Wenn es im Moment passt
Über die filmischen Arbeiten der Allrounderin Julia Laggner
Zuvor war Julia Laggner im „Mosaik"-Ambulatorium als Musiktherapeutin, im Verein „uniT" als Projektleiterin, bei Graz 2003 Kulturhauptstadt Europas und bei diversen Kulturprojekten im sozialen Feld beschäftigt. Zur Filmarbeit gelangte sie, die das „nicht gelernt" hat, so: Als 2004 ihr Sohn zur Welt kam, kündigte sie den „uniT"-Job, wollte sich aber vom Arbeitsamt nicht in irgendwelche Kurse stecken lassen, und es gelang ihr, durch Learning by Doing dem Interesse an Filmschnitt und Kameraarbeit nachzugehen und sich das vom AMS finanzieren zu lassen.
Auf Julia Laggners Tun aufmerksam wurde ich durch ihren einstündigen Dokumentarfilm „Heim ist nicht Daheim" (2010), dem die - thematisch verwandte und für den „steirischen herbst" von „uniT" produzierte - 15-teilige Trickfilmreihe „Hotel Rollator" (2009) vorausging.
„Heim ist nicht Daheim" ist in meinen Augen - und Ohren - ein Paradebeispiel für die dokumentarische Methode der teilnehmenden Beobachtung. Kamera und Mikrofon geleiten uns in ein Grazer Seniorenheim und lassen uns den Alltag alter Menschen miterleben - jede Frau und jeder Mann ein Original. Es bedarf keines Kommentars, keiner Einordnung aus der Vogelperspektive einer allwissenden Autorin; wir sehen und hören selbst und wir können uns unser eigenes Bild machen. Der Film ist wohltuend schnörkellos und geradeaus. Selbst sehr intime Momente, wie z. B. das Probieren eines reparierten Gebisses, das Handanlegen der Friseurin an einem Silberschopf, oder ein Todesfall im Haus, wirken nicht voyeuristisch, und wir können das Vertrauen spüren, das zwischen Filmteam und Protagonisten herrscht, ein Vertrauen, das erarbeitet sein und erworben werden will.
Und hier, scheint mir, kommen Laggners breiter Ausbildungshintergrund (Musiktherapie, Theater- und Tanzarbeit) sowie ihre Fähigkeit zur Empathie (ausführliche Beschäftigung mit Migrationsbewegungen) zum Tragen. Wie ein Projekt aus dem andren wächst: Mit den Oldies von „Heim ist nicht Daheim" aus dem Grazer Seniorenhaus entstanden ein Jahr vor dem Film fünfzehn Miniaturen, Trickfilmarbeiten (Stop-Motion- & Collage-Techniken), deren Humor, Augenzwinkern und Fröhlichkeit ansteckend wirken und die sicherlich zur atmosphärischen Vertrautheit, die für solch enge Zusammenarbeit Voraussetzung sind, beigetragen haben. Was hierbei ganz überzeugend gelingt, sind die Verknüpfung von Skizzen alternder Personen, der Einsatz moderner Musik und der geradezu unbekümmerte Einsatz grafischer und akustischer Mittel: Da wirbeln Zeichnungen, ausgeschnittene Fotos, Sprechblasen, Geräuschfetzen und O-Toncollagen durcheinander und treffen auf digitale Techniken der Endbearbeitung.
Unter dem (Arbeits-) Titel „Hello and Goodbye" erarbeitet Julia Laggner seit 2013 ein vielschichtiges und mehrteiliges „transmediales Projekt zum Thema Migration in Europa"; ausgekoppelte Teile daraus konnten bereits in den Niederlanden (Performance, Oerol) und in der Slowakei (Audio- und Videowalk, Košice) präsentiert werden. In breiter, europaweiter Vernetzung via „La Strada" bzw. „In Situ" und in Zusammenarbeit von neun Partnern - darunter „uniT" und das Kunstlabor Graz - werden bis 2015 Migrationsbewegungen untersucht. In der Projektbeschreibung heißt es: „Mit dem Projekt ‚Hello and Goodbye‘ dokumentiert das Kunstlabor Graz auf seiner Reise durch Europa von März 2013 bis September 2015 individuelle Geschichten des Ankommens und Abfahrens. Wir erforschen den öffentlichen und halböffentlichen Raum, interviewen, fotografieren und filmen. Wir recherchieren persönliche Beweggründe für Migration über geografische und soziale Grenzen, und machen in neun Ländern Station: In Holland, in der Slowakei, in Schottland, in Frankreich, in Ungarn, Tschechien, Belgien, Dänemark und Österreich spiegeln wir die Ergebnisse unserer Arbeit im Rahmen von Ausstellungen, Walks und Performances zurück in die Öffentlichkeit."
Wichtig bei ihrer Arbeit, sagt Julia Laggner, sei, dass etwas „im Moment" stimme, für sie zähle also der richtige Augenblick - egal, ob im Theater, auf der Bühne, in einer Therapie, beim Trickfilm, der „simpel" sein darf, bei Übersetzungen oder bei der Arbeit mit Mädchen und jungen Frauen im Verein „Mafalda". All diese Tätigkeiten finden „temporär" statt, die Filmarbeit aber "bleibt", wird weiter gehen. Wie schön, wenn die Allrounderin Julia Laggner ihre reichen Erfahrungen auf vielfältigen Tätigkeitsebenen bündeln und in dokumentarische Langzeitprojekte einbringen kann. Ich wünsche ihr - und uns! -, dass, so wie „Heim ist nicht Daheim", auch ihre zukünftigen Filme blühen!
Im Internet: www.julia-laggner.at
Heinz Trenczak
Stand: Dezember 2013