Der verschwundene Künstler (*)
Kunst und Realität auf Crashkurs – Alois Krenn braucht Aufträge
Wir haben einen verschwundenen Künstler gesucht und einen Verlorenen angetroffen. Gottseidank kennt Herbert Soltys den Weg nach Zehndorf, den aber von vor zehn Jahren, und am Land wurde viel gebaut.
„Da unten wohnt er", sagt man uns. Wir klopfen. Nichts rührt sich. Beim gegenüberliegenden Haus kommt eine alte Frau heraus. „Es geht ihm schlecht, er macht auch nicht auf, wenn er da ist. Er ist schwer depressiv."
Wir pumpern und rufen. Endlich geht die Tür auf. Das ist nicht Alois Krenn, der da vor uns steht, das ist ein Schreckgespenst! Das ist das Schreckgespenst aller freischaffenden Künstler, das da in kurzer Hose daherhumpelt.
Vor drei Monaten hat er sich den Knöchel gebrochen.
„Er wird nicht gut."
Er sieht keine Perspektive mehr.
„Am besten wird's sein, wenn's aus ist ..."
Seit einem halben Jahr hat er keine Arbeit. Ein Bildstock wäre zu restaurieren, aber die Gemeinde hat kein Geld, und mit dem Fuß kann er nicht lange stehen, und vielleicht kriegt den Auftrag ja jemand anderer ...
Na Hawidere!
Wir fahren einmal was zum Essen einkaufen. Das haben wir nicht erwartet. Eine knorrige Erscheinung, darauf waren wir gefasst, aber nicht auf diesen Realismus der Gesellschaftsrelevanz der bildenden Kunst, jenseits des Mediums, abseits der unverbindlichen Lobhudler.
Alois Krenn, dessen penible Zeichnungen und subtilen Porträts wir alle bewundert haben, Mitte der 80er Jahre, der in Wien in der Secession ausgestellt hat, in Graz bei den Minoriten, in der Neuen Galerie, in der Galerie Z..., Alois Krenn, der einen riesigen Schinken für den Katholikentag gemalt hat, eine zeitlang Mitglied der Gruppe 77 war, im „Sterz" veröffentlicht hat, schließlich Alois Krenn, der die Hochschule für angewandte Kunst mit sehr gutem Erfolg abgeschlossen hat.
„Von irgendwas musste ich ja leben und deshalb die Bildstöcke. In Wien hab ich ja gehaust wie ein Räuberhauptmann ..." Da hat er dann in der Hochschule geschlafen, „aber das ging ja nicht."
Er dreht wieder eine Runde um den Tisch.
Ein Magister der Künste, der nun, wenn's dämmert den Rasen mähen möchte, „damit die Nachbarn das nicht sehn, wegen dem Fuß."
„Mach einmal ein Fenster auf!"
„Ich seh‘ keine Perspektive, seit einem halben Jahr kein Auftrag, der Fuß ..."
Der Alois, der immer wieder diese perspektivischen Treppen gezeichnet hat, die menschenleere Räume verbinden, Treppen, die M. C. Escher antizipieren, ohne spielerischen Hintergedanken, einfach ausgestorbene Räume.
„Man muss das Hirn zum Sehen bringen."
Als der Schriftsteller Franz Innerhofer noch lebte, hat er Krenn oft besucht. Auch so ein knorriger Landmensch, der längst brav zwischen den Buchdeckeln ruht. Wenngleich, der Alois trinkt nicht und raucht nicht.
Dann isst er endlich was.
Zeigt uns Fotos von den Bildstöcken, die er gemalt hat, Glasfenster von ihm in Kirchen ... Ein bisschen Lebensgeist kommt zurück. Gerade soviel, dass er uns seinen Uraltvertrag zwischen Gesellschaft und Kunst zeigt, bloß stammt der aus dem 16. Jahrhundert, malerisch verfasst von Hans Holbein dem Jüngeren. Und das in der Zeit der „No Hands und De-Skilled Art", wo Künstler stolz darauf sind, dass sie nicht einmal mehr die Vorlagen angreifen, nach denen „ihre Werke" angefertigt werden.
„Das ist doch zeitlose Kunst", sagt der Alois und blättert im Holbein-Buch. Nur ein ganz kleines Fragezeichen schwingt da mit.
Irgendwie stimmt das ja auch, denn immer wieder, seit damals, hat es realitätsorientierte Neuanfänge gegeben: Neue Sachlichkeit, Hopper, Fischl, Richter, die neue deutsche Welle ...
„Hast jemanden, der sich um dich kümmert?"
Eine Frau kommt ab und zu, aber die hat auch nichts ...
Wir sind es gewöhnt, dass Kunst als artifiziell aufgeplusterte Krokodilsträne über Realitätsverlust daherkommt, aber es gibt auch noch ganz reale Probleme, und der Künstler Alois Krenn hat einige davon ganz massiv. Er braucht Geld, eine neuerliche Behandlung seines rechten Fußes - und Aufträge.
Erwin Michenthaler
Juni 2013
*Update: Ein Nachruf
Alois Krenn ist im Sommer 2021 im Alter von 69 Jahren verstorben.
Werke von Alois Krenn sind in der Sammlung der Neuen Galerie des Universalmuseums Joanneum. „Die Werke des 2021 verstorbenen Alois Krenn sind trotz seines großen Talents und anfänglichen Erfolgs weitestgehend in Vergessenheit geraten", heißt es auf der Website des Joanneum. „Nachdem er an der Universität für angewandte Kunst Wien bei Wolfgang Hutter studiert hatte, kehrte Krenn nach Graz zurück und hatte in den 1970ern und 1980ern mehrere Einzelausstellungen in beiden Städten. Erzählungen aus dem Umfeld des Künstlers ergeben das Bild eines stark zurückgezogenen Menschen, der unter schweren Depressionen litt und sich vor allem zunehmend der Kunstwelt entzog und am Land lebte."
ARTfaces-Redaktion