut mich weniger, aber über die Anerkennung meiner Arbeit freue ich mich." 2010 wurde Gabriel Loidolt mit dem Literaturpreis des Landes Steiermark ausgezeichnet. Trotzdem zählt er nach wie vor zu den zu wenig beachteten und sträflich unterschätzten Autoren.
Menschen in Extremsituationen
Schon in seinen ersten zwei Buchveröffentlichungen vermittelte Loidolt am Beispiel seiner Protagonisten den Eindruck, dass Freiheit und Selbstbestimmung nur sehr schwer zu haben sind. Was auch immer die beiden Anti-Helden unternehmen, wie auch immer sie um ihre Rechte und Ansprüche kämpfen, sie laufen dabei nur Gefahr noch tiefer im Sumpf der Ausweglosigkeit zu versinken. In seinem 1988 bei Droschl erschienenen Romandebüt „Der Leuchtturm" schildert er die Geschichte eines Europäers, der als Leuchtturmwärter auf einem Inselfelsen im Persischen Golf gefangen gehalten wird. Unschuldig soll der die Strafe für ein Verbrechen abbüßen, das er nicht begangen hat. Tagsüber quält ihn die unmenschliche Hitze, in der Nacht das Dröhnen des Dieselmotors - von der Einsamkeit und Halluzinationen geplagt, hält er verzweifelt Ausschau nach Kriegsschiffen und Tankern. Das Niemandsland im Persischen Golf, von Loidolt so suggestiv wie deprimierend und trostlos beschrieben, dient ihm als existenzielle Metapher. Loidolt erzählt das in einem ganz eigenen, unverwechselbaren Sound, einer Knappheit, in der alles gesagt wird, ohne dass zu viel oder Unnötiges erzählt wird. Nichts ist vollkommen eindeutig, aber alles ist geschickt verwoben und zeichnet in Summe ein Bild des Daseins, in dem man sich manchmal wünschen würde, man hätte einen Nullmeridian, an dem man sich orientieren könnte.
Auch in Loidolts im Jahr 1989 ebenfalls bei Droschl erschienenen Buch „Levys neue Beschwerde" ist der Protagonist einer, der im System nicht mehr mitmacht, der das Schicksal herausfordert, weil er versucht, die Dinge ans Licht zu bringen. Herrn Levy wird zur Weihnachtszeit in New York ohne ersichtlichen Grund seine Wohnung gekündigt. Weil er, der der sogenannten „Endlösung" im Dritten Reich glücklich entkommen war, mutig auf seinem Recht beharrt, wird er zum zweiten Mal in seinem Leben zum unschuldigen Opfer und ist dem Untergang geweiht.
Der exemplarische Loidolt-Held ist zumeist Ausgestoßener, Ausgegrenzter, Außenseiter oder Einzelgänger in einer Extremsituation. So auch Ozren, die zwanzigjährige, übergewichtige Hauptfigur in Loidolts 1998 im Alexander Fest Verlag erschienenen Roman „Hurensohn".
Blick aufs Rotlichtmilieu
Ozren, der Sohn einer kroatischen Prostituierten in Graz, hat sich auf dem Klo eingesperrt, weil er meint, seine Mutter ermordet zu haben. Aus Furcht, seine jugoslawische Verwandtschaft könnte ihn lynchen, hat er sich mit einem Plastiksackerl voller Wurstsemmeln und seinem für einen eventuellen Selbstmord vorgesehenen Rasiermesser dorthin zurückgezogen und beginnt seine Lebensgeschichte zu erzählen. Aus der Sicht eines Außenseiters - er sei ein „außernormaler Mensch", sagt er selbst einmal. Sein Leben ist bestimmt von Heimat- und Wurzellosigkeit. Die Mutter, eine gutverdienende Geheimprostituierte, will mit ihrem „beschränkten" und fettleibigen Sohn nichts zu tun haben; in sein Mutterland kann er nicht zurückkehren, denn dort wütet der Krieg. Und in seinem neuen Heimatland Österreich wird er mitunter als „Mensch zweiter Klasse" behandelt. Obwohl ihn Onkel Ante und Tante Ljiljana möglichst gut und einfühlsam betreuen, wird Ozren zum Sonderling, der wegen seiner Sprachstörungen in die „außernormale Schule" geschickt wird.
Der Sonderschüler Ozren sieht die Welt anders als alle anderen und zieht unkonventionelle Schlüsse, was dem Schriftsteller Loidolt die Möglichkeit eröffnet, einen eigenwilligen, kindlich-naiven Blick aufs Rotlichtmilieu und darüber hinaus zu werfen. So gelingt es Loidolt durch diesen Kunstgriff ein differenziertes Bild zu zeichnen, das der Realität sehr nahe kommt. Während er einerseits das bigotte Mitgefühl vieler für die Opfer des Jugoslawien-Krieges als oberflächlich und unehrlich entlarvt, scheut er sich andererseits auch nicht, Zuwanderer und Ausländer mit ihren Fehlern und Vorurteilen zu zeigen.
„Hurensohn" gleicht auf weiten Strecken einem Schelmenroman: Ozren, der Außenseiter, der verschmitzt-einfältige Narr, erkennt mit seiner Perspektive des „Außernormalen" viel deutlicher als alle anderen, was rund um ihn schiefläuft. Loidolts Roman diente dem Regisseur Michael Sturminger wenige Jahre später als Vorlage für den gleichnamigen Kinofilm.
Ambiguität und Ambivalenz
Der 2005 bei Reclam Leipzig erschienene Roman „Die irische Geliebte" - die Geschichte einer außergewöhnlichen Liebe unter widrigen Umständen - fand trotz oder gerade wegen seiner Sanftheit und Unaufdringlichkeit wenig Widerhall, obwohl manche Kritiker die Eleganz und Raffinesse des Romans lobten.
Mit seinem 2008 bei dtv erschienenen Roman „Yakuza" kehrte Loidolt wieder in die Welt der Ausgestoßenen, Einzelgänger und Extremisten und zum typischen Loidolt-Sound zurück. Eine geheimnisvolle junge Frau sucht einen Tätowiermeister auf, um sich ein Irezumi (Rückentätowierung) mit ungewöhnlichem Motiv stechen zu lassen. Joseph Tschurtschenthaler, so der Name des Tätowiermeisters und Ich-Erzählers, hat viele Jahre in Japan verbracht und dort die klassische Kunst des Tätowierens erlernt. Sein äußeres Kennzeichen ist ein von Brandnarben entstelltes Gesicht, das ihn zur Einsamkeit verdammt. Seine Kundin Anouk Weidmann ist in Sibirien aufgewachsen und will sich eine doppeldeutige Botschaft auf ihren Rücken tätowieren lassen - ein Irezumi, das wie ein Vexierbild als romantische Liebeserklärung oder böse Verspottung des Betrachters gelesen werden kann. In den gemeinsamen Sitzungen erzählen sich die beiden Romanprotagonisten erst zögerlich, dann in schonungsloser Offenheit ihre von körperlichen und seelischen Verletzungen geprägten Lebensgeschichten.
Loidolt gelang mit diesem Roman ein subtil arrangiertes und atmosphärisch stimmiges Kammerspiel rund um die Themen Kunst und Leben, Liebe und Leid, Scham und Schande - ein Buch, dessen Lektüre herausfordert und nachhallt.
Der Komplexität der Welt setzt Gabriel Loidolt die „Wahrheit" seiner Literatur entgegen, die er in der Ambiguität und Ambivalenz des von ihm Erzählten findet. Dem kaum medienpräsenten Schriftsteller ist im Übrigen zu wünschen, dass er nicht nur für sein nächstes Buch - aktuell sind zwei Manuskripte fertig zur Publikation -, sondern auf Dauer einen passenden Verlag findet, gleicht die Geschichte seiner Buchveröffentlichungen doch einer unsteten Wanderschaft von Verlag zu Verlag.
Menschen in Extremsituationen
Schon in seinen ersten zwei Buchveröffentlichungen vermittelte Loidolt am Beispiel seiner Protagonisten den Eindruck, dass Freiheit und Selbstbestimmung nur sehr schwer zu haben sind. Was auch immer die beiden Anti-Helden unternehmen, wie auch immer sie um ihre Rechte und Ansprüche kämpfen, sie laufen dabei nur Gefahr noch tiefer im Sumpf der Ausweglosigkeit zu versinken. In seinem 1988 bei Droschl erschienenen Romandebüt „Der Leuchtturm" schildert er die Geschichte eines Europäers, der als Leuchtturmwärter auf einem Inselfelsen im Persischen Golf gefangen gehalten wird. Unschuldig soll der die Strafe für ein Verbrechen abbüßen, das er nicht begangen hat. Tagsüber quält ihn die unmenschliche Hitze, in der Nacht das Dröhnen des Dieselmotors - von der Einsamkeit und Halluzinationen geplagt, hält er verzweifelt Ausschau nach Kriegsschiffen und Tankern. Das Niemandsland im Persischen Golf, von Loidolt so suggestiv wie deprimierend und trostlos beschrieben, dient ihm als existenzielle Metapher. Loidolt erzählt das in einem ganz eigenen, unverwechselbaren Sound, einer Knappheit, in der alles gesagt wird, ohne dass zu viel oder Unnötiges erzählt wird. Nichts ist vollkommen eindeutig, aber alles ist geschickt verwoben und zeichnet in Summe ein Bild des Daseins, in dem man sich manchmal wünschen würde, man hätte einen Nullmeridian, an dem man sich orientieren könnte.
Auch in Loidolts im Jahr 1989 ebenfalls bei Droschl erschienenen Buch „Levys neue Beschwerde" ist der Protagonist einer, der im System nicht mehr mitmacht, der das Schicksal herausfordert, weil er versucht, die Dinge ans Licht zu bringen. Herrn Levy wird zur Weihnachtszeit in New York ohne ersichtlichen Grund seine Wohnung gekündigt. Weil er, der der sogenannten „Endlösung" im Dritten Reich glücklich entkommen war, mutig auf seinem Recht beharrt, wird er zum zweiten Mal in seinem Leben zum unschuldigen Opfer und ist dem Untergang geweiht.
Der exemplarische Loidolt-Held ist zumeist Ausgestoßener, Ausgegrenzter, Außenseiter oder Einzelgänger in einer Extremsituation. So auch Ozren, die zwanzigjährige, übergewichtige Hauptfigur in Loidolts 1998 im Alexander Fest Verlag erschienenen Roman „Hurensohn".
Blick aufs Rotlichtmilieu
Ozren, der Sohn einer kroatischen Prostituierten in Graz, hat sich auf dem Klo eingesperrt, weil er meint, seine Mutter ermordet zu haben. Aus Furcht, seine jugoslawische Verwandtschaft könnte ihn lynchen, hat er sich mit einem Plastiksackerl voller Wurstsemmeln und seinem für einen eventuellen Selbstmord vorgesehenen Rasiermesser dorthin zurückgezogen und beginnt seine Lebensgeschichte zu erzählen. Aus der Sicht eines Außenseiters - er sei ein „außernormaler Mensch", sagt er selbst einmal. Sein Leben ist bestimmt von Heimat- und Wurzellosigkeit. Die Mutter, eine gutverdienende Geheimprostituierte, will mit ihrem „beschränkten" und fettleibigen Sohn nichts zu tun haben; in sein Mutterland kann er nicht zurückkehren, denn dort wütet der Krieg. Und in seinem neuen Heimatland Österreich wird er mitunter als „Mensch zweiter Klasse" behandelt. Obwohl ihn Onkel Ante und Tante Ljiljana möglichst gut und einfühlsam betreuen, wird Ozren zum Sonderling, der wegen seiner Sprachstörungen in die „außernormale Schule" geschickt wird.
Der Sonderschüler Ozren sieht die Welt anders als alle anderen und zieht unkonventionelle Schlüsse, was dem Schriftsteller Loidolt die Möglichkeit eröffnet, einen eigenwilligen, kindlich-naiven Blick aufs Rotlichtmilieu und darüber hinaus zu werfen. So gelingt es Loidolt durch diesen Kunstgriff ein differenziertes Bild zu zeichnen, das der Realität sehr nahe kommt. Während er einerseits das bigotte Mitgefühl vieler für die Opfer des Jugoslawien-Krieges als oberflächlich und unehrlich entlarvt, scheut er sich andererseits auch nicht, Zuwanderer und Ausländer mit ihren Fehlern und Vorurteilen zu zeigen.
„Hurensohn" gleicht auf weiten Strecken einem Schelmenroman: Ozren, der Außenseiter, der verschmitzt-einfältige Narr, erkennt mit seiner Perspektive des „Außernormalen" viel deutlicher als alle anderen, was rund um ihn schiefläuft. Loidolts Roman diente dem Regisseur Michael Sturminger wenige Jahre später als Vorlage für den gleichnamigen Kinofilm.
Ambiguität und Ambivalenz
Der 2005 bei Reclam Leipzig erschienene Roman „Die irische Geliebte" - die Geschichte einer außergewöhnlichen Liebe unter widrigen Umständen - fand trotz oder gerade wegen seiner Sanftheit und Unaufdringlichkeit wenig Widerhall, obwohl manche Kritiker die Eleganz und Raffinesse des Romans lobten.
Mit seinem 2008 bei dtv erschienenen Roman „Yakuza" kehrte Loidolt wieder in die Welt der Ausgestoßenen, Einzelgänger und Extremisten und zum typischen Loidolt-Sound zurück. Eine geheimnisvolle junge Frau sucht einen Tätowiermeister auf, um sich ein Irezumi (Rückentätowierung) mit ungewöhnlichem Motiv stechen zu lassen. Joseph Tschurtschenthaler, so der Name des Tätowiermeisters und Ich-Erzählers, hat viele Jahre in Japan verbracht und dort die klassische Kunst des Tätowierens erlernt. Sein äußeres Kennzeichen ist ein von Brandnarben entstelltes Gesicht, das ihn zur Einsamkeit verdammt. Seine Kundin Anouk Weidmann ist in Sibirien aufgewachsen und will sich eine doppeldeutige Botschaft auf ihren Rücken tätowieren lassen - ein Irezumi, das wie ein Vexierbild als romantische Liebeserklärung oder böse Verspottung des Betrachters gelesen werden kann. In den gemeinsamen Sitzungen erzählen sich die beiden Romanprotagonisten erst zögerlich, dann in schonungsloser Offenheit ihre von körperlichen und seelischen Verletzungen geprägten Lebensgeschichten.
Loidolt gelang mit diesem Roman ein subtil arrangiertes und atmosphärisch stimmiges Kammerspiel rund um die Themen Kunst und Leben, Liebe und Leid, Scham und Schande - ein Buch, dessen Lektüre herausfordert und nachhallt.
Der Komplexität der Welt setzt Gabriel Loidolt die „Wahrheit" seiner Literatur entgegen, die er in der Ambiguität und Ambivalenz des von ihm Erzählten findet. Dem kaum medienpräsenten Schriftsteller ist im Übrigen zu wünschen, dass er nicht nur für sein nächstes Buch - aktuell sind zwei Manuskripte fertig zur Publikation -, sondern auf Dauer einen passenden Verlag findet, gleicht die Geschichte seiner Buchveröffentlichungen doch einer unsteten Wanderschaft von Verlag zu Verlag.
Heimo Mürzl